Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, der österreichische Schriftsteller Karl Kraus hat in seinem 1922 erschienenen Werk „Die letzten Tage der Menschheit“ geschrieben:
„Alles, was gestern war, wird man vergessen haben.
Was heute ist, nicht sehen. Was morgen kommt, nicht fürchten.
Man wird vergessen haben, dass man den Krieg verloren,
vergessen haben, dass man ihn begonnen,
vergessen, dass man ihn geführt hat. Darum wird er nicht aufhören.“
Diese Worte erinnern uns an die doppelte Bedeutung des heutigen Tages: Gedenken und Mahnung.
Der Volkstrauertag erinnert uns daran, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind. Generationen vor uns haben mit großem Mut und großer Opferbereitschaft für unsere Freiheit gekämpft und gelitten. Viele haben dabei ihr Leben verloren. Ihre Hingabe und ihr Mut dürfen niemals vergessen werden. Heute stehen wir vor der Aufgabe, ihre Erinnerung lebendig zu halten und aus der Geschichte zu lernen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Schrecken der Vergangenheit nicht wiederholen. Dies erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, eine Kultur des Dialogs und der Versöhnung sowie den Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und Toleranz.
Der Volkstrauertag erinnert uns daran, dass Krieg und Gewalt überall auf der Welt Leid und Zerstörung bringen. Millionen von Menschen sind tagtäglich von Konflikten betroffen, sei es durch Kriege, Bürgerkriege oder terroristische Gewalt. Wir dürfen nicht wegsehen, sondern müssen unsere Stimme erheben und uns für eine friedliche Lösung von Konflikten einsetzen. In unserer globalisierten Welt sind wir alle miteinander verbunden. Unsere Handlungen und Entscheidungen haben Auswirkungen auf andere Menschen, auch in entfernten Teilen der Welt. Daher tragen wir eine Verantwortung für den Erhalt des Friedens und die Bewahrung der Menschenwürde.
Das heutige Innehalten am Volkstrauertag ist umso wichtiger, wenn wir uns vor Augen halten, wie sich uns die Welt – über mehr als ein Jahrhundert nach den ersten Schüssen im Ersten Weltkrieg – heute darstellt: Terror und Krieg in Israel und im Gaza-Streifen, die Kämpfe in der Ukraine, der seit Jahren anhaltende blutige Bürgerkrieg in Syrien, die Schreckensherrschaft der Taliban in Afghanistan. Sie sind nur die hervorstechendsten Beispiele einer Welt, in der nach wie vor viel zu viele Menschen Opfer von Krieg, Terror und Blutvergießen sind. Die Zahl dieser Opfer ist unüberschaubar. Jeder einzelne Tote hatte seine Familie und seine Freunde, die um ihn trauern. In diesem persönlichen Schmerz wird uns die Tragweite des heutigen Tages bewusst.
Es ist unsere Verantwortung, uns für eine friedliche Lösung von Konflikten einzusetzen.
Freiheit und Frieden sind nie einfach nur da. Sie müssen stets verteidigt und bewahrt werden. In diesem Sinne sollten wir uns auch mit unserem eigenen Land auseinandersetzen und aktiv für eine freie und gerechte Gesellschaft eintreten. Wir dürfen Rassismus, Hass und Gewalt keinen Raum geben. Stattdessen sollten wir für Solidarität, Toleranz und Respekt eintreten.
Mögen wir gemeinsam die Stimme erheben und uns für eine Welt einsetzen, in der Konflikte friedlich gelöst werden und alle Menschen in Sicherheit und Würde leben können.
„Nie wieder“ – so lautet die Losung dieses Gedenktags. „Nie wieder“ – das soll unseren festen Willen zum Ausdruck bringen:
Nie wieder Angriffskrieg, nie wieder Unfreiheit,
nie wieder Unrechtsregime, nie wieder Völkermord.
Freiheit und Demokratie sind es wert, geschützt zu werden. Bei uns, bei unseren Nachbarn und überall auf der Welt.
Wir gedenken heute in ganz besonderem Maße der Menschen, die gerade jetzt, in dieser Stunde, in der Ukraine, in Israel und im Gaza-Streifen sowie anderswo in der Welt Krieg und Gewalt zum Opfer fallen. Vielen Dank!