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Kelsterbach aktuell
Ausgabe 15/2024
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Wenn die Bachen frischen, ist Umsicht gefragt

Wildschwein-Frischlinge haben ein unverwechselbar gestreiftes Fell.

Rehböcke tragen ein deutlich kleineres Geweih als Hirsche.

Damwild lebt in Rudeln.

In Kürze steht im Kelsterbacher Stadtwald ein freudiges Ereignis an: Die Wildschweine bekommen Nachwuchs. Für Spaziergänger heißt das – insbesondere, wenn sie Hunde dabeihaben –, sich in der nächsten Zeit besonders umsichtig zu verhalten, denn eine Frischlinge führende Bache verteidigt ihren Nachwuchs entschlossen und mit vollem Einsatz. Stadtwaldförster Martin Klepper, der zugleich auch der amtlich bestellte Jagdaufseher für den Kelsterbacher Forst ist, hat das einmal selbst erfahren müssen, als eine Wildsau seinen Jagdhund unvermittelt angegriffen und ernsthaft verletzt hatte. Wenn die Bedingungen ideal sind, könnten dieses Jahr theoretisch bis zu 70 junge Wildschweine die Rotten, die im Kelsterbacher Wald zu Hause sind, ergänzen, schätzt Klepper. Eine Bache kann bis zu acht Frischlinge gebären; zurzeit sind es ungefähr 40 Schwarzkittel, die im Wald leben.

Die Schweine erfüllen im Forst eine wichtige biologische Funktion, denn sie fressen Schädlinge wie Maikäferlarven und Schnecken. Außerdem lockern sie beim Durchwühlen den Waldboden und machen ihn so aufnahmebereit für die Samen der Bäume. Auf diese Weise befördern sie die Naturverjüngung im Wald. Ein weiterer positiver Effekt ergibt sich, wenn Wildschweine morsche Stämme auf Insekten- und Larvensuche zerkauen, denn auf diese Weise reichern sie den Boden mit wertvollen Nährstoffen an.

Nicht gefüttert, nur gekirrt

Gefüttert werden die Wildschweine nicht, das ist auch gar nicht notwendig. Wenn Unbefugte den Schwarzkitteln etwas vermeintlich Gutes tun wollen und verbotenerweise Essensreste in den Wald kippen, geraten diese sogar in akute Gefahr. Nicht artgerechtes Futter kann Koliken verursachen und im schlimmsten Fall zum Tode führen. Außerdem können sich die Wildschweine mit dem Erreger der afrikanischen Schweinepest, der in osteuropäischen rohen Fleisch- und Wursterzeugnissen vorkommen kann, infizieren. Die Folge wäre ein rigoroses Durchgreifen der zuständigen Behörden, also der Totalabschuss einer befallenen Population. Zum Glück wurde die afrikanische Schweinepest in Hessen noch nicht in den Schwarzwildbeständen nachgewiesen. Auf Autobahnparkplätzen allerdings – die aus gutem Grund eingezäunt und für Wildschweine unzugänglich sind – werden regelmäßig infizierte Speisereste sichergestellt, weiß Klepper.

Um die Schwarzkittel von den Straßen wegzulocken, auf denen sie sonst buchstäblich unter die Räder geraten könnten, hat Klepper im rund 450 Hektar großen Stadtwald drei möglichst weit von Straßen entfernte Stellen eingerichtet, an denen regelmäßig eine kleine Gabe Futter ausgelegt wird, das die Tiere gerne annehmen. Dieses Verfahren, die sogenannte Kirrung, praktiziert Klepper seit fünf Jahren. Die Anzahl der Wildunfälle sei in dieser Zeit spürbar zurückgegangen, berichtet er.

Regulierung des ökologischen Gleichgewichts

Damit die Anzahl der vermehrungsfreudigen Tiere nicht überhandnimmt und das ökologische Gleichgewicht im Kelsterbacher Stadtwald nicht aus dem Lot gerät, greift Klepper in seiner Eigenschaft als Jäger regulierend in den Bestand ein. Im Schnitt seien es zehn bis 15 Wildschweine, die jedes Jahr geschossen würden.

