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Kelsterbach aktuell
Ausgabe 23/2023
Seite 2
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Wo der wilde Mohn blüht

Wilder Mohn bringt Farbe in das Beet entlang des Mainweges.

Die Mainschleife im frühsommerlichen Gewand.

Blau, Violet und Silber geben am Weltkriegsdenkmal den Farbton an.

Fünf große Blumen- und Staudenbeete helfen, die Biodiversität zu steigern.

Knochenarbeit: Die Mitarbeiter des KKB legen sich mächtig ins Zeug.

Kennen Sie schon die neuen Blühflächen am Mainufer? Da, wo sich seit einiger Zeit alles tummelt? Vor allem Hummeln und Bienen sind dort anzutreffen, auch die wilden. Aber auch jede Menge Käfer und andere Insekten. Wo soll das nur hinführen, fragen sich da vielleicht manche Passanten im Vorbeigehen. Und andere? Die setzen sich einfach dazu. Mitten auf die Wiese, in die Sonne. Wieder andere lieber auf die beschatteten Parkbänke, die am Grünflächenrand zwischen den Bäumen und Sträuchern stehen. Bei so viel Idylle könnte es mir ganz warm ums Herz werden, wenn es nicht sowieso strahlender Sonnenschein und 24 Grad warm wäre.

Es ist der letzte Tag im Mai um die Mittagszeit. Siegfried Roscher, Landschaftsingenieur beim Kelsterbacher Kommunalbetrieb (KKB), zeigt dem lichtscheuen Pressegewächs, was am Kelsterbacher Mainland gerade durch viele KKB-Mitarbeiter umgesetzt wird. Fünf große Beete werden dort auf der bisherigen Rasenfläche angelegt. Ausgehoben, mit neuer Erde befüllt und eingerahmt mit einem ebenerdigen Pflasterrand, was alles in allem eine Riesenarbeit ist. In die Beete hinein kommen viele verschiedene Blühpflanzen, Gräser und bis zu 1,5 Meter große Stauden. Farblich abgestimmt, aber mit der Tendenz das ganze Jahr über abwechselnd zu blühen oder eine andere Art von Hingucker zu bieten. Und wenn alles abgeblüht ist? Dann wird es nicht etwa ausgegraben und durch neue Pflanzen ersetzt. Das ist genau das, was vermieden werden soll, erklärt mir Roscher. „Wir haben bislang zweimal im Jahr alles neu bepflanzt mit Früh- und Sommerblühern oder, im Herbst, mit Herbst- und Winterpflanzen. Das kostet nicht nur viele Arbeitsstunden, sondern auch viel Geld“, sagt er.

Rund 80.000 Euro hat die Stadt Kelsterbach bis 2022 jedes Jahr für die zweimal jährliche Bepflanzung ausgegeben. Mir bliebe der Mund offenstehen, wenn ich nicht Angst hätte, dass mir sofort ein Insekt hineinfliegt. Also nicke ich baff. Auf Roschers Frage, was ich glaube, wieviel das Anlegen und Instandhalten der neuen, mehrjährigen Beete zukünftig kosten würde, vermute ich vorsichtig „etwa die Hälfte“. Falsch gedacht. Mit rund 20.000 Euro im ersten Jahr und in den Folgejahren um die 5.000 Euro für die Pflege und den eventuellen Ersatz von einzelnen Pflanzen gibt die Stadt nur noch einen Bruchteil der Ursprungskosten aus. Auch die Arbeitszeit, die bislang auf die Anpflanzung und Pflege der Blühbeete entfiel, reduziert sich dadurch und kann an anderer Stelle eingesetzt werden.

Eine Idee, wie die Beete einmal ungefähr aussehen sollen, bekommt man, wenn man den breiten Blühstreifen neben dem Kiesweg am Mainufer betrachtet oder das Beet um das Weltkriegsdenkmal an der Mainstraße. Hier sind bereits viele Stauden, Kräuter und Blühpflanzen angepflanzt, die alle mehrjährig sind. „Ich wollte weg von dem Quadratmeter gelbe Blüten, gefolgt von einem Quadratmeter blaue Blüten und so weiter“, erzählt Roscher. „Das Problem ist ja nicht nur, dass wir Pflanzen mit einer relativ kurzen Blühdauer haben, die wir ersetzen müssen, sondern auch die zeitintensive Pflege, weil man jedes kleine Unkrautpflänzchen dazwischen sofort sieht und beim Jäten unheimlich aufpassen muss, damit man nicht auf die Blumen tritt. Bei den jetzigen Blumenbeeten haben wir Pflanzen, die das ganze Jahr über etwas fürs Auge bieten und zwischen denen nicht sofort jedes Unkraut hervorblitzt.“ Auch sind solche Beete unempfindlicher und enthalten unter anderem viele wilde Pflanzenarten. Dazu zählt etwa der Mohn, der mit seinem kräftig leuchtenden Rot sofort heraussticht. Gerade wilde Arten sind dafür bekannt, dass sie Wildbienen oder Hummeln anlocken. So wundert es mich gar nicht, dass am Salbei viel Betrieb ist oder der Mohn kräftig umschwirrt wird. Am Weltkriegsdenkmal entstand dadurch ein Beet, das in ruhigen Farbtönen von Blau, Violett, Weiß und Silber gehalten ist und in dem temporär rote und weiße Tulpen aufblitzen.

Die Vorarbeit zu den großzügigen Blühflächen war jedoch immens. Der KKB musste einige hundert Pflanzen und Sträucher entfernen, die im Laufe der Jahre den Blick auf das Mainufer zunichte gemacht hatten. Alleine am Weltkriegsdenkmal standen zwei Thujen, so groß wie das Denkmal selbst. Von Naherholung kann da wenig Rede sein. Ganz anders an diesem sonnigen Frühsommertag, an dem ich etliche Spaziergänger, erste Sonnenanbeter auf den Mainwiesen sowie eine Rentnergruppe, die für Fotos posiert, bemerke.

Aber zurück zu den geplanten Beeten. Wenn alles verblüht ist, wird es doch wohl wenigstens zurückgeschnitten, wenn es schon nicht ersetzt wird? „Nein“ ist die kurze Antwort. Denn die verblühten und abgestorbenen Stängel bieten Samenstände, die Vögeln im Winter als Nahrungsquelle und Insekten als Überwinterungsmöglichkeit dienen.

Der Umbau der Grünflächen im Stadtgebiet dauert bereits einige Jahre, fasst Roscher zusammen, und wird auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Doch das Ergebnis steht für sich. Nicht nur kann man von einem echten Mehrwert in Sachen Aufenthaltsqualität sprechen, auch die Biodiversität hat immens zugenommen. Mit trockenheitsresistenteren, abwechslungsreichen Pflanzen und einem gewissen Mut, nicht alles sofort akkurat zurückzuschneiden, gehen der KKB und die Stadt naheliegende, wichtige Schritte im Bereich Naturschutz. Und wenn ich mich so umgucke, vermute ich, weitere werden folgen.