Liebe Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Breidenbach.
Als die Gemeinde Breidenbach in 1981 damit begann, am Volkstrauertag eine zentrale, gemeindliche Gedenkstunde durchzuführen, waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass es eigentlich eine selbstverständliche Pflicht einer Gemeinde sein muss, sich an diesem Tag in würdiger Form der Opfer des Krieges und der Kriegseinwirkungen zu erinnern und zu gedenken.
Und so wie in anderen Gemeinden und Städten wollen wir uns dabei in besonderer Weise an die Menschen aus unserer Gemeinde erinnern, die durch den Krieg ihr Leben verloren haben, die aus dem Krieg mit schweren körperlichen Schäden, an denen sie ihr ganzes Leben lang zu tragen haben, zurückkehrten, an die vielen Hinterbliebenen, die den Verlust des Sohnes, des Mannes, des Vaters des Bruders zu beklagen haben, an diejenigen die aus ihrer Heimat flüchten mussten, an diejenigen, die auf Grund ihrer Rasse verfolgt und ermordet wurden, aber ich denke, man sollte auch an diejenigen erinnern, die durch den Krieg Jahre ihres Lebens, ihrer Jugend verloren haben, die unter vielen Ängsten und Schmerzen die Schrecken des Krieges ertragen mussten, aber noch einmal davon gekommen sind - wie man so schön zu sagen pflegt.
273 Menschen aus der Gemeinde Breidenbach wurden Opfer des letzten Krieges, sie bezahlten mit ihrem Leben für einen Krieg, den sie bestimmt nicht gewollt haben. 273 Menschen wurden aus ihren Familien gerissen, sie hinterließen Mütter, Frauen Kinder und ihr Tod schlug eine schwere Wunde in das dörfliche Leben, ihr Tod brachte unendlich viel Trauer, Schmerz und Not in unsere Dörfer, die von der Frage nach dem Sinn des Krieges begleitet wurden und sicher verspürte man auch Wut und Zorn über das was geschah und wurde sich zugleich seiner Ohnmacht bewusst.
43 Jahre nach dem Ende des Krieges ist die Wunde zwar verheilt aber die Narbe ist noch immer deutlich sichtbar und sie wird uns immer wieder an das erinnern was geschehen ist und was täglich geschieht.
Denn diese Narbe beginnt nicht in einem Ortsteil unserer Gemeinde und sie endet auch nicht an einem Ortsteil unserer Gemeinde - nein, sie zieht sich wie ein hässliches Ungeheuer über die ganze Erde hinweg sie heilt in manchen Teilen der Erde zu, sie schwelt und schwelt in anderen Teilen der Erde und sie bricht irgendwo auf der Welt erneut blutig auf. Und diese hässliche Narbe Krieg bedeutet für die Menschen auf dieser Erde Not, Elend, Tod, Verfolgung Hunger, Folter, Unterdrückung.
Bei einer Gedenkstunde zur Pogromnacht am 9. November in 1938 sagte der Referent: „Die Menschheit steht heute vor einer Chance, wie nie zuvor in ihrer leidvollen Geschichte. Das Wissen reicht aus, um Elend und Hunger in der Welt zu beseitigen“. Und man könnte hinzufügen, nicht nur das heutige Wissen, sondern auch der in bestimmten Bereichen der Erde vorhandene Wohlstand reichte dafür aus, dass die Lebensverhältnisse auf dieser Erde menschlich gestaltet werden könnten. Doch anstatt aus der Geschichte zu lernen, muss man feststellen, dass dieser Lernprozess nicht stattgefunden hat, dass sich die Rüstungsspirale trotz den Vereinbarungen der Großmächte immer weiter nach oben dreht und dass man immer noch glaubt, Sicherheit sei durch immer neue und raffinierter Rüstungstechniken erreichbar.
Und so werden, anstatt Hilfe für die notleidenden Mensche zu bringen, immer weiter und weiter Milliarden Beträge in die Rüstung gesteckt.
Dies ist heute die 8. Veranstaltung der Gemeinde Breidenbach und nachdem sich der Kreis der Veranstaltungen in allen Ortsteilen hier in Breidenbach zum ersten mal schließt, kann man auch einmal über die Beteiligung der Breidenbacher Bürgerinnen und Bürger an diesen Gedenkstunden nachdenken und ich stelle fest, dass eigentlich alle Veranstaltungen recht gut besucht waren und dass der Gedanke, diese zentrale Gedenkstunde durchzuführen viele Breidenbacher Bürger dazu gebracht hat, an diesem Volkstrauertag der Opfer zu gedenken.
Ich stelle aber auch fest, dass es gemessen an der Zahl der Breidenbacher Einwohner zu wenige dabei waren und ich stelle weiter fest, dass sehr oft die gleichen Teilnehmer bei diesen Gedenkstunden anwesend sind. Das sind die Menschen, die direkt betroffen sind und andere, die es ganz einfach für ihre Pflicht halten, sich an diesem Tag in einem solchen Rahmen zu erinnern und zu gedenken.
Ich will mich aber auch nicht scheuen, einmal danach zu fragen, wo die große Zahl der Breidenbacher Bürger heute ist, wo ist denn die große Zahl der Vertreter aus den gemeindlichen Gremien, wo sind denn zum Beispiel diejenigen, die für die Erziehung unserer Jugend verantwortlich sind, wo sind denn die Jugendlichen, wo sind denn unsere Kinder, wo sind denn zum Beispiel meine Kinder, wo sind denn die Verantwortlichen aus der Wirtschaft und der Industrie, wo sind die Vertreter der Vereine, Organisationen und Verbände, wo sind denn all diejenigen, die dafür streiten müssten, dass uns der Frieden, die Freiheit, das Recht zur freien Meinungsäußerung erhalten bleiben?