Anders ist der Fall gelagert bei den Wildschweinen, die nicht im Wald leben, sondern den Südpark zu ihrem Revier erkoren haben. Diese Tiere haben gelernt, sich durch aggressives Auftreten gegenüber den die Grillstationen und Spielplätze nutzenden Menschen zu behaupten – keine ganz ungefährliche Sache für Letztere. Hier versuchen die Jäger, möglichst viele Schweine zu erlegen, natürlich unter Berücksichtigung des Tierschutzes. So werden keine Frischlinge unter 15 Kilo Körpergewicht und keine der noch Nachwuchs führenden Bachen geschossen.

Während Wildschweine in Gattern mit Pflanzungen junger Bäume als Schädlingsvernichter gern gesehene Gäste sind und in diese mittels sogenannter Wildschweinklappen eingelassen werden, gilt dies nicht für Rehe und Hirsche. Letztere haben die Angewohnheit, ihr Geweih an die Stämme junger Bäumchen zu schlagen, und in Zeiten des Geweihwechsels reiben sie den Bast an ihnen ab. Die Folge sind teils massive Schäden an den Kulturen. Auch Rehe schaden bisweilen den jungen Bäumen, wenn sie deren Knospen abfressen. Klepper appelliert deshalb dringend an Waldbesucher, die Tore von Gattern unbedingt geschlossen zu halten, damit keine ungebetenen tierischen Besucher hineingelangen.

Wilde Nützlinge

Zurzeit leben fünfzehn Exemplare des Damwilds im Kelsterbacher Wald zusammen in einem Rudel. Wie viele Rehe es hier gibt, lässt sich nur anhand von Verbissspuren an der Vegetation abschätzen; Klepper geht von mindestens 30 Tieren, die meist als Einzelgänger oder in kleinen Familienverbänden unterwegs sind, aus. Auch Hirsche und Rehe erfüllen ökologische Funktionen im Forst. Das Damwild hält zum einen die Brombeeren kurz, die sonst viele andere Pflanzen einfach überwuchern und ersticken würden. Zum andern frisst es das Gras, das auf den forstwirtschaftlichen Wegen wächst, und hält diese somit frei. Die Rehe sorgen für den Nährstofftransport im Wald, denn sie nehmen Nahrung in nährstoffreichen Bereichen auf und entledigen sich der Überreste auf nährstoffarmen Kuppen, die somit von der tierischen Düngung profitieren.

Die Entwicklung des Damwild-Bestandes folgt einem genauen Plan, der die Anzahl der Tiere in den verschiedenen Altersklassen und Geschlechtern regelt und die beste Struktur des Rudels und dessen optimale Größe gewährleistet. Aus dem jährlich neu aufgestellten Plan ergibt sich genau, welche Tiere zur Jagdsaison entnommen werden sollen. Darüber wacht neben der Unteren Jagdbehörde des Kreises Groß-Gerau auch die Damwild-Hegegemeinschaft Mönchbruch, ein jagdrechtlich geforderter Zusammenschluss von 33 Revieren. Die Hegegemeinschaft Mönchwald wiederum hat die Rehe im Fokus. Auch hier wird alle drei Jahre festgesetzt, wie viele Tiere jährlich geschossen werden sollen, um die Wilddichte im Kelsterbacher Stadtwald ökologisch und wirtschaftlich tragfähig zu halten.

Dass die Stadt Kelsterbach Damwild hegt, ist übrigens keine Selbstverständlichkeit, sondern eine bewusste politische Entscheidung. Die Stadt wolle ihren Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit eines besonderen Naturerlebnisses ermöglichen, sagt Klepper. Wer sich also in den Stadtwald begibt, hat vielleicht Glück und kann Hirsche, Rehe und andere Tiere in freier Wildbahn beobachten. Die Naturfreunde sollten aber unbedingt auf den Wegen bleiben und auf keinen Fall in die dicht bewachsenen Dickungen, wo die Tiere ihre Versteck- und Schlafplätze haben, eindringen. Das gereicht zum einen den Tieren zum Schaden, zum andern zieht dieser Verstoß aufgrund geltender Jagd- und Naturschutzgesetze ein Bußgeld nach sich, wenn man dabei erwischt wird. (wö)