Das Bürgerarchiv der Gemeinde ist in Verbindung mit der NABU-Ausstellung jeden Mittwoch von 16.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.
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Tagebuchaufzeichnungen
des Schreinermeisters Christian Runkel (Auswahl)
Teil 8
2. September 1945. Gar manches Fahrrad, das man für kurze Zeit abgestellt hatte, ist gestohlen worden. So war vorgestern ein Evakuierter, untergebracht bei Förster Schmidt, mit einem sehr guten Rad nach Biedenkopf gefahren. Als er dann auf der Rückfahrt sein Fahrrad, auf dem sich noch ein Säckchen Kartoffeln befand, für kurze Zeit bei Stephani abgestellt hatte, war es beim Heraustreten schon verschwunden. Aus Wallau wird gemeldet, dass Bewohnern die etwas abseits wohnen und Kartoffeln neben dem Haus angebaut haben, über Nacht ihre ganze Ernte von Dieben geraubt worden war.
Für die 79. Periode sind Raucherkarten ausgegeben worden und nun wird gemeldet, dass sie nicht beliefert werden können. Genauso wie die 78. Periode. Die Franzosen haben in der Pfalz die ganze Tabakernte beschlagnahmt, wie auch die Engländer in ihren Gebieten. Die Post ist jetzt montags, mittwochs und freitags geöffnet. Ein Aushang am Rathaus besagt, dass wegen der noch immer schwierigen Verkehrslage die Renten später nachgezahlt werden sollen. Die Bevölkerung erhielt in der ersten Zeit für Gegenleistungen von den Amerikanern manchmal etwas Tabak, Zigaretten, Seife oder sonstige Lebensmittel. Das hat jetzt aufgehört, da sie nichts mehr übrig haben, nicht mal eine Zigarette. Aber Schreibmaschinen und sonstige wichtige Gegenstände wandern heute noch nach Amerika.
9. Sept. 1945. Im Laufe der Woche wurde durch die Ortsschelle bekannt gegeben, dass sämtliche Fahrradbesitzer, wenn sie weiterhin fahren wollen, auf der Bürgermeisterei erscheinen müssen. Dort sind die Nummer und Fabrikmarke ihres Rades anzugeben und dann haben sie eine Gebühr von 10,- RM zu entrichten. Dafür erhalten sie dann einen entsprechenden Ausweis, auf Grund dessen sie ungehindert fahren können. Vor 50 Jahren hatten wir diese Maßnahme endgültig abgeschafft. Heute lebt sie wieder als gute Einnahmequelle auf Anordnung der Amerikaner wieder auf.
Die Grummeternte ist innerhalb einer Woche gut eingebracht worden. Der Ertrag ist zufrieden stellend. Noch nicht beschäftigte Arbeiter und Arbeiterinnen werden dauernd zur Meldung gemahnt. Die Besatzung hat sich verringert. Da man wegen der Kohlelieferung noch im Unklaren ist, wurde die Bevölkerung durchschnittlich mit 6 mtr. Holz versorgt. Grubenholz muss wie früher wieder freiwillig angefahren werden und dafür soll dann Kohle geliefert werden. Da im Ruhrgebiet nur 2 Zechen in Betrieb sind, kann die Hütte noch nicht wieder arbeiten. (Kohlemangel)
Soldaten (Einheimische) kommen immer noch welche an. Es fehlen aber trotzdem noch viele.
16. Sept. 1945. Heute ist der Tag, an dem wir früher unsere Kirchweihe feierten. Gottesdienst ist wohl angesagt, aber sonst erinnert nichts daran. Nicht jedem wird es beschieden sein, heute einen Kuchen oder ein Stück Fleisch auf dem Tisch zu haben. Am Dienstag, dem 10. haben uns die Amerikaner verlassen. Man hört aber heute schon wieder, dass wieder welche kommen sollen. Im Oktober soll wieder Schule gehalten werden. Ein neuer Lehrer ist schon angekommen. Die Räume, Türen und dergleichen müssen jedoch erst alle gründlich repartiert werden. Fast nichts davon ist mehr heil. Die früheren Lehrer Gücker und Ohl sind abgebaut. (Stellen gestrichen) Letzterer kam vor 3 Tagen als kranker Mann und um Jahrzehnte gealtert hier an. Seine Familie, wie auch die von Gücker sind schon lange weg.
Die Autos der Amerikaner fahren noch Tag und Nacht hier durch. Die Fruchtdrescherei wird in einige Tagen beendet sein. Sonntags fahren noch immer keine Züge. Riesenkürbisse sind geerntet worden, die 30 Pfund und mehr wiegen. So etwas hat man seither hier kaum gesehen. Die Bevölkerung beginnt, soweit überhaupt noch möglich, ihre Häuser und Möbel zu renovieren. Es fehlt jedoch meistens das erforderliche Material. Alle jemals von Nationalsozialisten verwalteten Ämter und Stellen werden neu besetzt. Vor einigen Tagen bekam ich ein Formular für eine nicht besonders wichtige Stelle zu sehen: Darin wurden von den Amerikanern wohl 60 Fragen gestellt.
