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Geisaer Zeitung
Ausgabe 8/2024
Gestaltung Seite 3
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Verlust und Neuanfang

Zahlreiche Besucher verfolgten die szenische Lesung von Franziska Jakobi im Simplicius-Keller im Schloss Geisa

Geisa. Emotional und außergewöhnlich präsentierte sich die szenische Lesung „Entrissene Welten – Kaleidoskop der Erinnerungen“ dieser Tage im Simplicuskeller im Schloss Geisa. Die vom Point Alpha Research Institute (PARI) und der Stadt Geisa gemeinsam organisierte Veranstaltung verknüpfte Geschichten über die Heimat, den Heimatverlust und die Neuorientierung dreier Generation von den 1960er Jahren bis heute. Agnés Arp von der Universität Erfurt konnte dazu im Namen der Veranstalter zahlreiche Interessierte begrüßen. Die Lesung gab den Besuchern einen tiefen Einblick in verschiedenste Erfahrungen über das eigene Zuhause, den Verlust und den Neuanfang. Sowohl Kindheitserlebnisse in turbulenten Zeiten als auch das Streben nach einem besseren Leben in einer Welt der Orientierungslosigkeit damals und heute wurden thematisiert. Mit einer außergewöhnlichen Choreografie sowie erzählerischen Einlagen arbeitete die Autorin und Performerin Franziska Jakobi in diesem Stück ihre eigene Familiengeschichte auf. Ihre Vorfahren stammten aus dem im ehemaligen Sperrgebiet gelegenen thüringischen Ort Motzlar und wurden vom DDR-Regime in den 1960er Jahren zwangsevakuiert. Sie selbst wuchs in den 90er Jahren in einem, so wie sie es formulierte, desorientierten Ostdeutschland auf, bevor sie 2015 nach Hamburg zog. Dort konnte sie durch die gewonnene Distanz vieles besser einordnen. Mit Beginn des ukrainisch-russischen Konfliktes und durch ukrainische und russische Freundschaften in der Hansestadt wurden für sie die Themenverknüpfungen von früher zu heute besonders deutlich und gemeinsame Verständnisebenen wurden sichtbar, auch zwischen den Generationen. Die szenische Lesung stellte den sich immer wieder vollziehenden Kreislauf von Geborgenheit, Verlust und Neuorientierung im Machtsystem von Ost und West gekonnt und ausdrucksstark dar. Gemeinsam mit dem Musiker und Schauspieler Mikhail Poliakov und der Choreografin und Tänzerin Finja Kelpe gelang es Franziska Jakobi an dem Abend neue Perspektiven aufzuzeigen. Durch die Interdisziplinarität wurde so auch das Nichtsagbare auf die Bühne gebracht und in verschiedenen Darstellungsformen ausgedrückt. Mit weiteren Erzählungen von geflüchteten und emigrierten Kulturschaffenden aus der Ukraine und aus Russland wurden emotionale Querverbindungen zwischen den einzelnen Ereignissen über die Generationen hinweg aufzeigt. Emotional und außergewöhnlich boten die Darsteller des Abends durch die Verknüpfung persönlicher und lokaler Erinnerungen mit historischen Bezügen ein faszinierendes theatralisches Bild der Ost-West-Geschichte seit 1952. Im Anschluss gab es einen intensiven Austausch mit Gästen und Zeitzeugen, den Agnés Arp moderierte.