Titel Logo
Wochenzeitung für die Gemeinde Breidenbach
Ausgabe 42/2025
Aus dem Rathaus wird berichtet
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Bürgerarchiv der Gemeinde Breidenbach und NABU-Ausstellung

Das Bürgerarchiv der Gemeinde ist in Verbindung mit der NABU-Ausstellung jeden Mittwoch von 16.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.

Sondertermine sind nach Vereinbarung möglich.

Telefon während der Öffnungszeit:  — 68-39

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Das Bürgerarchiv informiert:

Tagebuchaufzeichnungen

des Schreinermeisters Christian Runkel (Auswahl)

Teil 9

10. Okt. 1945 Die Gräben und Abzugskanäle auf den Wiesen werden wieder wie früher gesäubert. Das gewohnte Bild des Herbstes. Die Kartoffel- und Gemüseernte war trotz des fehlenden Düngers immer noch befriedigend. Viele Waggons sind in die Städte abgerollt. Nur die Industrie und das Handwerk können sich wegen Mangel an Materialien noch nicht richtig entfalten. Dagegen werden Gegenstände aus der Industriegegend wie Schneidwaren, Äxte, Sägen, Schaufeln, Gabeln, Schraubstöcke, Ambosse, Ketten, Feilen, Rasierklingen usw. in Massen angebracht. Ein Beweis, dass solche Dinge vorhanden waren und nur künstlich zurückgehalten wurden.

In Wallau hat sich ein Schreiner auf die Anfertigung von Küchenschränken eingestellt und liefert jeden Tag 2 Stück. (..) Von den Evakuierten ziehen schon welche in die Städte zurück. Der Hunger ist bei den Nichtselbstversorgern immer noch sehr groß. Der Magen wird durch Kartoffeln und Gemüse überladen. Danach gibt es dann Bauchweh. Fett ist nach wie vor äußerst knapp.

Durch das Ausbleiben der Renten und die Stilllegung der Industrie beginnt sich allmählich eine Geldknappheit bemerkbar zu machen. Obst ist bis jetzt nur sehr wenig aus der Wetterau geholt worden. Die einzelnen Hamsterer sind es durch die zu überwindenden Schwierigkeiten leid geworden. Nur Wein wird noch eingeführt. In manchen Gegenden hat es auch dort am Spritzen gefehlt, so dass es keine Erträge gab.

Pro Person wurden 10 Pfund Salz ausgegeben. Der Brauerei Thome in Wolzhausen ist es gelungen ihren Betrieb, wenn auch in beschränktem Maße, wieder in Fluss zu bringen, obwohl der Besitzer Willi noch nicht aus dem Feld zurück gekommen ist. Wenn man bedenkt, wie wir so dahin vegetieren, ohne Zeitung, keinen Trunk Branntwein, nichts zu rauchen, magere Kost sowie Einschränkungen auf allen Gebieten, ist dies ein Ereignis, was nur freudig begrüßt wird.

14. Oktober 1945 Dadurch, dass Willi Lauber gefallen war, musste ich mich wieder nach jemandem umsehen, der die Akten der letzten Jahre für die Chronik durchschlug. (kopieren.) Hierfür stellte sich Frl. Krücke, ehemalige Lehrerin und eifrige Mithelferin, gerne zur Verfügung. Nun wurde ich erst am Sonntagnachmittag davon unterrichtet, dass Frl. Krücke bereits am Samstag beerdigt worden sei. Sie war nach Dillenburg ins Krankenhaus eingeliefert worden und war dort an Darmkrebs gestorben. ---

26. Oktober 1945 Im Laufe der Woche wurden auf dem Hüttenwerk verschiedene Beamte entlassen, weil sie Parteimitglieder waren. So auch u.a. Herr Schürg als Leiter. (--)

28. Oktober 1945 Die Stromversorgung war schlecht und zum Schluss des Monats sogar katastrophal. Nachts dagegen war immer Strom da. Die Ein- uns Ausfuhr von Kartoffeln und Obst in andere Kreise ist verboten worden und soll mit schwersten Strafen belegt werden.

Hier werden außer den Gefallenen und Vermissten noch ca. 73 Mann als noch nicht zurückgekehrt gezählt. Aus russischer Gefangenschaft entlassene Krieger sehen sehr verkommen aus. Kleidung und Schuhe sind zerrissen und einen fürchterlichen Bart haben sie alle. Sie werden den Kliniken zugeführt, gesäubert und erst wieder zu Menschen gemacht.

Kleine Handwägelchen mit Holz- oder Eisenrädern sind ein Ausgleichprodukt mit anderen Kreisen, womit dauernd viele Autos hin und her pendeln. Die Invaliden- und Altersrente wurde am 23. Oktober 1945 für den Monat Juli ausgezahlt.

