Das Bürgerarchiv der Gemeinde ist in Verbindung mit der NABU-Ausstellung jeden Mittwoch von 16.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.
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Tagebuchaufzeichnungen des Schreinermeisters
Christian Runkel (Auswahl)
Teil 6
Am 24. Mai fuhr die Bahn Biedenkopf - Dillenburg wieder zum ersten Male fahrplanmäßig. Die Marburg - Siegener Strecke ist noch nicht in Betrieb. Zu Pfingsten gab es wieder erstmals Bier in den Wirtschaften. Einzelne Luftschutzhelferinnen sind angekommen, Soldaten unterwegs. Von den seinerzeit mit genommenen jungen Leuten, einschl. Ortsgruppenleiter, die zuerst in Hersfeld, dann in Schwarzenborn lagen, sind nur ganz wenige angekommen. (von den Amerikanern verhaftete NS-Mitglieder)
26. Mai: Kaum sind die Kartoffeln aus dem Erdreich hervorgesprossen und noch nicht groß genug zum Eggen hört man schon, dass Kartoffelkäfer gefunden worden seien und zwar in Kleingladenbach und Wiesenbach. Heute sollen auch hier welche gefunden worden sein. Die heutige Suche, an der sich aus jeder Familie eine Person beteiligen musste. Es ergab sich, dass an der Straße nach Wolzhausen, Kleingladenbach und im Bachgraben schon eine ganze Anzahl gefunden wurde. Es wird alles aufgeboten werden müssen, um diesen so gefährlichen Schädling auszurotten. Wie kommt er bloß hier her? Nicht anders denkbar als durch Raupenabwurf!
27. Mai: Sonntag. Heute Mittag kam ein Auto mit 50 (deutschen) Soldaten auf dem Marktplatz an. Sie sollten von den Amerikanern nach Hause gefahren werden. Wie ein Lauffeuer ging es durchs Dorf. Einer rief es dem andern zu: die Soldaten haben Hunger! Bringt! Der Erfolg war kaum zu beschreiben. Die einen brachten Brot und Speck, andere ganze Taschen voll Waffeln oder ihren Kuchen, den sie am Nachmittag verzehren wollten. Desgleichen auch den Rest Zigaretten, der noch vorhanden war. Bei der Weiterfahrt gab es ein Danken, Grüßen und Winken ohnegleichen. Am Nachmittag kamen dann einige Soldaten von hier an:
Wilhelm Kamm, Karl Gerlach und Alwin Schmidt. In den Wochentagen kamen ebenfalls noch welche. Auch lange Flüchtlingskolonnen, die wieder in ihre Heimat (Eupen und Malmedie) zurückkehren wollten, füllten mit ihrer wenigen Habe auf Handwägelchen die Straße. Es ist herzzerreißend, das alles mit ansehen zu müssen. Ebenso, wenn die Bewohner von Siegen von Haus zu Haus gehen, um gegen den Hunger Kartoffeln zu sammeln.
Die Amerikaner verlangten, dass aus dem Lager Runkel 1/3 (der erhaltenen Sachen) zurückgegeben werden müsste, andernfalls Hausdurchsuchungen vorgenommen würden. Es ist dann auch viel zurückgegeben worden. Es ist unglaublich, aber wahr wenn man hört, dass einzelne Familien mehr als 60 Bettbezüge hatten. Jacken wollten sie keine. Die Lager der beiden Vereinshäuser sind ebenfalls entleert worden, der Inhalt ist nach Holland gekommen.
Die Splittergräben sind wieder zugeworfen worden. Eine Arbeit, die man den Parteimitgliedern zugewiesen hat. (..)
Die Rentenbezüge sind bis Mai ausbezahlt worden. Bei der Vorschußkasse kann jeder Kontoinhaber aus seinem laufenden Konto monatlich bis 50,-- RM abheben. Bei Spardarlehen auf Kündigung allerdings nicht.
Die Amerikaner warfen oben aus der Lehrerwohnung (Schule) eine ausgehobene, schwere Zimmertür auf den Hof. Wie sie jetzt aussieht, kann man sich denken. Auf den Anschlagtafeln machen sie bekannt, dass Personen, die im Besitz von amerikanischen Wehrmachtsgütern sind, schwer bestraft werden. Sie wollen damit die Bevölkerung warnen, etwas Zurückgebliebenes an sich zu nehmen. (..)
Die freie Ausgehzeit ist jetzt von morgens 5 bis abends 11 Uhr. Bei den zurück gekommenen Soldaten bleibt es bei der früheren Regelung (morgens 7 bis abends 9 Uhr). Pässe werden am Ausgang des Dorfes laufend revidiert. Die Nachfrage nach Speisekartoffeln aus der Siegener Gegend und auch sonst woher nimmt immer mehr zu. Manchmal schlagen (schließen) sich die Leute zusammen und laden sich dann ihre Sachen auf ein Handwägelchen. Auch mit einem Pferd bespannten Wagen kann man sehen.
