Arche Noah von Prof. Alexander Pfohl
Die Sitzende: dunkelblaue Glasplastik von Josef Welzel.
Fusingarbeit von Reiner Eul
Zwei Arbeiten von Klaus Moje im ehemaligen Fürstenzimmer
‚Wie kommt Hadamar zu einem so tollen Glasmuseum?‘ fragen immer wieder begeisterte Besucher, wenn sie die meisterlich gearbeiteten Gläser in der prächtig ausgestatteten ehemaligen Fürstenwohnung bewundern.
Bedeutende Glasfachleute aus dem Sudetenland verschlug es nach der Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat Ende des Zweiten Weltkrieges nach Hadamar. Sie schufen sich hier in der Nachkriegszeit eine neue Existenz. Namhafte Firmen wie Melzer, Wittig und Fabich – um nur einige aufzuzählen – erlangten bald wieder überregionale Bedeutung und konnten an ihre vormals weltweiten Handelsbeziehungen anknüpfen. Der zunehmende Bedarf an qualifizierten Nachwuchskräften im glasveredelnden Handwerk führte 1949 zur Gründung der Hadamarer Glasfachschule nach nordböhmischem Vorbild. Versierte Glasspezialisten, vornehmlich aus Haida und Steinschönau, verstanden es mit fachlichem und pädagogischem Geschick, junge Auszubildende aus der hiesigen Region für das Material Glas zu begeistern.
Doch der Anstoß zur Gründung eines Museums kam von außerhalb: Anfang März 1980 gelangte ein an das ‚Süddeutsche Glasmuseum Hadamar‘ gerichtetes Schreiben zur Verteilung an die hiesige Post. Der wegen der unvollständigen und unrichtigen Anschrift verunsicherte Zusteller brachte die Sendung zur Glasfachschule. Absender war ein Nachlassverwalter. Aus dem Brief ging hervor, dass das kinderlos verstorbene Ehepaar Paula und Hans Kowalisko ihre wertvolle und umfangreiche Gläsersammlung dem Adressaten vermacht hatte. Nachdem sich der damalige Direktor Walter Messner mit dem Notar ins Benehmen gesetzt hatte, nahm die Schule das Erbe an. So entstand die Idee, diese aus etwa 250 Gläsern bestehende Sammlung historischer Gläser der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Aber wie und vor allen Dingen wo? In intensiven Gesprächen mit Vertretern des Kultusministeriums wurden zahlreiche Vorschläge ausgearbeitet und wieder verworfen. Aus der Presse erfuhren die Zuständigen und die überraschte Öffentlichkeit 1982, dass das Hessische Finanzministerium beschlossen hatte, in der früheren Fürstenwohnung des Renaissanceschlosses Hadamar ein Glasmuseum zu errichten. Das ehemalige Gymnasium, als das das Gebäude bis Anfang der 70er Jahre diente, sollte nach einer grundlegenden Renovierung als Behördenhaus einer neuen Nutzung dienen. Doch nach den umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten im Schloss, der Umwidmung des angrenzenden Marstallgebäudes und der Neugestaltung des Schlossvorplatzes waren die Finanzmittel vorerst erschöpft. Das ‚Filetstück‘ des prächtigen Gebäudes aus dem 17. Jh. fiel unberührt in einen dekadenlangen Dornröschenschlaf. Auch die versprochene Eröffnung des Glasmuseums Anfang der 90er Jahre verstrich, denn die Wiedervereinigung Deutschlands band erst einmal alle Finanzmittel.
Untätig blieben in dieser langen Zeit der Stagnation jedoch nicht der damalige Schulleiter der Glasfachschule und sein Abteilungsleiter: Direktor Messner akquirierte Gelder für das geplante Vorhaben und Manfred Lösken entwickelte ein Museumskonzept. Sie schafften hochwertige Vitrinen an und verstanden es zudem, zwei damalige Junglehrer, Hartmut Lieb und Wolfgang Hofmann, für ihre Vision zu begeistern. Um dem Wunsch nach baldiger Errichtung eines Glasmuseums Ausdruck zu verleihen, organisierten die beiden in der Folgezeit zahlreiche Ausstellungen im Prunksaal des Schlosses, die seitens des Publikums gut angenommen wurden. Die Eröffnung begann mit einem Paukenschlag: der ersten gelungenen Rekonstruktion der berühmten Portlandvase von Josef Welzel, die in acht weiteren in- und ausländischen Museen zu sehen war. Große Besucherresonanz fand 1994 die Ausstellung mit Arbeiten von Prof. Alexander Pfohl anlässlich seines 100. Geburtstags. Pfohl war ein führender Glasgestalter der Vor- und Nachkriegsära, zudem in der Gründerzeit künstlerischer Leiter der Hadamarer Glasfachschule. Auch die Ausstellung ‚Glas der Moderne‘ – Gläser aus dem Kunstgewerbemuseum Berlin – erwies sich als Publikumsmagnet. Und nicht zu vergessen die farbenfrohen Glasbilder von Otmar Alt, um nur an die bedeutendsten Ausstellungen zu erinnern. Insgesamt dreizehn Veranstaltungen richteten die Organisatoren in der Zeit von 1992 bis 2002 aus.
