Doppel-Zugabe: Roxanne de Bastion holt Simon Wahl zurück auf die Bühne.
Comedy und klare Kante bei Simon & Ingo.
Vor allem der Gipsy-Jazz eines Django Reinhardt inspirierte das Marion & Sobo-Trio.
Die Klosterruine mit ihrem besonderen Flair nach Einbruch der Dunkelheit.
Auch am Keyboard brillierte Roxanne des Bastion.
Ilse Doris Schöppke hatte nach der Ahrtalflut einen Gedichtband verfasst und trug daraus vor.
Illussionist Jean Oliver benötigte junge Unterstützung aus dem Publikum.
Rund 100 Gäste waren zum ersten Festivalabend gekommen. Die Freiheiter hätten sich über mehr Zuspruch gefreut.
Simon Wahl gilt als Meister der Melodien.
MARIENTHAL. TW. Sie wollen nach zweijähriger Pandemie endlich wieder losziehen und ihre Vereinszwecke leben, die Ahrweiler Freiheiter. Der „Förderverein der Ahrweiler Freiheitswochen“, so die genaue Bezeichnung, wartete dazu in der vergangenen Woche mit einem Angebot abseits der originären Freiheitswochen vergangener Jahre auf. „Zieh los“ waren Name und Motto eines zweitägigen Festivals in der Marienthaler Klosterruine. Ein Event, dass bereits im vergangenen Jahr stattfinden sollte, damals aber den Corona-Einschränkungen zum Opfer gefallen war. Nun aber konnten die beiden musikalischen anspruchsvollen Abende stattfinden. Sie boten dem Publikum in erster Linie jeweils zwei hochinteressante und unterhaltsame Angebote, die dem Untertitel „Feine Kultur im Ahrtal“ mehr als gerecht wurden.
Das Gros des Publikums schien sich vom Angebot überraschen lassen zu wollen und wurde es auch. Allesamt Top-Musiker boten die unterschiedlichsten Genres Den Auftakt am vergangenen Donnerstag macht Simon Wahl. Für den gebürtigen Bonner war es eine Art Heimspiel. Der heutige Wahl-Wiener beherrscht sein Instrument, die Gitarre, in absoluter Perfektion. Seine Akustik-Konzerte sind ein Genuss für die Seele, er wird als „Meister der Melodien“ bezeichnet und lässt die Hörer in andere Welten eintauchen. Das war in Marienthal nicht anders, wo Wahl überwiegend Stücke seines aktuellen Albums „Keep on Dreaming“ präsentierte. „Du machst die Augen zu und glaubst, ein halbes Dutzend Instrumente zu hören“, so eine Besucherin über die Vielseitigkeit des Virtuosen, dessen eigens kreierter Stil einen Mix von Pop, Rock, Klassik und Flamenco darstellt.
Ihm folgte als zweiter Act die Deutsch-Britin Roxanne de Bastion mit Wurzeln in Berlin und London. Ihre Großeltern waren einst aus Ungarn in die britische Hauptstadt geflohen. Die Singer/Songwriterin brillierte in Marienthal mit einer überwältigenden Stimme. Kein Wunder, dass die Musikwelt längst auf sie, aktuell tourt sie mit Katie Melua durch Deutschland und nahm am Tour freien Tag zwischen Konzerten in Berlin und Halle den Weg quer durch Deutschland nach Marienthal auf sich. Hier verzauberte sie das Publikum mit Stücken aus ihrem neuen Album „You & Me, We Are The Same.“ Darin geht de Bastion mit Sicherheit keine Allerwelt-Themen an. Im Gegenteil, sie beschäftigt sich in ihren Songs mit Gottheiten, die nicht irgendwo, sondern tief in einem drin zuhause sind. Sie singt mit ihrer klaren Stimme über Gentrifizierung, über den „echten Rainman“ Kim Peak oder über ihre selbst erlebte Elternliebe, wenn sie sagt: „My dad ans I share one shadow“, also „Mein Vater und ich teilen einen Schatten.“ Aber de Bastion ist auch politisch unterwegs, die Britin bezeichnet den Brexit das „das größte Eigentor.“ Und als das Publikum am Ende ihres Auftritts eine Zugabe fordert, bittet sie Simon Wahl auf die Bühne, gemeinsam spielen sie „Let it be“ von den Beatles.
Ganz anders startet der zweite Festivaltag. „Hippie Hippie Yeah“ heißt das aktuelle Album der beiden Kölner Wortakrobaten Simon & Ingo. Sie präsentieren dem Publikum einen bunten Mix auf Hip-Hop, Songwriting und Comedy. Ihre Texte erzählen von dummen Sprüchen auf verschenkten T-Shirts. „Ich lebe aus der Hosentasche“ berichtet vom eigenen Minimalismus und obwohl sie ihren Linkshang lautstark bestreiben, fragen sie sich in einem ihrer Lieder schon: „Warum sind Inlandsflüge billiger als Inlandszüge?“ Da passt dann auch der Werbesong der Marketing-Manager von Nestlé und Shell wieder ins Gefüge. „Wir haben nix zu verlieren außer einem schlechten Ruf.“
Musikalisch ebenso aufgedreht wie Simon & Info sorgten die Französin Marion und ihr polnischer Partner Sobo aus Polen für den musikalischen Abschluss des Festivals. Mitgebracht hatten sie Stefan Burger am Kontrabass. Das Trio sprühte voller musikalischer Lebensfreunde und präsentierte das aktuelle Album „Histoires.“ Dass sie viele Genres beherrschen, zeigten sie dem Publikum mit jedem ihrer Stücke, mal in französischer, mal in deutscher Sprache vorgetragen. Immer war der Schalk in ihren Texten zu spüren, wie dem Publikum beim „Die Badewanne voller Bier“ besonders deutlich wurde. Es ging um die berühmt berüchtigten Studentenpartys, wobei sich Marion bitterlich beklagte, dass die mit Anfang 30 dazu keine Einladungen mehr erhalte. Ihrem musikalischen Fokus näherte sich das Quartett mit jedem gespielten Stück. Sie sind große Verehrer des „Hot Club De France“ und damit des Gipsy Jazz, den einst Musiker wie Django Reinhardt kreierten.
Mit dem Festival „Zieh los“ setzten die Ahrweiler Freiheiter einen musikalischen Höhepunkt im Festivalsommer an der Ahr. Einen Top-Act aus den vier angebotenen Musikern und Bands auszumachen, war für das Publikum kaum möglich, zu unterschiedlich waren die präsentierten Genres, zu gut die die vorgetragene Musik. Einziger Wermutstropfen: das Festival hatte mehr Zuhörer verdient. An beiden Abenden kamen in Summe nur knapp 200 Gäste in die Klosterruine.
Bevor die Musiker die Bühne in Marienthal betraten, wurden sie von Spaßmacher Jean Oliver unterhalten. Der Zauberer und Illusionist mischte sich unters Publikum und brachte die Menschen gleichfalls von der Bühne herab zum Staunen. Und das immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Ernster waren dagegen die Themen, die Ilse Doris Schöppke vortrug. Sie hatte nach der Ahrtalflut einen Band mit eigenen Gedichten aufgelegt und brachte daraus einige ihrer Werke zu Gehör.
Simon Wahl in Ahrweiler
Simon Wahl konzertiert am Sonntag, 27. November 2022 in der Ehemaligen Synagoge Ahrweiler (www.synagoge-ahrweiler.eu). Karten können unter gerd.weigl@t-online.de bestellt werden.