Referent Mario Becker (rechts) mit dem Vorsitzenden des VBW, Hartmut Blaum (Mitte), und dem zweiten Vorsitzenden Christian Schönstein.
Eine schöne Tradition: Der Austausch der Andreassprüche mit (von links) Revierförster Fabian Müller, Tina Baumann, Leiterin des Stadtforstes Frankfurt, und Christian Schönstein, zweiter Vorsitzender des VBW.
Von links: Der Frankfurter Stadtrat Marcus Gwechenberger, Hartmut Blaum und Bürgermeister Manfred Ockel.
Rund 230 Gäste genossen einen schönen Abend.
Eine schöne Tradition wurde am vergangenen Freitag im Fritz-Treutel-Haus gepflegt: Zum 56. Mal fand dort das Andreasgelage der Moderne statt. Die Tradition stammt bereits aus dem Mittelalter, als Kelsterbach und Frankfurt im Jahr 1372 die Vereinbarung getroffen hatten, dass die Bauern aus der kleinen Gemeinde bis zum letzten Tag im November, dem Andreastag, ihr Vieh in den Wald des großen Nachbarn treiben durften. Dafür musste ein Weidezins entrichtet werden, der im Rahmen eines opulenten Gelages übergeben wurde. Auch wenn dies bei der modernen Variante nicht mehr so üppig wie einst ausfällt, steht die Pflege der Beziehungen und des Brauchtums zwischen den Städten bis heute im Mittelpunkt des Andreasgelages, das seit der Wiederbelebung im Jahr 1966 vom Kelsterbacher Volksbildungswerk (VBW) ausgerichtet wird.
Dass der Ablauf auch im Jahr 2025 festen Traditionen folgt, machte bereits die Eingangszeremonie deutlich. Hier fuhren Tina Baumann, Leiterin des Stadtforstes Frankfurt, Fabian Müller, der als Revierförster Schwanheims am Andreasgelage teilnahm, sowie Prof. Dr. Marcus Gwechenberger, Stadtrat aus Frankfurt, und Christian Schönstein, zweiter Vorsitzender des VBW, zu den Klängen der Jagdhornbläser Groß-Gerau in der Kutsche von Claudia und Bernd Christoph aus Eschborn auf dem Vorplatz des Fritz-Treutel-Hauses vor. Hier wurden sie von Vertretern der Kommunalpolitik und des Kreises in Empfang genommen.
Im Bürgersaal wurden Schönstein, Baumann und Müller dann von rund 230 Gästen erwartet, vor denen sie nach weiteren Darbietungen der Jagdhornbläser den traditionellen Austausch der Andreassprüche vornahmen, getreu dem Motto „Es bleibt alles beim Alten, wie es anhero gehalten.“ Nach einer Begrüßung der Gäste durch den Vorsitzenden des VBW, Hartmut Blaum, ergriff Bürgermeister Manfred Ockel das Wort. Er hob hervor, wie wichtig es sei, die freiwilligen Leistungen von Kommunen auch in Zeiten hoher finanzieller Belastungen zu erhalten. „Die freiwilligen Leistungen sind für viele Menschen der Kern des gesellschaftlichen Lebens“, so Ockel. „Wir werden dafür kämpfen, dass auch zukünftig Traditionen wie das Andreasgelage gepflegt werden können.“
Eines habe die Finanzkrise immerhin geschafft: Die Kommunen seien zusammengerückt und die interkommunale Zusammenarbeit sei intensiviert worden. „Es gab in meiner Zeit als Bürgermeister noch nie einen so guten Austausch mit Kolleginnen und Kollegen gleich welcher Parteizugehörigkeit“, konstatierte der Bürgermeister. Dem stimmte auch der Erste Kreisbeigeordnete Adil Oyan in seinen Grußworten zu: „Das Andreasgelage steht für gute Nachbarschaft und verlässliche Partnerschaft. Das ist heute wichtiger denn je.“ Es sei schön, dass mit einer solchen Veranstaltung auch die Möglichkeit zum Austausch geschaffen werde – Austausch über die großen Fragen, aber auch die vielen alltäglichen Herausforderungen.
Gwechenberger schloss sich den Worten an: „Ich freue mich, dass wir heute ein Stück gute Nachbarschaft feiern können.“ Das helfe dabei, in einem gemeinsamen Dialog über die Themen zu bleiben, die für die Region so wichtig sind. Als Beispiele nannte er die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung sowie die klimatischen Herausforderungen. „Wenn man gemeinsame Ziele hat, kann man viel erreichen“, so der Frankfurter Stadtrat.
Nach den Grußworten gab der Volkschor drei Lieder zum Besten, bevor dann der Höhepunkt des Abends anstand: Der Festvortrag von Mario Becker. Der Dozent an der Goethe-Universität hatte lange Jahre die Museumspädagogik im Römerkastell Saalburg aufgebaut. Nach Kelsterbach war er gekommen, um die brennende Frage zu beantworten, die einst in dem Film „Das Leben des Brian“ gestellt wurde: „Was haben die Römer je für uns getan? Mal abgesehen von der Medizin, den sanitären Einrichtungen, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?“
In rund 40 Minuten gab Becker darauf die Antwort. Mit viel Fachwissen, einer Prise Humor und immer wieder die Brücke zur Gegenwart schlagend führte der Dozent das Publikum, das ihm regelrecht an den Lippen hing, in atemberaubendem Tempo durch die Zeit von Cäsars Eroberungszug durch Gallien bis zum Zerfall des römischen Reiches. Für diese mehr als unterhaltsame Geschichtsstunde gab es am Ende tosenden Applaus. „Ich habe noch niemals erlebt, dass ein Geschichtsvortrag stehende Ovationen erhält“, sagte Stadtverordnetenvorsteher Frank Wiegand in seinen an die Verköstigung der vom Tierschutzverein servierten Rindswürste anschließenden Schlussworten. Er freue sich, dass das Andreasgelage neben dem hervorragenden Festvortrag und der musikalischen Darbietungen auch die Möglichkeit des Dialogs zwischen politisch unterschiedlich ausgerichteten Personen biete. Dies sei gerade in Zeiten des aufkommenden Wahlkampfes wichtig. Mit den Worten „Nunc est bibendum“, was frei übersetzt „Nun lasst uns trinken“ bedeutet, wurden das letzte Mal die mit edlen Tropfen der Apfelwein-Kelterei Nöll gefüllten Gläser erhoben, mit Dank an das VBW sowie alle am Programm und der Durchführung Beteiligten für die wieder einmal sehr gelungene Pflege der Tradition des Andreasgelages. (sb)