Zahlreiche Exponate wurden dem Museum zwischenzeitlich vermacht oder versprochen; ebenso viele Leihgeber zogen jedoch aufgrund der ständigen Verzögerung des Eröffnungstermins ihre Zusagen bedauerlicherweise wieder zurück.
Erst um die Jahrtausendwende konnten die Sanierungsmaßnahmen im Schloss erneut aufgenommen werden. Insbesondere die fachgerechte Wiederherstellung der Stuckaturen in den Fürstenräumen stellte die Vertreter des Denkmalschutzes und die Restauratoren vor eine große Aufgabe. Nach der Fertigstellung der Renovierungsarbeiten übernahm es Frau Dr. Pauli vom Hessischen Museumsverband, ein neues modernes Museumskonzept zu erstellen und mit dem Architekten Bernd Jansen umzusetzen. Unverzichtbare Hilfe waren dabei die Fachleute der Glasfachschule, die in unzähligen Freizeitstunden mit Rat und Tat zur Seite standen, fachliche und glasgeschichtliche Grundlagen vermittelten und die Kontakte zu Glaskünstlern und Leihgebern herstellten. Doch erst durch den Einsatz des damaligen Vorsitzenden des neu gegründeten Trägervereins des Glasmuseums Hadamar, Herrn Ministerialrat a.D. Klaus Wilhelm Ring, konnten die letzten bürokratischen Hürden beseitigt werden, bevor am 29. November 2014 das Museum offiziell eröffnet wurde.
Im Eingangsbereich des Glasmuseums wird der Besucher mit Zitaten empfangen, die in einer Art Zeitreise die Bedeutung des Materials Glas in ihrer jeweiligen Epoche herausstreichen. Ein Raum der Fürstenwohnung ist dem Flachglas gewidmet. Die Vielfalt der technischen Möglichkeiten der Glasbearbeitung umfasst die klassische Bleiverglasung, geht über sog. Autonome Scheiben und reicht bis hin zu modernen Klebe- und Verschmelzungstechniken. Die übrigen Räume sind jedoch dem anspruchsvoll veredelten Hohlglas und Glasobjekten gewidmet. Stellvertretend für die inzwischen nicht mehr existierenden Glasbetriebe in Hadamar sind in erster Linie herausragende Unikate aus dem schulischen Umfeld ausgestellt. Aus dem großen Fundus der Museumsgläser sind aus Platzgründen und wegen des sog. Alleinstellungsmerkmals, das ein Museum heute haben sollte, in der Dauerausstellung Schwerpunkte vertreten.
Im Mittelpunkt der ständigen Ausstellung finden sich herausragende Arbeiten von arrivierten Lehrern der Glasfachschule und erfolgreichen Schülern / Schülerinnen aus der Glasgestaltung. Allen voran ist Prof. Alexander Pfohl zu nennen, dem allein drei Vitrinen gewidmet sind. Der damalige Fachschuloberlehrer Herbert Petters setzte zahlreiche Entwürfe Pfohls schlifftechnisch um. Josef Welzel ist zu nennen, der mit seinen aufsehenerregenden Repliken römischer Luxusgläser und seinen Glasplastiken bekannt wurde.
Auch sein guter Freund Franz Zinke, der unter anderem im Auftrag des Bundespräsidialamtes meisterliche Gravurarbeiten für Staatsoberhäupter anfertigte, ist vertreten. Der Glasmaler Walter Herrmann ist durch seine Gläser im traditionellen Veredlungsstil bekannt. Günther Kehr beherrschte die Mosaikglastechnik vor der Lampe, Kurt Eiselt entwickelte wegweisende Glasveredlungstechniken. Willi Pistors Arbeiten finden sich in fast allen Glasmuseen rund um den Globus. Und nicht zu vergessen: Hartmut Lieb, ein die Flachglasgestaltung vieler Schüler prägender Pädagoge und Schulleiter.
Im Zentrum der Räume steht eine Reihe erwähnenswerter barocker Glaspokale und nicht zuletzt zu nennen: die bedeutende Sammlung antiker Gläser des Glasfabrikanten Heinrich Gantenbrink. Aber wo ist die Sammlung Kowalisko geblieben, die ja der Auslöser für die Gründung des Glasmuseums gewesen ist? Kurioserweise sind lediglich eine Handvoll dieser Gläser in der Dauerausstellung vertreten; die anderen schlummern bedauerlicherweise ihr Dasein im Depot und sehen nur bei besonderen Anlässen das Tageslicht.