Warum ist es nicht möglich, dass wir uns an diesem einen Tag im Jahr zusammen finden, um uns gemeinsam zu erinnern, einmal gemeinsam zu trauern, einmal gemeinsam begreifen was geschehen ist und nie mehr geschehen dürfte, einmal gemeinsam auch darüber nachdenken wieso es Kriege gibt, welche Interessen dahinter stehen und was wir tun müssen, was wir dazu beitragen können um den Frieden zu bewahren. Könnte ein solcher Tag nicht zu einer großen Friedendemonstration werden? Wir müssen uns die Frage stellen, warum dies nicht möglich ist. Liegt es an unserer Gleichgültigkeit? Ist es Gedankenlosigkeit? Ist es vielleicht Resignation mit dem Gefühl der Ohnmacht, dass man ja doch an all dem nichts ändern kann?
Ich denke es ist von allem etwas.
Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit vielleicht deshalb, weil wir ja doch in Frieden leben und dies als selbstverständlich betrachten.
Aber Frieden ist nicht selbstverständlich. Und Frieden ist auch nicht einfach schon da, nur weil die Waffen ruhen. Frieden müssen wir auch mit uns und unter uns praktizieren. Zum friedlichen Leben gehört zum Beispiel auch der Gebrauch unserer Sprache. Denn nicht nur Waffen können verletzen und verwunden, nein auch Worte. Beobachten wir doch einmal unseren eigenen Sprachgebrauch gegenüber Andersdenkenden, gegenüber Menschen einer anderen Rasse, eines anderen Volkes, eines anderen Glaubens oder auch gegenüber einem Menschen mit einer anderen Lebensweise. Hören wir in unserer täglichen Umgebung doch einmal genau hin, wie mit Hilfe der Sprache ganz bewusst gedemütigt und verletzt wird, möglicherweise nur, um dem anderen zu zeigen, dass man mächtiger und einflussreicher ist.
Deshalb meine ich, dass der Umgang mit unserer Sprache wesentlich zum friedlichen Leben untereinander beitragen kann. Leider geben zahlreiche führende Personen und unsere Politiker in der Bundesrepublik dazu oft recht negative Beispiele.
Zu Möglichkeiten des friedlichen Miteinanders könnte man noch viele Beispiele bringen, doch ich möchte auch etwas zu den möglichen Gefühlen der Ohnmacht und der Resignation sagen. Ich denke, dass schon recht viele Menschen diese Einstellung und diese Erkenntnisse haben und wer mit wachen Augen das Geschen in der Welt betrachtet, der sieht keine großen Alternativen zu diesem Geschehen.
Es ist schon bedrückend zu sehen, wie nach wie vor ganze Völker unter Macht und Gewalt zu leiden haben, es ist schon bedrückend zu sehen, wie sich die Starken zu den Schwachen verhalten, es ist schon bedrückend anzuhören, wenn man immer von Frieden spricht und immer mehr Rüstung für die Vernichtung der Menschen produziert, mittlerweile in erheblichem Umfang auch in unserem Land, es ist schon bedrückend, wenn man sieht, wie um eines wirtschaftlichen Erfolges wegen mit unserer Umwelt umgegangen wird, es ist schon bedrückend zu sehen, wie wenig lernfähig die Menschen doch eigentlich sind.
Aber trotzdem, wenn wir uns nicht dagegen wehren, wenn wir nicht dagegen aufbegehren, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn es immer wieder zu neuen schrecklichen Kriegen kommt. Deshalb ist Resignation ein schlechter Begleiter für die Veränderung unserer Welt und wir müssen sie deshalb ablehnen.
Im Zusammenhang mit der Mobilisierung zum Krieg wird oft heroisch von dem Wort „Mut“ Gebrauch gemacht. Mut braucht der Soldat, damit er kämpfen kann so argumentiert man und meint aber wohl, Mut braucht der Soldat, damit man ihn zum sterben führen kann.
Ich will abschließend sagen:
Mut brauchen wir, Mut braucht die Menschheit, damit wir in Frieden leben können und wir brauchen keinen Mut, um im Krieg sterben zu sollen. Mut brauchen wir dazu, um offen menschliches Fehlverhalten auszusprechen, Mut brauchen wir dazu menschenverachtendes Verhalten beim Namen zu nennen, Mut brauchen wir dazu, um auf Machtmissbrauch, auf Intoleranz, auf Unterdrückung, auf fahrlässige Zerstörung unserer Landschaft hinzuweisen denn nur so, denke ich, können wir mit unseren Möglichkeiten Schlimmeres verhindern.
Wir leben in einem demokratischen Staat - uns ist im Gegensatz zu vielen anderen Staaten die Möglichkeit gegeben, offen und mutig zu reden. Wenn wir von dieser Freiheit Gebrauch machen und uns dabei daran erinnern, wohin die Menschheit durch schweigen und dulden geführt wurde, dann leisten wir mit Sicherheit einen wesentlichen Beitrag zum Frieden. Dann darf es allerdings nicht nur bei dem Gedenken und erinnern am Volkstrauertag bleiben, sondern dann müssen wir dies Tag für Tag neu üben und praktizieren.
„Nehmen wir uns doch diesen Mut!“