Gestern bat mich einen Frau aus Siegen inständig, wenigstens um eine Fensterscheibe 40x100, da dorten keine erhältlich sei. Solange ich weiß, haben wir unser Fensterglas mindestens zu ¾ aus Siegen erhalten und nun so ein Jammer dort. Die Bahn läuft jetzt von Dillenburg bis nach Siegen. Nur müssen die Passagiere bei Haiger eine Strecke von 200 Metern zu Fuß laufen.
Die Leute beginnen mit der Heuernte, trotzdem das Wetter noch unbeständig ist. Einzelne Werke beschäftigen schon wieder eine Anzahl Arbeiter bis zu 5 Stunden. Sie beginnen aber jetzt mit ganzen Tagen. Hauptsächlich werden Maurer gesucht. Die Kinder unterhalten mit den Amerikanern einen lebhaften Handel. Wer 4 Eier bringt, erhält eine Schachtel Zigaretten.
Sonntag, den 17. Juni. Gestern wurde bekannt gegeben, dass das Rücktrittsgesuch des alten Bürgermeisters Weigel genehmigt und der neue Bürgermeister, Hermann Weber, bestätigt worden sein. Die Amerikaner sind im Laufe der Woche abgerückt. Dafür aber gleich wieder neue gekommen. Heute fuhr wieder eine Menge Flakgeschütze auf dem Hüttenplatz (Buderus) ein. Die Marburger Bahn fährt jetzt auch von Sarnau aus bis Lützel. Einzelne Betriebe stellen sich um, damit ihre Arbeiter wieder verdienen können. So fertigt der Betrieb Krämer, Nieder-Laasphe, Küchenschränke nach bestimmtem Modell für Bombengeschädigte sowie Kartoffeldämpfer und Waffeleisen an. Dies wurde seitens der Amerikaner genehmigt. Bereits über 400 Schränke sind bestellt und das schwierigste hierbei ist die Beschaffung der Schlösser.
24. Juni 1945. Es ist schade, dass wir der Nachwelt nicht eine Fotografie vom Westteil des Dorfes übergeben können. Besser wäre noch eine Aufnahme aus der Luft. Doch dies ist leider nicht möglich, da alle fotografischen Apparate abgegeben werden mussten. Dem Hüttenhaus gegenüber stehen in den Wiesen mindestens 20 Riesen-Flakgeschütze, wovon das Einzelne vielleicht 200 Ztr. Wiegt. Dieselben waren dort eingefahren und versunken. Am Sonntagmorgen mussten dann immer 2 Geschütze vorgespannt werden. Um sie aus dem Sumpf heraus zu bekommen. Man kann sich vorstellen, welche Gräben dort entstanden sind. Dann ist der ganze Hüttenplatz und Bahnhof mit Fahrzeugen aller Art überfüllt. Meißner, die Schule, das Hüttenhaus, Stebner usw. sind vom Keller bis zur Dachspitze mit Soldaten belegt. Dieselben sind große Kinder, die auch im Alter noch gerne spielen. Alles, was man Andenken heißen kann, wird von ihnen gesammelt und in die Heimat geschickt; vom Ehrenzeichen, Karabiner, Seitengewehr bis zum Geschützzielapparat wird alles in Kisten verpackt und übereignet. Dadurch erhalten einzelne Handwerker Arbeit und Zigaretten. In der Schule hämmert im Laufe der Woche fast jeden Abend einer die alte Nationalhymne „Heil dir dem Siegerkranz“ auf dem Klavier des Lehrers Gücker. Nebenbei bemerkt ist das Klavier den ganzen Tag über in Bewegung. Ich fragte einen Amerikaner, der gerade zu mir in die Werkstatt kam und deutsch sprach, was man davon halten solle. Ja, sagte der, es sind viele Deutsche (Essener) dabei. (..)
Ab und zu kommt auch ein Fahrzeug mit deutschen Soldaten durch, die in die Heimat gebracht werden. Auch kommen einzelne mit der Bahn an. Die Amerikaner sind im Großen und Ganzen gutmütig und harmlos. Wenn das Verbot nicht bestände, sich nicht mit den Deutschen zu unterhalten, wäre jedenfalls ein ganz guter Umgang da.
Sterbefälle gibt es immer noch viele. Die 3 letzten Särge, die wir machten, waren für Evakuierte bestimmt. Zwei hiervon hatten Wasser, wie ich es noch nicht gesehen habe. Heute geht schon wieder einer ab.
Karl Benner hatte 4 Jungens (Söhne zum Kriegseinsatz) stellen müssen. Zwei sind gefallen, einer davon in Afrika. Die anderen sind noch nicht zurückgekehrt. Seine Frau ist vor einigen Tagen beim Heu holen hinter dem Hausberg von einem Ast heruntergeschleudert worden. Sie kam sofort nach Marburg und ist dort gestorben.