von links: Vita Kovalenko, Olena Tsokh-Karunska, Svitlana Rizzo, David Rendel, Oleksandr Hrytsaienko, Manfred Ockel, Agneta Becker, Loubna Ouariach.
Die Stadt Raunheim unterhält seit einigen Jahren eine Städtepartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Lubny. Diese liegt in der Zentralukraine, im Oblast Poltowa, etwa auf halber Strecke zwischen der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw und der Großstadt Charkiw.
Lubnys Bürgermeister Oleksandr Hrytsaienko war nun mit zweien seiner Mitarbeiterinnen aus der Stadtverwaltung zu Besuch in Raunheim. Gemeinsam mit Bürgermeister David Rendel und Stadtverordnetenvorsteherin Loubna Ouariach besuchten die ukrainischen Gäste auch das Kelsterbacher Rathaus, wo sie von Bürgermeister Manfred Ockel herzlich empfangen wurden. Im Rahmen ihrer Städtekooperation „Drei Gewinnt“ loten Raunheim, Rüsselsheim und Kelsterbach derzeit aus, ob neue, gemeinsame Städtepartnerschaften geschlossen oder bereits bestehende auf alle drei Kooperationspartner ausgeweitet werden sollten.
Bürgermeister Hrytsaienko berichtete aus dem Alltag der rund 46.000 Einwohner zählenden Stadt, der vom russischen Angriffskrieg gekennzeichnet ist. Täglich gebe es bis zu zehn Alarmierungen wegen anfliegender russischer Raketen und Drohnen, sagte der Rathaus-Chef von Lubny. Dabei nehme die russische Armee gezielt die ukrainische Energieversorgung ins Visier, so sei etwa eine Gasverteilerstation bei Lubny mit Drohnen komplett zerstört worden. Die Bevölkerung improvisiere und heize nun verstärkt mit Holz und Pellets. Auch elektrischer Strom stehe nur stundenweise zur Verfügung, berichtete Hrytsaienko. Schülerinnen und Schüler suchten bei den häufigen Alarmen die Schutzkeller auf, wo der Unterricht dann weiterlaufe. Nicht alle Schulen in Lubny hätten über einen geeigneten Schutzraum verfügt, sodass die Stadt in zwei Fällen einen Bunker habe bauen müssen – ein enormer finanzieller Kraftakt. Tausende Binnenflüchtlinge hielten sich in Lubny auf, erzählte Hrytsaienko weiter, um die sich die Stadt im Verbund mit vielen ehrenamtlichen Organisationen kümmere. Unterstützung leiste Lubny aber auch für Städte, die direkt an der Frontlinie liegen. Die Stadtverwaltung funktioniere weiter, aber mit leichten Verzögerungen, die dem Personalmangel – viele Beschäftigte wurden zur ukrainischen Armee eingezogen – geschuldet seien, sagte der Bürgermeister.
Kelsterbachs Bürgermeister Ockel zollte den Ukrainerinnen und Ukrainern seinen Respekt für deren Widerstandswillen. Er zeigte sich gleichsam sehr betroffen ob der Situation, sagte, man leide mit, sei aber im Grunde machtlos, etwas zu ändern. Der Austausch mit ukrainischen Kommunen müsse gestärkt, den Menschen in der Ukraine Hoffnung gegeben und die Weichen für den Wiederaufbau gestellt werden.
Der Krieg in der Ukraine war nicht das einzige Thema, das besprochen wurde, Bürgermeister Hrytsaienko zeigte Interesse an verschiedenen Aspekten des Lebens in Deutschland, etwa bezüglich Steuern, öffentlichen Personennahverkehrs oder der politischen Praxis in den Kommunen. Dabei erfuhren die Gastgeber, dass die Ukrainer in der Digitalisierung bereits einen Schritt weiter sind als die Deutschen. In Lubny finden Sitzungen des Stadtrats und seiner Ausschüsse bereits online, anstelle in Präsenz, statt.
Tags darauf trafen sich die Bürgermeister Rendel, Ockel, Hrytsaienko und der Rüsselsheimer Oberbürgermeister Patrick Burghardt in Raunheim, um eine gemeinsame Absichtserklärung zu unterschreiben. Darin bekräftigen die Unterzeichnenden ihre „Verbundenheit und den Willen, die seit 2016 bestehende Kooperation zwischen Raunheim und Lubny im Geiste von Partnerschaft, Solidarität und europäischer Verständigung zu vertiefen und perspektivisch auf die mit Raunheim verbundenen ‚Drei-Gewinnt‘-Städte Rüsselsheim am Main und Kelsterbach auszuweiten.“
Die Inhalte der Kooperation sollen im Erfahrungsaustausch, im Knüpfen von Kontakten zwischen den Verwaltungen und der Zivilgesellschaft sowie in projektbezogener Unterstützung liegen, dabei soll es insbesondere um humanitäre, kommunale und zukunftsorientierte Themenfelder gehen, zum Beispiel um Daseinsvorsorge, Jugend und Bildung, Kultur, Sport, Feuerwehr und Schutz, digitale Verwaltung, Stadtentwicklung. „Konkrete Aktivitäten, Projekte oder Förderanträge bedürfen jeweils gesonderter, späterer Absprachen und – soweit erforderlich – der hierfür zuständigen Beschlussfassungen“, heißt es außerdem in dem Papier. (wö)