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Mitteilungsblatt für die Gemeinde Hosenfeld
Ausgabe 46/2022
Gestaltung Innenteil Seite 2
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Ansprache von Herrn Bürgermeister Peter Malolepszy

anlässlich der Gedenkstunden zum Volkstrauertag 2022

in Blankenau, Hosenfeld und Jossa

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Gedenkveranstaltung am Volkstrauertag 2022 – und danke Ihnen, dass Sie der Einladung gefolgt sind!

Vor genau hundert Jahren im Jahr 1922 fand die erste Gedenkstunde im damaligen Reichstag statt. Damals noch für die gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs.

1926 wurde dann entschieden, den Volkstrauertag regelmäßig zu begehen. In späteren Zeiten wurde das Gedenken auf alle Opfer von Gewaltherrschaft und Terrorismus erweitert.

So gedenken wir auch heute wieder, wie in jedem Jahr, allen Opfern von Krieg und Gewalt. Wir stehen hier, um dem Vergangenen zu gedenken, aber auch, um die Welt für die Zukunft zu mahnen.

Das Thema ist aktueller denn je.

Ich frage mich heute aber, vor dem Hintergrund der vielen Kriege in der Welt, vor allem der vor unserer Haustür in der Ukraine:

  • „Wo stehen wir heute, 100 Jahre nach Einführung des Gedenkens und des Mahnens?
  • Wie viel hat sich eigentlich bis heute geändert?
  • Ist unser gemeinsames Gedenken am Volkstrauertag noch zeitgemäß?
  • Macht es bei all dem bestehenden Leid überhaupt noch Sinn, zu gedenken und zu mahnen?
  • Gibt es überhaupt noch Hoffnung, dass wir einmal in einer Welt ohne Kriege leben, dass sich die Menschheit zusammenrauft?“

Dazu lassen Sie uns auf den letzten Satz des vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss im Jahr 1952 eingeführten Totengedenkens schauen, das jährlich und auch nachher von der Ortsvorsteherin / vom Ortsvorsteher vorgetragen wird, dort heißt es:

„Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.“

Daraus schließt sich der Auftrag an uns alle, die auch meine persönliche Überzeugung ist:

Wir dürfen niemals den Glauben an das Gute im Menschen verlieren und dürfen niemals den Kampf gegen das Böse aufgeben. Nur so haben wir, nur so hat die Menschheit eine Chance zum Überleben.

Hoffnung gibt uns gerade die am Krieg leidende ukrainische Bevölkerung, die leidenschaftlich um ihre Freiheit kämpft sowie Hilfe und Schutz bei ihren europäischen Nachbarn sucht.

Dazu möchte ich einen Auszug aus dem Bericht einer ukrainischen Frau vorlesen, deren Mann und Sohn an der Front kämpfen, und die sich als Koordinatorin der humanitären Hilfe für Binnenflüchtlinge in Lwiv engagiert:

Über ihre Arbeit in Lwiw sagte sie „Freude und Kummer sind hier umarmt.“ Sie kämpfte um eine gerechte Aufteilung der humanitären Hilfe, verzweifelte über eine Schlange von fünfhundert Menschen, die sich vor dem Stab sammelten, und wurde später von Papierbärchen und blaugelben Herzlein getröstet, die auf Kartons mit Kleidung und Lebensmitteln aus Polen aufgeklebt waren.

Jeden Tag absorbierte sie Fluchterfahrungen von Menschen aus Mariupol und Borodjanka, Irpin und anderen Städten. Sie hielt Babys in Armen, während ihre verwundeten Eltern medizinisch untersucht wurden. Für eine Mutter und ihr Kind fand sie in den unzähligen Kartons Kleider, Schuhe, Decken und sogar einen Topf. Kurz erinnerte sie sich daran, wie sie im vorherigen Leben eine Pressekonferenz nach der Darbietung des Filmes „Schindlers Liste“ organisiert hatte. Jetzt konnte sie diesen Film für sich neu interpretieren.

Nachts half Viktoria beim Ausladen von neu angekommenen Gütern, tags tröstete sie müde Menschen, die dutzende Stunden unterwegs aus den kriegsbetroffenen Städten waren, und suchte alles Nötige für sie zusammen.

Ein paar Mal am Tag machte sie eine kurze Pause „in der Ecke“, wo sie weinte. In dieser Ecke hatte sie wenige Minuten Zeit für eine mentale Entladung. Hier lagerte sie das ganze Entsetzen über die Geschehnisse und Zeugnisse, die Sehnsucht nach ihrer Familie und ihrem verlorenen Leben aus.

Viktoria empfand gleichzeitig eine neue Art der Einsamkeit und entdeckte die Gesellschaft von unbekannten Nächsten. In der erzwungenen Trennung von ihrem Mann, Sohn und allen Freunden kreierte sie ein neues soziales Gewebe und sicherte damit die Menschlichkeit, die vom Krieg ständig bedroht und vernichtet wurde.

Das war ihr Rezept des Überlebens.

Nun, was sollte die Botschaft aus diesem kurzen Bericht an uns alle sein?

Ich sage:

Wenn leidende Menschen im Krieg trotz Trennung, Leid und Tod und trotz der Ungewissheit für ihre Zukunft die Hoffnung und den Kampf nicht aufgeben,

warum sollten gerade wir, denen es – trotz Corona, Energiekrise und explodierender Kosten – dennoch gut geht, die Hoffnung verlieren?

Im Gegenteil:

Gerade wir sollten diesen Menschen mit Hoffnung, Unterstützung, Gastfreundschaft neuen Mut machen und damit ein Zeichen setzen, nicht zu verzweifeln. Dass wir das können, haben wir schon oft bewiesen. Auch in unserer Gemeinde.

Und dabei sollte es nicht um den Nutzen für uns gehen, ganz im Sinne von: „Fällt die Ukraine, dann fällt auch der Rest von Europa in den Krieg.“

Nein, es geht um mehr!

Es geht um unsere christlichen Werte, für die wir stehen, allen voran die Nächstenliebe.

Und es geht um den Kampf des Guten gegen das Böse.

Und mit dem Gedenken an die Gewaltopfer und der Mahnung auf eine Versöhnung setzen wir Jahr für Jahr, so auch heute, ein gewichtiges gemeinsames Zeichen – ein zeitgemäßes Zeichen des Guten gegen das Böse! Und dies gibt Hoffnung.

Doch – und das wäre meine letzte Frage:

Wirken solche Zeichen überhaupt?

Nun, die jüdische Publizistin Hannah Arendt, die im zweiten Weltkrieg von der Gestapo inhaftiert wurde –erklärte einmal; Zitat:

„Das Böse (…) kann die ganze Welt verwüsten, (…) weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiterwuchert.

Tief aber und radikal ist immer nur das Gute.“

Das Gute wirkt, zum Glück, tief und radikal hinein in die Gesellschaft.

Daran sollten wir glauben. Dazu tragen wir heute gemeinsam bei.

Und dafür danke ich Ihnen allen.