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Mitteilungsblatt für die Gemeinde Bischoffen
Ausgabe 48/2023
Aus dem Rathaus wird berichtet
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Ansprache des Bürgermeisters zum Volkstrauertag 2023

Ich wünsche einen schönen guten Morgen und herzlich Willkommen hier am Ehrenmal.

Auch heute am Volkstrauertag 2023 erinnern wir in Deutschland in stillem Gedenken an die Opfer von Gewalt und an die Vertriebenen auf der ganzen Welt, die durch Krieg oder Verfolgung ihre Heimat oder gar ihr Leben verloren haben und ich danke Euch, dass Ihr an dieser Gedenkveranstaltung teilnehmt.

Zugleich erinnern wir in diesem Jahr im Besonderen der Toten des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, und derer, die auch im Jahr 2023 deshalb zu Flüchtlingen werden mussten.

Leider müssen wir in den letzten beiden Jahren Bilder sehen, von denen wir gehofft hatten, dass sie sich gerade auf unserem Kontinent niemals wiederholen würden.

„Nie wieder Krieg“

Dies war der zentrale Leitsatz hier in Europa, von dem man, anscheinend etwas ideologisch geleitet, dachte, allein dieses formulierte Ziel könnte über viele Jahre ein ausreichendes Model für ein friedliches Zusammenleben, für Freiheit und Demokratie aller Völker sein.

Diese Hoffnung wurde mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 fundamental zerstört und ich denke, so manchem von uns kamen und kommen auch heute noch - bei dem Gedanken wie sich das Ganze weiterentwickeln wird - schlimmste Szenarien in den Sinn.

Menschen werden zur Flucht gezwungen und auf beiden Seiten werden Frauen, Männer und Kinder durch einen Krieg getötet, den sie nicht haben kommen sehen.

Stand Oktober 2023 leben etwa 1,2 Mio. Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland. Dazu kamen im gleichen Zeitraum ca. 290.000 Asylbewerber aus anderen Ländern der Welt.

Ursprünglich zum Gedenken an die Opfer der Weltkriege und des Nationalsozialismus ins Leben gerufen, rechtfertigen alle auf der Welt stattfindenden Kriege, besonders der Ukraine-Krieg und die aktuelle Konfrontation im Gaza-Streifen, diesen Tag des Gedenkens uneingeschränkt.

Besonders ist bei mir selbst in den letzten Wochen wieder der Wahnsinn von Antisemitismus und dadurch bedingter Verfolgung ins Bewusstsein gerückt, indem wir Kontakt zur Familie eines in Niederweidbach geborenen ehemaligen jüdischen Mitbürgers haben, der in der letzten Woche in den USA seinen 90. Geburtstag feiern konnte.

Noch vor wenigen Jahren wurde die Notwendigkeit der Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag aufgrund des mangelnden Interesses aus der Bevölkerung in Frage gestellt.

Aber nicht nur die Tradition, sondern auch die Einsicht, dass die Thematik Krieg und Flucht in unserer heutigen Zeit aktueller denn je sind, sollte diese Frage deutlich beantworten.

Das Thema Flucht und Vertreibung ist uns, auch hier in unserer Gemeinde, in den letzten fast zwei Jahren, erneut nach 2015 drastisch vor Augen geführt worden und stellt uns vor besondere Herausforderungen.

Es werden uns Geflüchtete zur Unterbringung zugewiesen, Bürgerhäuser sind mit Betten ausgestattet und wir waren gezwungen, da wir die Menschen nicht anderweitig unterbringen konnten, eine Containeranlage aufzubauen und einzurichten. Ein Ende des Ganzen ist im Moment nicht absehbar.

Es werden dem Lahn-Dill-Kreis momentan vom Land wöchentlich zwischen 80 und 90 Personen zur Unterbringung zugewiesen.

Zur Wahrheit in dem Zusammenhang gehört leider auch, dass unser Land überfordert erscheint, den geltenden Gesetzen kaum Spielräume zu lassen und Ängste und Vorurteile in der Bevölkerung Gespräche und Meinungen beherrschen und den Ausgang von Wahlen beeinflussen.

Teilweise sind Parallelen zur Weimarer Republik unverkennbar und dies sollte uns Warnung genug sein.

Die noch vor ein paar Jahren und auch im letzten Jahr dankenswerterweise noch vorhandenen Helferkreise sind erschöpft und teilweise desillusioniert und bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr vorhanden.

Auch ist die Unterstützung von Seiten des Lahn-Dill-Kreises, der Regierung und der handelnden Sozialverbände in Richtung aktive Sozialarbeit, sicher auch durch mangelndes Personal bedingt, überschaubar bis nicht vorhanden. Sprachkurse sind Mangelware und die Bürokratie in unserem Land trägt zur ganzen Misere bei.

Die Geflüchteten werden momentan lediglich untergebracht und in der aktuellen Situation fehlt mir, im Hinblick auf mögliche Integration, bei den vorhandenen Strukturen in unserem ländlichen Raum schlichtweg die Phantasie wie Dies gelingen könnte.

Manch Einer mag verzweifeln, gerade wenn man die Nachrichten verfolgt und die Berichte über die Aufmärsche der in Deutschland lebenden Fundamentalisten bzw. Sympathisanten der diversen Despoten sieht, die sich teilweise aus zweiter oder dritter Generation der in Deutschland lebenden Ausländer zusammensetzen, und Mancher mag daher den Glauben daran verlieren, ob überhaupt noch irgendetwas Rettung vor all dem verspricht, was anscheinend in unserem Land aus dem Ruder gelaufen ist.

Dies Alles darf, trotz aller bestehenden Schwierigkeiten, uns aber nicht davon abbringen, dass es uns allen, gerade in Deutschland, ein Gebot sein muss, sich beharrlich für den Frieden einzusetzen und gerade bei unseren Kindern und Enkeln ein besonderes Bewusstsein dafür auszubilden, was Frieden bedeutet und damit dafür Sorge zu tragen, dass die mahnende Erinnerung an das Grauen des Krieges und die Folgen von fundamentalem nationalistischem Denken nicht verdrängt wird.

Die Allermeisten, wenn nicht Alle der hier heute Anwesenden, sind mit dem Glück beschenkt worden, hier in Deutschland geboren worden zu sein und wir konnten seit fast 80 Jahren Frieden in die Geschichtsbücher unseres Landes schreiben.

Daher müssen wir der Hoffnung in unserem Leben Raum geben.

Unser Grundgesetz gibt uns dazu die richtigen Leitplanken vor.

Wir sollten allerdings auch dafür sorgen, dass bestehende Gesetzte nicht dazu führen, dass Akzeptanzverlust und Unverständnis in der Bevölkerung die Oberhand gewinnen.

Grundsätzlich müssen wir erkennen, dass die Bereitschaft und der Wille zur Zusammenarbeit, zum guten Zusammenleben, zu unseren gemeinsamen Werten in einer freiheitlichen Demokratie, zu Solidarität und Toleranz unverzichtbar für den Frieden zwischen den Menschen in unserem Land, in Europa, darüber hinaus und im Kleinen in unseren Dörfern sind.

Dazu gibt es keine Alternative und es ist unser aller Auftrag uns täglich dafür einzusetzen.

Bleiben Sie trotz Allem zuversichtlich!

Ich wünsche Ihnen Allen einen schönen Sonntag.

Vielen Dank!

gez. Marco Herrmann
Bürgermeister