Wohl werden neue Männer eingesetzt, aber sonst nicht viel geändert, außer den Renten. Dabei zeigt sich, dass der Eigennutz auch heute noch vielfach führend ist. Das Volk ist in seiner großen Mehrheit schlechter geworden und die Jugend durch die Parole „Jugend wird von Jugend geführt“ nicht besser. Auch wäre es an der Zeit, wenn die Ernährung hauptsächlich die der Nichtselbstversorger (=keine Landwirte) etwas besser würde. Ich habe das Gefühl, dass man überhaupt keinen Boden mehr im Leibe hat und nicht mehr satt wird. Suppen und Kartoffeln nimmt man in riesigen Mengen zu sich. Brot ist äußerst knapp und dann leidet man, besonders nachts, an Bauchweh.
Da die Industrie und auch sonstige Erwerbszweige noch brach liegen, wird das Hauptgewicht auf die Landwirtschaft gelegt. Ist auch richtig so.
Auf dem alten Friedhof beginnen einige Leute sich Wohnungen zu bauen. Wegen der Materialknappheit werden sie in diesem Herbst mit dem Kellermauerwerk Schluss machen müssen. Der Sand wird mit Autos aus dem Siegerland geholt und als Kalk verwendet man Sackkalk.
Von Diebstählen hört man sehr viel. Wer ausgemachte Kartoffeln in der Nähe der Straße stehen hat, muss damit rechnen, dass sie von Motorradfahrern in einem unbewachten Augenblick mitgenommen werden. Selbst Baumstämme verschwinden aus dem Walde. Da es nicht viel Obst hier gegeben hat versucht die Bevölkerung, wieder welches aus der Wetterau zu holen. Die Sägewerke in Oberdieten, Laasphe usw. sind noch immer von den Amerikanern beschlagnahmt
7. Okt. 1945 Vielleicht wird der eine oder andere später einmal fragen, wie sich die Verhältnisse nach dem Abzug der amerikanischen Truppen gestaltete hat. Hier sind sie weg. In Wallau ist an dem Kreuzungspunkt nach Westfalen die Kontrolle noch sehr scharf. Bei Meissner, in der Schule, im Hüttenhaus usw. sieht es, wie auch bei früheren Besuchen, noch sehr wüst aus. Nirgends ein Schlüssel, zerbrochene Fensterscheiben und Türen und was sonst noch alles damit zusammenhängt. Die Schule hat am Montag wieder begonnen. Ein Lehrer, eine Lehrerin und ein Pfarrer der den Religionsunterricht übernimmt sind die Lehrkräfte, die die Ausbildung der Jugend unter sich haben. Mancher Lehrer, Beamter, Arzt und dergleichen führt bittere Klage, weil man sie nur wegen ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP abgesetzt hat. Ein Urteil darüber wird wohl erst in einigen Jahren möglich sein. Ein Lehrer, der während der ersten Kriegsjahre bei Angehörigen der Eingezogenen die Kartoffelsäcke ins Haus getragen hat und auch sonst bei den Ernten seinen Mann gestellt hat, fragt: denkt denn kein Mensch mehr daran?
Wie sich die Verhältnisse gestalteten, bedarf eigentlich einer gründlichen Darstellung. Doch werde ich mich aus gewissen Gründen nur kurz damit befassen. Noch mancher Soldat ist zurückgekehrt, auch manche mit fehlenden Gliedern. Andere haben auf Umwegen ein Lebenszeichen von sich gegeben. Von einigen weiß man noch gar nichts.
Die im Sommer verhafteten Parteimitglieder und Amtsträger sind bis auf ganz wenige noch nicht zurückgekehrt.
Dass die Bevölkerung von Luftangriffen verschont blieb, die Verdunkelung aufgehört hat und die Besatzungsschwierigkeiten nicht mehr vorhanden sind, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Wenn man so abends beim Abtragen der Kartoffeln, beim Füttern des Viehs und dergleichen die Hoflampe aufleuchtet, fühlt man sich direkt in einer anderen Welt. Die Straßenbeleuchtung wird allerdings noch lange auf sich warten lassen.
Der Überlandpostkraftwagen kommt schon tageweise wieder durch. Die Straßen, die sonst kaum zu passieren waren, sind leer geworden. Der Hinterländer Anzeiger, der einige Tage in kleinem Format kam, hat sein Erscheinen wieder eingestellt.
Die Jugend hatte auf unserem Kirmestag am 16. September ein Tänzchen veranstaltet und heute findet das erste Treffen der Fußballmannschaft gegen Buchenau statt. Rauchwaren gibt es überhaupt keine mehr und nur die Tabakzüchter können noch qualmen. Davon haben wir schon viele hier. Die Bauern sind ungemein fleißig, um möglichst alle Arbeiten vor dem Frost noch zu erledigen. Spät abends sieht man immer noch welche auf das Feld fahren, um einen Acker zu bestellen oder sonstige Arbeiten vorzunehmen.