Liebe Aßlarer,
die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels in der vergangenen Woche zwischen Bund und Länder lassen mich als Bürgermeister einer Kleinstadt mit rund 14.000 Einwohnern auch einige Tage später noch etwas sprachlos zurück. Das Bundeskanzleramt antwortete mit einem Schreiben von Anfang April auf einen von allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im Lahn-Dill Kreis unterschriebenen Brief mit der Bitte um Unterstützung, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine in Europa die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat. Es sei der Bundesregierung bewusst, dass dies die Kommunen, die mit der Unterbringung der Geflüchteten aus aller Welt betraut sind, aktuell vor besondere Herausforderungen stellt.
Vor diesem Hintergrund, die zusätzlichen finanziellen Mittel von 1 Milliarden Euro für die Unterbringung von Flüchtlingen als Erfolg des Gipfels auszuweisen, trifft bei mir auf großes Unverständnis. Wenn ich diese Summe durch die rund 11.000 Städte und Gemeinde in Deutschland aufteile, dann komme ich auf einen Betrag von EUR 90.909 pro Stadt. Die Bundesländer und Landkreise sind hier noch nicht berücksichtigt. Wenn ich nun in Betracht ziehe, dass die Aßlarer Stadtverordnetenversammlung aufgrund der gestiegenen Energiepreise alleine für das Haushaltsjahr 2023 EUR 100.000 als Mehrkosten für die Heizkosten für die modulare Wohnanlage, in der 59 Geflüchtete in unserer Stadt leben, eingeplant hat, dann könnten wir mit diesem Betrag noch nicht einmal diese Mehrkosten stemmen - ohne überhaupt nur einen weiteren Menschen, der aus einem Kriegsgebiet zu uns kommt, aufzunehmen.
Die Prognosen sind derzeit so, dass wir ab Juli mit einer monatlichen Zuweisung von rund 20 Geflüchteten in Aßlar rechnen müssen. Dies zu bewerkstelligen, ohne Gemeinschaftseinrichtungen wie Dorfgemeinschaftshäuser oder Sporthallen, die dann der allgemeinen Nutzung und den Sportvereinen nicht mehr zur Verfügung stehen, stellt uns vor eine sehr große - nein: vor eine fast unmögliche Herausforderung. In einer Zeit, in der insbesondere die Vereine, die ausschließlich durch den ehrenamtlichen Einsatz von unseren Bürgerinnen und Bürgern am Laufen gehalten werden und die sich nach den Schließungen von Sporthallen nach der Corona Pandemie gerade wieder neu aufstellen, tut es mir weh, dass es den Anschein hat, dass diese Verantwortung nun auf uns Kommunen, auf die unterste staatliche Ebene, auf alle die, die sich ebenso ehrenamtlich in der Kommunalpolitik zum Wohle ihrer Stadt engagieren, abgewälzt wird.
Mir tut es ebenfalls weh, dass Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns kommen, nicht weil sie wollen, sondern weil sie ihre Wohnungen, ihre Häuser und ihr Hab und Gut verloren haben, nun die Leidtragenden sind. Die, die mit ihren Familien und kleinen Kindern nach Europa kommen, können nicht in ordentliche Unterkünfte untergebracht werden, sondern wohnen in Zeltstädten, Turnhallen und Dorfgemeinschaftshäusern - dass dies keine Unterkunft auf Dauer sein kann, sollte jedem klar sein.
Und dennoch habe ich den Eindruck, dass man auf Bundesebene die Augen verschließt, wenn ich Zeitungsüberschriften in der FAZ lese, wie „Bundesinnenministerin Faeser lehnt Begrenzung des Zuzugs von Geflüchteten ab - Schwierige Lage der Kommunen“ (vom 06.04.2023) und stimme dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft zu, der daraufhin von tagesschau.de wie folgt zitiert wurde: „Wer immer noch nicht erkannt hat, dass die Kapazitäten für die Unterbringungen in den Städten und Kommunen längst erschöpft sind, der leidet offensichtlich an Realitätsverlust.“
Ich bin stolz auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Aßlar, die Hervorragendes leisten. Wir haben in Rekordzeit eine mobile Wohnanlage errichtet und etliche Wohnungen und Häuser im Stadtgebiet angemietet. Wir sind in guten Gesprächen mit Flüchtlingen, Vermietern, Unternehmen, dem Lahn-Dill Kreis und allen involvierten Behörden. So konnten wir schon etliche Arbeitsstellen vermitteln und bei der langfristigen Wohnungssuche unterstützen. Stolz bin ich auch auf die Entscheidungen der ehrenamtlich politisch Verantwortlichen in dieser Hinsicht, die in ihren Entscheidungen stets die Menschen, die zu uns kommen, im Blick hatten und uns ermöglichen trotz aller Widrigkeiten menschlich mit ihnen umzugehen.
Mein tief empfundener Dank gilt auch Ihnen, allen Aßlarern, die auch in dieser Situation nicht verzagen, sondern zuarbeiten, ihre Hilfe anbieten, in vielen Bereichen unterstützen und die Menschen aus anderen Ländern willkommen heißen und unterstützen. Vielen Dank dafür! Auch an dieser Stelle noch einmal der Appell: Wenn Sie Wohnraum haben, den wir Geflüchteten Menschen anbieten können, bieten Sie uns den gerne an. Unseren Ordnungsamtsleiter Timo Dietermann erreichen Sie unter 06441/803-300
Ich bin mir sicher: Gemeinsam werden wir die Lage hier vor Ort meistern - auch wenn uns die Ergebnisse von Bund und Ländern sehr enttäuschen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag und ein ruhiges Wochenende,