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Busecker Nachrichten
Ausgabe 43/2025
Aus dem Rathaus wird berichtet
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Von Wehrpflicht und Losen

Nachrichten aus dem Archiv

Aktuell ist die Wiedereinführung von Wehrpflicht und ein Losverfahren zur Aufstockung der zum Dienst verpflichteten jungen Männer in aller Munde.

Wie war dies denn früher, in einer Zeit an die wir uns nicht mehr aus eigener Erfahrung erinnern?

Das „Los“ begegnet uns in einer Akte des Gemeindearchivs zur Frage der Staatszugehörigkeit (hieß damals Heimatberechtigung) der mennonitischen Pächterfamilie Güngerich auf dem, zum Schloss gehörigen, Hofgut in Großen-Buseck.

Die Familie Güngerich war um 1800 aus dem zur Landgrafschaft Hessen-Kassel gehörigen Waldeck in den Raum Gießen und im Jahr 1825 nach Großen-Buseck gezogen. Gießen lag in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt (ab 1806 Großherzogtum Hessen). Güngerichs hatten somit nicht nur eine andere Religion als die Großen-Busecker Bevölkerung, sondern waren von ihrer Herkunft her Ausländer. Sie lebten bereits über 30 Jahre in Großen-Buseck, als ihnen die Ausweisung drohte. Es zählt nicht, dass sie im Ort gut integriert sind, vermögend und mildtätig. Sie konnten keinen Nachweis erbringen, dass sie aus ihrer alten Heimat Waldeck ausgebürgert und im Großherzogtum Hessen eingebürgert wurden. Innerhalb von 14 Tagen sollten sie das Gebiet des Großherzogtum Hessen verlassen. In dem umfangreichen Schriftverkehr zwischen Bürgermeister und Kreisamt scheint ein kleines Detail den Ausschlag gegeben haben: das Los.

Mennoniten sind Pazifisten, doch die drei Söhne wurden im Alter von 20 Jahren für den Wehrdienst gemustert und zogen Lose. Christian zog bei der Musterung 1845 die Losnummer 178, die Zwillinge Rudolph und Jacob 1856 die Nummern 208 und 171.(Quelle: GemA Buseck GB 1 Nr. 949)

Gemustert wurden jedoch nur „Inländer“, also Personen mit der erforderlichen Heimatberechtigung im Großherzogtum Hessen-Darmstadt, die der Familie Güngerich in dem Verfahren nicht anerkannt worden war – da sie nicht belegt werden konnte. Durch den Nachweis, dass die Söhne gemustert wurden und Lose gezogen hatten mussten sie zwangsläufig als Inländer betrachtet werden und durften in Großen-Buseck bleiben.

Was hat es mit dem Los auf sich?

Im Jahr 1821 erließ Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein ein Rekrutierungsgesetz (Quelle: GemA Buseck Bibl Nr. 22-1821) mit genauen Anweisungen zur Aufnahme von jungen Männern in den Wehrdienst. Hierzu waren alle jungen Männer „Inländer“ im Alter von 20 bis 26 Jahren verpflichtet. Da jedoch nicht alle Männer dieser Altersgruppen benötigt wurden setzte man zuerst auf Freiwilligkeit. Diese wurde im I. Abschnitt des Rekrutierungsgesetzes geregelt. Das Mindestalter wurde auf 16 Jahre festgelegt, wobei die Eltern dem freiwilligen Eintritt bis zum 20. Geburtstag schriftlich zustimmen mussten. Zwischen dem 20. und dem 32. Lebensjahr wurde jeder Freiwilliger - der die vorgegebenen Standards erfüllte zur Ableistung des Wehrdienstes, der in Friedenszeiten nun nur noch sechs Jahre, im Kriegsfall länger, dauerte - zugelassen. In diesem Fall durfte man die Waffengattung frei wählen.

Für den Fall, dass die gewünschte Anzahl von Soldaten auf Grund freiwilliger Meldungen nicht erreicht wurde, gab es ein Losverfahren.

Mit erfolgter Musterung und der Erklärung der Wehrpflichttauglichkeit mussten die jungen Männer ein Los ziehen. Die jeweilige Nummer wurde in der Liste der Wehrpflichtigen bei ihrem Namen vermerkt. Kein Los ziehen durften die jungen Männer, die bei der Prüfung versucht hatten zu tricksen um nicht als Wehrtauglich eingestuft zu werden. Diese durften „zuerst marschieren“, wurden also schnellstmöglich eingezogen.

Einmal im Jahr wurde der Bedarf an neuen Soldaten berechnet. Hierzu wurden Zu- und Abgänge ermittelt um festzustellen wieviel Personen über das Losverfahren in jedem Landkreis zum Militär einberufen werden mussten. Je höher die gezogene Losnummer war, desto größer die Chance (erstmal) keinen Wehrdienst leisten zu müssen. Da man jedoch bis zum 26. Geburtstag eingezogen werden konnte, galten Beschränkungen für die nicht eingezogenen Männern. So durften sie z. B. vor ihrem 23. Geburtstag nicht heiraten. Neben der Dienstuntauglichkeit wegen fehlender Körpergröße oder Krankheiten gab es eine Anzahl von Befreiungsgründen die den jungen Mann aus der ersten Linie der Wehrpflichtigen herausnahm und ihn in ein sog. Depot setzten auf das nur im Notfall zugegriffen werden sollte. Dazu gehörte die Versorgungspflicht des Musterungspflichtigen gegenüber seiner Familie, oder ob schon Brüder im Dienst verletzt oder gefallen waren. Eine weitere Möglichkeit ins Depot gesetzt zu werden ergab sich aus dem Mangel an Vermögen einer Familie. Wer, zusammen mit seiner Familie, weniger als 50 Gulden Steuer zu zahlen hatte, notorisch ohne Vermögen war, wurde ebenfalls ins Depot gesetzt.

Zur Überwachung der verschiedenen Befreiungsgründe führte jede Ortschaft ein Verzeichnis in dem die Familien mit ihren Kindern, dem Geburtsjahr, Beruf, Besitz und körperlichen Einschränkungen aufgeführt wurden. Aus Großen-Buseck ist uns ein solches Register aus der Zeit von 1816-1821 erhalten (Quelle: GemA Buseck GB 1 Nr. 588).