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Asslar - Die Woche
Ausgabe 41/2022
Gestaltung Innenteil Seite 9
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Werdorf schwätzt "Platt" – immer noch?

Karin Hahn-Schwehn (am Pult) und Ulrich Hahn (am Klavier) griffen mit der Mundart ein Thema auf, das alle bewegte.

Rund 50 Gäste waren in das Dietrich-Bonhoeffer-Haus gekommen und erlebten einen kurzweiligen Abend.

Am Donnerstag waren Ulrich Hahn und Karin Hahn-Schwehn auf den Spuren der "Plattschwetzer" in Werdorf unterwegs. Zusammen mit Gästen, die noch Mundart sprechen und aktiven Zuhörern versuchten sie im Dietrich Bonhoeffer-Haus heraus zu finden, wie es im Jahr 2022 im Ort um das Plattsprechen steht, wer es noch spricht und kann, wo die Verbindungen zum Hochdeutschen liegen und waren gespannt, ob sich nicht noch neue Aspekte im Gespräch auftaten. Stolze 50 Besucher hatten sich auf die Einladung des Heimatvereins angemeldet, so dass der Hohenlohesaal zu klein war, um coronagerecht zu bleiben. "Genoowed zesoome - schie, dass er all her gefonne hott", hatte Karin Hahn-Schwehn das Eis schnell gebrochen und jeder, der platt konnte und "mit schwetze" wollte, sprach so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. "Wenn man im Dorf unterwegs ist hört man es noch bei den 'Ureinwohnern', in manchen Vereinen oder am Stammtisch in der Kneipe, aber es wird immer weniger", bedauerte Hahn-Schwehn, dass "uus Kenn" es noch verstehen, aber nicht sprechen können. Die Durchmischung der Bevölkerung mit Menschen anderen Zungenschlags sieht sie als Hauptgrund. "Wenn zu Hause nicht mehr platt gesprochen und im Alltag verinnerlicht wird, kann es auch nicht gelernt werden." Als Beispiel gab sie ihren Mann Axel, der es wacker probiert hat und sogar eine Prüfung ablegen wollte. "Bis oaner saat: Axel, loss es seij, doas leeft bei dir se oarg ewwersch Henn." Aber wir, die es noch können, werden es auch so lange nutzen, wie es geht. Doch es wurdn nicht nur Anekdoten "vezeehlt", das Publikum war auch gefordert und durfte übersetzen. Zunächst mit ganzen Sätzen wie "Ich habe von dem Streit endgültig genug" - "Mir schickts mit dem Zoores!" und später mit einzelnen Wörtern, wobei festgestellt wurde, dass es für so manches "platte" Wort keine adäquate hochdeutsche Übersetzung gibt. Sich "Duutklimmich" fest zu halten bedeutet zum Beispiel, sich an etwas mit aller Kraft fest zu klammern. "Bedombe" ist es im Sommer, wenn es vor einem Gewitter schwül-warm und fast nicht auszuhalten ist. Ähnliches beschreibt das Wort "schmutschich". Bei der Aufzählung gab es viel zu lachen und nachzudenken, aber auch weitere Wörter konnten in die Sammlung aufgenommen werden. "Auch wenn wir uns manchmal nicht einig sind, wie es geschrieben wird, weil es halt keine 'Plattorthographie' gibt"plauderte Hahn-Schwehn aus dem Nähkästchen und gab auch noch einige Übersetzungen eines Edinger Experten zum Besten, wie zum Beispiel "Textilhaus Hagner führt keine Overalls mehr" - "Beim Käuert kriste koa Leib-un-Seel-Hose mieh". Weiten Raum in dem fröhlichen "Dorfgebabbel" nahmen auch die alten Dorfnamen ein. "Bei 20 Namen im Ort und 500 Einwohnern, brauchte es schon mal eine Eselsbrücke", so Ulrich Hahn. "Uunome" nannte man solche Bezeichnungen, die mancher so gar nicht hören wollte. Aussehen und Körpergröße spielten dabei eine ebenso große Rolle, wie Charakter, Beruf, Wohnort und Vieles mehr. Solche Familiennamen wie "Bieneweese", "Wissebauersch", "Kleebche", oder "Sträußjes" vererbten sich natürlich über Generationen und mancher hält sich bis heute. Um sie festzuhalten, wurden sie in der Festschrift zur 1250-Jahrfeier genannt. Des Weiteren wurden Wortbeispiele vorgetragen, die zwar in ganz Mittelhessen benutzt werden, aber durch den speziellen Akzent eines jeden Ortes auch schon mall verraten wo man her kommt. Themen waren dabei Essen du Trinken, Haushalts- und Gartengeräte, Tiere, Essen und Trinken, Menschen und Berufe oder Landschaft. "Hoingk" war als Pflaumenmus noch geläufig, die Krabbeleisd als Garderobenhaken ebenso und den "Gossestoa" (Gossenstein) als Waschbecken machte die Mundartgruppe "Fäägmeel" bekannt, aber hinter dem "Schlingginkelskrämer" ist so leicht nicht der Mensch, der Begonnenes selten beendet, zu erkennen. Das herrliche Sammelsurium sorgte für viel Spaß, machte aber auch nachdenklich: Zu schade, wenn dies alle verloren geht, weil es nicht mehr gesprochen wird. Und dann gab es da noch die Karte mit der mundartlichen Adresse, die sogar ankam: Oo uuse Fritz, bei den Kanunesoldoate, reid näwich dem der bleest - Mainz", will heißen "An unseren Fritz, Kanonier, reitet neben einem Trompeter - Mainz".