Heute am Volkstrauertag gedenken wir in Deutschland der Opfer von Gewalt und Krieg aller Nationen, den Verbrechen an Kindern, Frauen und Männern aller Völker.
Bei uns in Hessen wird der heutige Tag als sogenannter stiller Tag, zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und der Toten beider Weltkriege begangen.
Wir gedenken den Menschen, die verfolgt und getötet wurden und werden, weil sie einem anderen Volk angehören, einer anderen Rasse zugerechnet werden, Teil einer Minderheit sind oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Ich denke dieses alljährliche Gedenken ist, gerade in der heutigen Zeit und vor dem Eindruck der großen Flüchtlingsströme, ausgelöst durch all die verschiedenen Kriege und Auseinandersetzungen, die auf der Welt stattfinden, sowie insbesondere durch den fatalen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine für uns Alle besonders wichtig.
Zu Beginn des Ukraine-Krieges und der dadurch einsetzenden Flüchtlingsbewegung hat jemand gesagt:
„Wir sind betroffen, weil es uns betrifft!“
Dieser Satz trifft nach meiner Meinung die aktuelle Gemengelage recht gut! Viele von uns hier in Deutschland sind anscheinend, in all den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs ohne großartige Sorgen und Krisen, ein Stück weit dem Irrglauben aufgesessen, hier bei uns im Land auf einer einsamen Insel zu leben.
Wir haben irgendwie gedacht, dass all das, was sich ja schon in der Vergangenheit ab 2014 mit vermehrter Zuwanderung von Flüchtlingen abzeichnete, schon nicht so schlimm werden und irgendwann wieder in einen Normalzustand zurückkommen wird.
Viele waren vom Prinzip Hoffnung geleitet und wirkliche Krisen schienen weit weg zu sein. Eigentlich hätte aber annähernd jedem klar sein müssen, dass z. B. durch endlose Profitgier, Destabilisierung ganzer Länder im Nahen Osten oder durch aktiven Nationalismus und Minderheitenverfolgung in vielen Staaten, immer mehr Menschen gezwungen sein werden, ihre Heimatländer zu verlassen, um woanders Schutz oder Sicherung ihrer Lebensgrundlagen zu suchen.
Menschen werden, unabhängig von Krieg, in vielen Regionen ausgebeutet und damit in die Flucht getrieben. Es ist z. B. doch nicht normal, wenn auf einem Markt in Afrika chinesische Tomaten billiger angeboten werden, wie die der Bauern vor Ort, Kakaobauern in Ghana nicht wissen, dass aus dem, was sie da ernten, Schokolade gemacht wird, oder dass Familien in Asien nur dadurch überleben können, wenn ihre Kinder in Textilfabriken für einen Hungerlohn arbeiten müssen.
Auch ist in Frage zu stellen, ob die sogenannten westlichen Sichtweisen und Lebensideale sich tatsächlich für alle anderen Völker als Blaupause eignen oder ob sich hinter den anscheinenden Bestrebungen, manche Länder von ihren Diktatoren zu befreien, im Grunde doch nur wirtschaftliche Interessen verbergen, die in ihrem Resultat nur Tod, Leid und Vertreibung nach sich ziehen.
Ganz besonders und gerade im Hinblick auf unsere Geschichte in Deutschland unter der Naziherrschaft und dem was in der Ukraine aktuell passiert, muss von allen klardenkenden Bürgern unseres Landes, Nationalismus egal welcher Ausprägung rigoros verurteilt werden.
Leider ist es mittlerweile wieder so, dass in manchen Ländern nationalistische Parteien gestärkt werden oder gar an die Regierungen gelangen. Die Europäische Union und das damit verbundene Bekenntnis, es nie wieder zu einem Krieg in Europa kommen zu lassen, hat uns vor allen Dingen annähernd 80 Jahre Frieden in Mitteleuropa geschenkt. Dies darf unter keinen Umständen, egal aus welchen nationalen Bestrebungen heraus, aufs Spiel gesetzt werden.
Vor dem ersten Eindruck des Ukrainekrieges im Frühjahr und der Ungewissheit und Angst davor, wie sich das Alles weiterentwickeln wird, hat sich bei so manchem die Erkenntnis breit gemacht, dass Frieden keine Garantie beinhaltet, dass es immer so bleibt. Bei vielen unserer älteren Mitbürger, gerade bei denen, die nach dem zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat in den Ostgebieten vertrieben worden sind, wurden böse Erinnerungen ins Bewusstsein zurückgerufen.
In unserer Gemeinde haben im Moment fast 90 Menschen Zuflucht gefunden. Davon stammen etwa die Hälfte aus der Ukraine.
In Gießen in der Erstaufnahmeeinrichtung sitzen aktuell über 8000 Menschen vieler Nationalitäten, die ihre Heimatländer aus allen möglichen Gründen verlassen haben. Ich möchte an dieser Stelle einen ausdrücklichen Dank an alle Helferinnen und Helfer der Flüchtlingshilfe, allen Spendern und an die Bürger unserer Gemeinde aussprechen, die Geflüchtete bei sich in leerstehende Wohnungen aufgenommen haben.
Ohne diese Initiative und Hilfe wäre die ganze Situation alleine durch die Gemeinde nicht zu stemmen.
Wir hoffen auch weiterhin nicht in die Lage zu kommen, Flüchtlinge in unseren Dorfgemeinschaftshäusern notdürftig unterbringen zu müssen.
Ich habe heute absichtlich auf die Niederlegung eines Kranzes wie sonst üblich verzichtet. Den entsprechenden Geldbetrag übergebe ich zur weiteren Verwendung. Ich denke, da ist das Geld für einen guten Zweck besser aufgehoben.
Zum Schluss möchte ich noch auf ein geplantes Treffen am Dienstag, den 22.11.2022 um 18:30 Uhr im DGH Niederweidbach zu den Themen Flüchtlingshilfe und allgemeine soziale Situation in der Gemeinde aufgrund der Krisenlage hinweisen.
Ich wünsche Ihnen Allen einen schönen Sonntag und alles Gute.