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Mitteilungsblatt für die Gemeinde Hosenfeld
Ausgabe 46/2022
Gestaltung Innenteil Seite 7
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Aus dem Archiv der Foto-Film und Geschichtswerkstatt Hosenfeld/Poppenrod

Ein Virus, das Angst und Schrecken verbreitete

Von Hubert Rützel

Herbst 1918. Die unheilvollen Jahre des Ersten Weltkrieges mit all dem Leid, das sie mit sich gebracht hatten, waren vorüber. Doch die Trauer um die gefallenen Söhne lastete noch auf vielen Familien. Nun kam ein erneutes Schreckgespenst auf die Bevölkerung zu. Es breitete sich nämlich eine hochgefährliche Virusepidemie aus, die, so hat man damals vermutet, von den heimgekehrten Soldaten eingeschleppt worden war. Dabei handelte es sich um einen gänzlich unbekannten Erreger, dem die Mediziner nur wenig entgegen zu setzen hatten. Die Krankheit wies grippeähnliche Symptome auf, die so stark auftraten, dass nicht nur ältere, sondern auch junge Menschen, die durch die damalige schlechte Versorgung geschwächt waren, dahingerafft wurden. Da hat es Familien gegeben, die innerhalb kurzer Zeit mehrere ihrer Angehörigen zu Grabe tragen mussten.

Von einem solchen tragischen Geschehen war damals auch die Brandloser Familie „Nau“ (Kaufmanns) betroffen. Vater, Mutter und fünf Kinder lagen danieder. Nur der 22-jährige älteste Sohn Amand, der schwer verwundet (armamputiert) aus dem Krieg heimgekehrt war, war, wie durch ein Wunder von der Krankheit verschont geblieben. Somit war er der einzige im Haus, der sich um seine kranken Angehörigen kümmern konnte. Der 48-jährige Vater Wilhelm war der erste, bei dem sich der Zustand dramatisch verschlechterte. Es wurde der in Hainzell in dieser Zeit praktizierende Arzt Dr. Schlitzer herbeigerufen. Doch der Vater starb.

Kurz darauf wurde auch das Befinden der 16-jährigen Maria besorgniserregend. Dr. Schlitzer verordnete eine Arznei, die Amand in der Apotheke in Großenlüder holen musste. Doch die Medizin und alle Hausmittel die bei dem Mädchen angewandt wurden, halfen nicht. Auch sie war nicht zu retten. So, wie auch schon beim Vater, musste Amand nun auch bei seiner Schwester als alleiniger aus der Familie am Grab stehen. Als das Mädchen beerdigt war, wurde auch der Zustand des 11-jährigen Josef ernst. Dr. Schlitzer, den man wieder gerufen hatte, ordnete nun die Überführung in die Klinik an, in der Hoffnung, vielleicht dort den Jungen retten zu können. Man packte Josef eilig auf einen Wagen des benachbarten Bauern, der ihn mit seinem Pferdegespann nach Fulda ins Krankenhaus brachte. Da die Klinikärzte wenig Hoffnung auf Genesung äußerten, blieb Amand, der mitgefahren war, bei seinem Bruder bis zum späten Abend. Dann machte er sich zu Fuß auf den Heimweg. Denn die übrigen Angehörigen, die zu Hause hilflos in ihren Betten lagen, warteten auf seine Rückkehr.

Um möglichst schnell den Heimatort zu erreichen, nahm er an den „Sieberzheiligen“ die Abkürzung durch den Wald, über das bekannte „Kirschbäumchen“. Sie wurde früher oft von Brandlosern, Hauswurzern und Weidenauer beim Gang nach Giesel und weiter nach Fulda, mitunter auch bei Nacht, gewählt. Die Sorge seinen kleinen Bruder und auch noch weitere Angehörige beerdigen zu müssen, habe ihn, so sagte Amand einmal, fast an den Rand der Verzweiflung gebracht. Und so hastete er durch die regnerische, windige Dezembernacht, über holprige Waldwege und Querpfade seinem Elternhaus in Brandlos entgegen.

Am frühen Morgen durchnässt zu Hause angekommen, musste er gleich in die Apotheke nach Großenlüder gehen, um Medikamente, die aufgebraucht waren, zu holen.

Am nächsten Morgen blieb Amand der Gang nach Fulda nicht erspart. Denn es musste jemand nach dem schwerkranken Josef sehen. Zum Glück überstand er die kritischen Tage und es ging ihm, wie auch den übrigen Angehörigen, bald wieder besser.

Neben dem Schmerz über den frühen Tod des Vaters und der 16-jährigen Maria mussten die Kosten, die durch die Krankheit in der Familie entstanden waren, aufgebracht werden. Dies bedeutete in einer Zeit wirtschaftlicher Not für die Hinterbliebenen eine zusätzliche Last.

Anmerkung

An diesem Virus sind in Hosenfeld im Jahre 1920 innerhalb von wenigen Tagen 5 junge Leute zwischen 18 und 28 Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft gestorben.

Es waren im Hause „Schrimpf“ (Beckerts) 2 Söhne. Im Haus „Jahn“ (Schmiede) 1 Sohn, 1 Tochter. Im Hause „Schmitt“ (Öwermeäze) 1 Tochter. Erst danach kam ein Medikament auf den Markt, wodurch die Sterberate zurück ging.

Ein Mann, der aus einem Dorf in der Schwalm stammte, erzählte mir, dass dieses Virus seine ganze Familie ausgelöscht habe. Nur er habe als Kind die Krankheit überlebt und sei von Verwandten aufgenommen worden.

Dieser Bericht wurde von Hubert Rützel verfasst und schon einmal im Mitteilungsblatt am 3. Dezember 2004 veröffentlicht.

Es handelt sich um die wahre Geschichte von Huberts Schwiegervater Amand Nau.