Noch vor der offiziellen Einweihung waren in den frisch restaurierten Räumen der Fürstenwohnung die Arbeiten des 1. Hadamarer Glaspreises zu sehen. Seit Eröffnung des Museums wurden zahlreiche Wechselausstellungen und sonstige Veranstaltungen durchgeführt. Zum Jahreswechsel 2015/16 war die umfangreiche Schaffensphase von Willi Pistor zu bestaunen. Im Anschluss daran präsentierte Günter Kehr seine vor der Lampe geblasenen Gläser und erklärte deren Herstellung. Im November 2016 fand eine Veranstaltung unter dem Motto ‚Glas und Wein‘ mit Gesang und instrumentaler Begleitung statt. Am 27. Februar 2017 wäre Josef Welzel 90 Jahre alt geworden. Das war der Anlass, um die ungewöhnliche Bandbreite seines Schaffens auch in seiner Heimatstadt zu zeigen. Die Ausstellung wurde wegen des großen Erfolgs verlängert und lief ein ganzes Jahr. Im November 2018 stellte Karlhans Lorenz seine gelungenen Schliffschmelzarbeiten vor. Einen Monat später wurde in einem bebilderten Vortrag der Bogen von der Heimatvertreibung der Nordböhmischen Glasfachleute und den Gründungsjahren der Glasfachschule bis hin zu der Eröffnung des Glasmuseums gespannt und im gleichen Jahr wurde eine komplette Inventarisierung des Bestands vorgenommen. Rechtzeitig zum 70. Schuljubiläum waren die vielseitigen Arbeiten von Kurt Eiselt zu sehen; parallel dazu wurden Arbeiten von Lehrern und Schülern der Glasfachschule Hadamar gezeigt. Die durch vorübergehende pandemiebedingte Schließungen mehrfach verschobene Eröffnung der Ausstellung ‚Von Nordböhmen in den Westerwald‘ beleuchtete erst 2022/23 die Vertreibung der Glasraffineure aus ihrer angestammten Heimat und deren Neuansiedlung in Hadamar. Die Ausstellung fand großes Interesse, gerade unter der hiesigen Bevölkerung. Begleitend zeigte der Elzer Glasschleifer Anton Friedrich in der Sonderausstellung ‚Flechtwerk aus Kristall‘ seine meisterlichen Interpretationen der römischen Diatretglastechnik. Unter dem Thema: ‚Schenkungen, Dauerleihgaben und Neuerwerbungen’ konnten im Frühjahr 2023 interessierte Gäste Exponate bewundern, die in den letzten Jahren in die Sammlung aufgenommen wurden.
Am 17. März 2024 wäre der erste künstlerische Leiter der Glasfachschule Hadamar 130 Jahre alt geworden. Aus diesem Grund wurde an seinem Jubiläumstag die Sonderausstellung Prof. Alexander Pfohl eröffnet. Nicht weniger als 30 nationale und internationale Museen sowie private Sammler haben dem Glasmuseum Hadamar über 300 Exponate dieses universellen Glaskünstlers und -designers zur Verfügung gestellt. Die Realisierung dieses Vorhabens stellte hinsichtlich ihres Aufwandes die ehrenamtlichen Organisatoren vor bisher nicht gekannte Herausforderungen. Der finanzielle Aufwand drohte die vorgesehenen Mittel und Möglichkeiten des kleinen Trägervereins bei Weitem zu sprengen. Dies konnte mit Überzeugungskraft, viel persönlichem Engagement, aber nicht zuletzt durch das vertrauensvolle Entgegenkommen zahlreicher Leihgeber abgefedert werden. Die Ausstellung wurde mit überragendem Lob der Besucher und einer bisher nicht gekannten Medienresonanz honoriert. So war diese Veranstaltung sicherlich ein gelungener und würdiger Beitrag zur 700 Jahrfeier der Stadt Hadamar. Ohne das Wissen und das Engagement von Angelika Krombach, der Enkelin von Alexander Pfohl wäre sie allerdings in diesem Umfang und in dieser Qualität nicht möglich gewesen. In reduziertem Umfang sind die Gläser zurzeit im Glasmuseum Rheinbach zu sehen. Die Veröffentlichung eines umfangreichen Kataloges über Alexander Pfohl steht kurz bevor.
Im Rahmen der Jubiläumsfeier wurde zudem der 2. Glaspreis der Stadt Hadamar ausgelobt. Dazu haben sich zahlreiche regionale und überregionale Glaskünstler und -künstlerinnen mit zeitgenössischen Glasarbeiten beteiligt. In der aktuellen Ausstellung können diese Kunstwerke noch bis Mitte Dezember im Schloss zu sehen sein.
Die Mitglieder des Trägervereins sind stolz auf ihre lebendige Museumskultur: Trotz der Pandemieeinschränkungen wurden nicht weniger als zwölf Sonderveranstaltungen seit der Eröffnung des Museums durchgeführt. Auch für die kommenden Jahre sind Wechselausstellungen vorgesehen, beginnend mit einer großen Gesamtschau der Arbeiten Willi Pistors, der im nächsten Frühling seinen 90. Geburtstag begehen wird.
Das Glasmuseum ist samstags und sonntags von 14-17 Uhr geöffnet. Nach Vereinbarungen sind Gruppenführungen auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Anmeldungen nimmt das Tourismusbüro oder der Stellvertretende Vorsitzende des Trägervereins, Jürgen Lanio, entgegen.