5. November 1945 Das Backen von Weißbrot und Kuchen ist im Gemeindebackhaus wie auch bei den Bäckern verboten worden. Laut Anschlag der Überlandzentrale muss nach der geringen Zufuhr von Kohle im Haushalt mit gewaltigen Stromeinschränkungen gerechnet werden. Handwerksbetrieben werden 30 % abgezogen.

Der Baron Günter von Breidenbach, Heinrich Thomä, Schmied von hier, der erst vor kurzem zurückgekommen ist und einen Arm verloren hat, sowie der frühere Kassenrendant Eckhardt wurden durch schwarze Soldaten abgeholt und nach Frankenberg gebracht. Eckhardt war als Malaria-Kranker aus Rumänien entlassen worden.-

750 Evakuierte sollen hier untergebracht werden.

Sonntag, den 11. November 1945 (..) Das Kuchenbackverbot besteht noch. Die Haltung des deutschen Volkes ist moralisch sehr gesunken. Verrat, Eigennutz, Klatschsucht und Lügen sind die Hauptmerkmale. Menschen, die in der Partei waren, stellt man kalt. Ihre Häuser werden beschlagnahmt. Sie dürfen kein Geschäft mehr ausüben und nachts werden ihre Häuser mit allerlei Sprüchen beschmutzt, z. B.: „Lasst den Bonzen bald verschwinden, er verstand es, die Leute zu schinden!“ usw. Überall heißt es, die Menschen wären zum Eintritt in die Partei gezwungen worden. Andere wiederum sagen, dass sie nach wiederholter Anmeldung nicht aufgenommen wurden.

Baulustige, eigentlich muss man ja sagen: zum Bauen Gezwungene, haben einen sehr schweren Stand. Familien, die Besatzung hatten, erhielten von der Gemeinde noch einen Raummeter Brennholz separat.

Im Laufe der Woche wurde auf die Lebensmittelkarten pro Person 1 Hering ausgegeben.

Der Hinterländer Anzeiger erscheint jetzt wieder zweimal in der Woche. Darin hatte der Konservator Pfeil vom Heimatmuseum Biedenkopf einen Hilferuf erlassen. Das Museum, welches mit unendlicher Mühe in langen Jahren aufgebaut worden war, ist nach Kriegsende fast völlig zerstört worden. Türen und Schränke sind aufgebrochen, schützende Glasscheiben wurden eingeschlagen. Der Inhalt der Schränke wurde zum größten Teil geraubt, Bilder von den Wänden gerissen. Den Trachten hatte man Schuhe, Kleider und Tücher abgenommen. Was nicht mitgenommen worden war, fand man zum Teil zertrümmert in der Nähe des Schlosses. Und leider, leider auch in der Stadt. Auch ein Vorläufer unseres heutigen Fahrrades lag zertrümmert am Schlossberg. Die Verwüstung und Vernichtung von Gegenständen, die den Interessen vieler Menschen diente, ist mit gesundem Menschenverstand nicht zu begreifen. Diese Gegenstände sollten doch Zeugnis geben vom Fleiß und der Geschicklichkeit sowie der Kunst und Gebräuchen früherer Zeiten. Selbst die vorsorgliche Maßnahme der Militärbehörde, die den Zutritt zum Heimatmuseum bei Strafe verbot, konnte die Zerstörung nicht aufhalten. Auf die durch das Bürgermeisteramt veröffentliche Aufforderung die entwendeten Sachen wieder zurück zu geben, hat sich bis heute niemand gemeldet.

21. November 1945. Gestern wurde bekannt gemacht, dass der Buß- und Bettag, der heute gefeiert wird, wieder als gesetzlicher Feiertag gilt. Das heutige Mittagessen, bestehend aus einigen Stückchen Kartoffeln und ganz wenig Tunke, ist wohl ein Abbild unserer Zeit. Ich weiß, dass es bei manchen besser ist, habe aber dennoch keinen Grund zum klagen wenn ich an die denke, die kein schützendes Dach mehr über sich haben, kein Bett und keine Heimat mehr besitzen. Dann auf der anderen Seite, die Gegenseitigen, aus Hass geborene Anklagen dem nächsten Gegenüber. Wie müssen andere Völker darüber denken und ihre Glossen machen. Bäcker, Wirte, Metzger und andere Geschäftsinhaber müssen einfach ihre Geschäfte schließen, weil sie Mitglied der Partei oder vor der Machtergreifung SA-Männer waren. Aus dem Krieg zurückgekehrte Kranke und Verstümmelte werden aus ihren Häusern geholt und man weiß nicht, wohin sie gebracht werden. Dabei treffen auch immer noch Meldungen von Gefangenen ein.

Hunderttausende, die nicht mehr an ihre Werkbank oder in ihre sonstigen Berufe zurückkehren können, werden aufgefordert, Bauarbeiter zu werden. Oder sich durch einen kurzen Kursus dazu ausbilden zu lassen.

(Wird fortgesetzt.)