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Kelsterbach aktuell
Ausgabe 36/2025
Seite 3
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Übergabe von umfangreichem Archivmaterial zur Kelsterbacher Geschichte

Die umfangreiche Sammlung, die Harald Freiling dem Stadtarchiv zur Verfügung stellte, ist hier imTeil zu sehen.

Der Künstler Gunter Demnig verlegte 2014 und 2016 die 57 Stolpersteine für die Jüdinnen und Juden, die 1933 in Kelsterbach lebten. Harald Freiling (4. von links) berichtete vor dem Haus Bergstraße 9 über das Schicksal von Leopold und Selma Adler und ihrer drei Töchter Emma, Greta und Sessi. Leopold Adler führte in dem Haus ein Schuhgeschäft, sein Bruder Wilhelm Adler ein Schuhgeschäft in der Neu-Kelsterbacher Straße 21. Hier wohnten besonders viele jüdische Familien und hier gab es bis 1938 auch die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Kelsterbach. (Foto: privat)

Seit Anfang Juli ist das Stadtarchiv in Kelsterbach um einige Archivkisten reicher. Die Stadt Kelsterbach ist dankbar für die umfangreiche Schenkung durch Harald Freiling, so Stadtarchivar Christian Schönstein. Freiling, der an der Integrierten Gesamtschule (IGS) von 1978 bis 2012 unter anderem die Fächer Geschichte, Gesellschaftslehre und Deutsch unterrichtete, hatte sich während seiner gesamten Zeit an der Schule, aber auch im Ruhestand mit der Geschichte Kelsterbachs vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus (NS) und insbesondere mit dem Schicksal der jüdischen Einwohner und der osteuropäischen Zwangsarbeiter befasst. Die lokalgeschichtlichen Forschungen standen dabei immer in enger Beziehung zum pädagogischen Auftrag der Schule. „Spuren der Geschichte in der unmittelbaren Umgebung und die Gespräche mit Zeitzeugen vermitteln einen ganz anderen Eindruck als die Lektüre von Schulbüchern“, erinnert sich Freiling. Deshalb seien fast alle Recherchen in den Archiven und die Befragungen gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern durchgeführt worden.

So enthalten die Akten, die Freiling dem Stadtarchiv vertrauensvoll übergab, unter anderem den Briefwechsel mit den überlebenden Juden, die als junge Menschen in der NS-Zeit bis 1938 in die USA oder nach England fliehen konnten. In den 80er Jahren war es den Schülerinnen und Schülern gelungen, alle Überlebenden ausfindig zu machen und sie nach ihren Erinnerungen zu befragen. Dass Leo Hirsch, Frieda Wollmerstedt oder Ernst und Margot Moritz ihre Eltern nicht mehr rechtzeitig aus Deutschland nachholen konnten und diese in den Vernichtungslagern ermordet wurden, gehört zu den eindrucksvollsten Zeugnissen der Recherchen. Die Dokumente rund um den Besuch der Überlebenden in Kelsterbach im Jahr 1989 sind genauso Bestandteil der Archivkisten wie die Recherchen über die Geschichte der Synagoge oder die Verlegung von 57 Stolpersteinen in Kelsterbach in den Jahren 2014 und 2016. Das umfangreiche biografische Material, sowie Fotos und Illustrationen sind jetzt ebenfalls im Stadtarchiv verfügbar.

Weitere Schwerpunkte von Freilings Archivmaterial aus den vergangenen 45 Jahren sind die Schülerwettbewerbe zur Deutschen Geschichte für den Preis des Bundespräsidenten. An diesen hatten sich Freiling als Tutor und seine Schülergruppen beteiligt und waren wiederholt mit „Preisen auf dem Siegertreppchen“ ausgezeichnet worden. Die zum Teil erschütternden Recherchen zum Durchgangslager für osteuropäische Zwangsarbeiter im Rahmen des Geschichtswettbewerbs 1980/81 führten später zu einem mit mehreren Gedenktafeln markierten geschichtlichen Rundgang und einer Dokumentation, die beim Stadtarchiv angefordert werden kann.

Im Rahmen des Wettbewerbs 1990/1991 entstand wiederum die Schülerarbeit „Warum der Frankfurter Flughafen eigentlich Kelsterbacher Flughafen heißen müsste“. Beim Wettbewerb 1992/93 zum Thema „Denkmal: Erinnerung – Mahnung – Ärgernis“ entstanden gleich drei Arbeiten über die Porzellanfabrik in Kelsterbach, die Geschichte des Glanzstoff-Werks und die Geschichte des Nie-wieder-Krieg-Denkmals, das in der NS-Zeit durch das „Heldendenkmal“ am Main ersetzt wurde. Am Wettbewerb 1996/97 zur „Geschichte des Helfens“ beteiligte sich eine Schülergruppe mit einem Beitrag über das Flüchtlingslager in der Mörfelder Straße nach 1945.

Sowohl Stadtarchivar Schönstein als auch Bürgermeister Manfred Ockel sind froh, mit diesen Zeitdokumenten und aufwendigen Recherchen das Stadtmuseum um einen weiteren wichtigen Baustein der Kelsterbacher Geschichte erweitert zu sehen. Ockel betonte: „Die Mahnung ‚Nie wieder Fachismus – nie wieder Krieg‘ ist heute leider aktueller denn je. Wir müssen uns über die Geschichte informieren und sie lebendig halten, um aktuelle politische Entwicklungen verstehen und frühzeitig einordnen zu können. In diesem Sinne hoffe ich, dass viele Schulklassen die Möglichkeit nutzen, sich im Unterricht, bei Stadtführungen und im Stadtmuseum über die NS-Zeit in Kelsterbach zu informieren.“ (ka)