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Geisaer Zeitung
Ausgabe 22/2023
Gestaltung Seite 6
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2. Stolpersteinverlegung in Geisa

Bürgermeisterin Manuela Henkel und Johannes Henning, Vorsitzender Heimat- und Geschichtsverein moderierten die 2. Stolpersteinverlegung am "Judenhauck" in Geisa

Der Kirchenchor Geisa sorgte für die musikalische Umrahmung bei der Stolpersteinverlegung

11 Stolpersteine für die Familien Stern, Heilbrunn und Riese wurden verlegt

Emilia Rohm trug das Gedicht "Der Schmetterling" vor

Die Nachfahren der Familien Stern, Heilbrunn und Riese mit Johannes Henning und Bürgermeisterin Manuela Henkel an der Gedenkstätte

Viele Gäste waren der Einladung zum Empfang in die ANNELIESE DESCHAUER Galerie gefolgt

Shavit Yariv, Enkelsohn von Albert Stern, bedankte sich im Namen der Familien für das Zeichen der Versöhnung

(v.l.n.r.) Bernice Heilbrunn, Übersetzerin Marianne Reum und Bürgermeisterin Manuela Henkel

Geisa. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Mit diesem Zitat aus dem jüdischen Talmud begrüßte Geisas Bürgermeisterin Manuela Henkel zur zweiten Stolpersteinverlegung in Geisa. Am Schlossberg, dort wo einst die jüdische Synagoge der Stadt stand, wurden zum 85. Jahrestag der Reichskristallnacht elf Stolpersteine in Erinnerung an ehemalige jüdische Mitbürger, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, verlegt. Die Bürgermeisterin begrüßte die Familienangehörigen aus Deutschland, Israel und den Vereinigten Staaten, Vertreter der katholischen und evangelischen Kirchengemeinden, der Schulen sowie zahlreiche interessierte Bürger zu diesem denkwürdigen Anlass. „Mit den Steinen wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten. Die Steine sollen die Namen zurückbringen und an jedes einzelne Schicksal erinnern“, betonte Manuela Henkel. Im Vorfeld hatte die Stadt gemeinsam mit dem Heimat- und Geschichtsverein über Spenden und den Verkauf des Buches „Jüdisches Leben in Geisa“ die Finanzierung der Stolpersteine ermöglicht. „Es freut uns sehr, dass wir mit dieser Unterstützung die zweite Verlegung am Platz der ehemaligen Synagoge umsetzen können“, betonte Johannes Henning, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereines „Geisaer Amt“. „Dieser Platz steht wie kein anderer für die jüdische Gemeinde in Geisa und die Verbundenheit ihrer Mitglieder.“ Gemeinsam mit der Bürgermeisterin verlas er dann die Namen der jüdischen Mitbürger, die nach Buchenwald, Theresienstadt oder Ausschwitz deportiert und dort ermordet, teilweise aber auch bei der Flucht in die USA oder nach Israel gerettet werden konnten. Dabei verlegten die Schülerinnen des Gymnasiums Vacha Katharina Waider, Mia Siebert und Emilia Rohm unter Mithilfe von Bauhofmitarbeiter Andreas Rothardt die einzelnen Steine. Emilia Rohm gab im Anschluss das Gedicht: „Der Schmetterling“ von Pavel Friedmann, einem 17jährigen jüdischen Jugendlichen, der in Ausschwitz ermordet wurde, zu Gehör. Musikalisch begleitet wurde die Stolpersteinverlegung vom Kirchenchor Geisa. Im Anschluss lud die Bürgermeisterin alle Gäste und Besucher in die ANNELIESE DESCHAUER G a l e r i e zu einem Empfang mit Austausch ein. Dieser startete musikalisch mit der Musikschule des Wartburgkreises. Das Klarinetten-Duo Annalena Reuter und Anna Diel sowie die Akkordeon-Gruppe, bestehend aus Malin Schlegel, Hardy Tschaar und Mailin Eckert unter der Leitung von Beate Bach, trugen nachdenkliche Stücke, darunter auch jüdische Weisen vor. „Seit dem 16. Jahrhundert lebten vereinzelt Juden in Geisa“, berichtete Manuela Henkel bei ihrer Begrüßung. Im 18. Jahrhundert machte die jüdische Gemeinde teilweise bis zu elf Prozent der Bevölkerung aus. In einem Vortrag von Johannes Henning konnten die Gäste dann noch tieferen Einblick in die jüdische Geschichte von Geisa erhalten. „Ab wann es eine Synagoge in Geisa gab, ist nicht sicher festzustellen“, so Henning. Fest stehe aber, dass das 1858 abgebrannte Gotteshaus bereits 1862 wieder neu eingeweiht wurde. 1863 wurde die uneingeschränkte Gewerbefreiheit für Juden in Sachsen-Weimar-Eisenach eingeführt. „In diese Zeit fällt auch das Wirken der großen jüdischen Söhne unserer Stadt: Botaniker Moritz Goldschmidt und Arzt Dr. Hermann Koch“, berichtete Johannes Henning. Da die Gewerbefreiheit in Geisa nicht die erhoffte Wirkung zeigte, schmolz die Zahl der jüdischen Gemeinde von 180 auf 131 Personen. 1933 reduzierte sich die Gemeindegröße der Juden abermals vom Jahre 1910 mit 93 Einwohnern auf nur noch 61 Personen. Die Anzahl der Geschäftshäuser ging von 27 im Jahre 1918 bis zur Machtübernahme der Nazis auf acht zurück. Der Reichskristallnacht am 9. November 1938 fiel auch die jüdische Synagoge in Geisa zum Opfer. Auch heute findet man in der Stadt noch viele Spuren der einst so reichen jüdischen Geschichte. Diese reichen vom Judenfriedhof, bis hin zu Gedenksteinen, dem heute noch in der Bäckerei Faber zu Weihnachten und Ostern gebackenen jüdischen Festtagsbrot „Berches“ und einem vor kurzem aufgefundenen Purimteller aus der jüdischen Synagoge, der im Museum ausgestellt ist. Manfred Dittmar aus Geisa berichtete im Anschluss von seinen Kindheitserfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. In seinem Elternhaus lebte einst der jüdische Mitbürger Berthold Riese, um den man sich liebevoll in der Familie kümmerte. Das Haus befand sich im Übrigen gleich gegenüber der einstigen jüdischen Synagoge. Manfred Dittmar kann sich noch sehr gut an die Deportation von Berthold Riese erinnern und hatte sich auch für die Verlegung eines Stolpersteines für ihn eingesetzt. Dieser hatte selbst keine Nachkommen und wurde am 12. Dezember 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Shavit Yariv, Enkelsohn von Albert Stern, dem die Flucht nach Israel glückte, bedankte sich im Namen der Familien für dieses Zeichen der Versöhnung und berichtete von der großen Verbundenheit seines Großvaters zu Geisa. Auch Bernice Heilbrunn aus den USA erzählte aus dem Leben ihrer Großeltern in Geisa, die in Ausschwitz und Theresienstadt den Tod fanden. „Der heutige Tag ist ein Zeichen der Versöhnung“, betonte Geisas Bürgermeisterin. „Wenn wir die Versöhnung im Kleinen umsetzen können, dann muss sie in der gesamten Menschheitsfamilie auch irgendwann im Großen möglich sein.“