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Mitteilungsblatt für die Gemeinde Hosenfeld
Ausgabe 47/2024
Gestaltung Innenteil Seite 3
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Rede zum Volkstrauertag 2024

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

in meiner heutigen Rede zum Volkstrauertag möchte ich an die Zeit vor 80 Jahren erinnern, an das Kriegsjahr 1944.

In diesem Jahr kam es zu mehreren zentralen Ereignissen im Zweiten Weltkrieg, u. a. zum gescheiterten Attentat der Widerstandsgruppe um Oberst Graf Schenk von Stauffenberg, zur Landung der Alliierten in der Normandie und zum Warschauer Aufstand in Polen. Sie alle stehen symbolisch für den Mut, den Widerstand und die Entschlossenheit, die in Zeiten der größten Dunkelheit notwendig sind. Auch heute noch, 80 Jahre später, sind sie für uns und unsere europäischen Partner Inspiration und Verpflichtung.

Auf zwei Ereignisse möchte ich heute näher eingehen:

Der D-Day, der 6. Juni 1944, war der Beginn einer der größten militärischen Operationen der Geschichte. Die alliierten Streitkräfte landeten an den Stränden der Normandie und leiteten damit die Befreiung Westeuropas von der deutschen Besatzung ein. Doch der D-Day steht nicht nur für die militärische Überlegenheit der Alliierten, sondern auch für den Preis, den sie für ihre und unsere Freiheit zahlten: Tausende von Soldaten verloren an diesem Tag ihr Leben, und viele weitere sollten in den kommenden Monaten folgen. Tatsächlich hinterließen die Verluste auf beiden Seiten tiefe Wunden, die noch lange nach Kriegsende spürbar waren.

Keine zwei Monate nach der Landung in der Normandie kam es am anderen Ende des besetzten Europas zu einem weiteren weltgeschichtlichen Ereignis: dem Warschauer Aufstand, der als Akt des verzweifelten Widerstands der polnischen Bevölkerung gegen die deutsche Besatzung in die Geschichte eingehen sollte. Am 1. August 1944 erhob sich die polnische Heimatarmee gegen die deutschen Truppen und versuchte, die Kontrolle über Warschau zurückzugewinnen. Die Aufständischen kämpften für die Unabhängigkeit Polens und für die Freiheit ihres Volkes von Unterdrückung und Tyrannei.

Doch der Aufstand scheiterte. Die deutschen Besatzer beantworteten ihn mit brutaler Gewalt und setzten Luftangriffe, Artilleriebeschuss und genozidale Gewalt ein, um den Widerstand niederzuschlagen. Ganze Stadtviertel wurden zerstört. Es war eine der blutigsten und verheerendsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges, bei der mindestens 150 000 polnische Zivilisten und etwa 16 000 bis 20 000 Mitglieder der polnischen Heimatarmee getötet wurden. Und doch vermitteln die Opferzahlen nicht das Ausmaß der menschlichen Tragödie, die sich in Warschau ereignete.

Der Aufstand war der größte Akt des Widerstands gegen die deutschen Besatzer. Er ist Ausdruck des unerschütterlichen Willens des polnischen Volkes, für die Freiheit zu kämpfen, selbst in Zeiten größter Gefahr und Verzweiflung. Doch gerade die abwartende Haltung der Roten Armee, die vom anderen Weichselufer aus den deutschen Massakern zusah, zeigt, wie politische Interessen und Machtkämpfe die Geschichte beeinflussen können.

Das Jahr 1944 liegt 80 Jahre zurück. Doch bis heute stehen der D-Day und der Warschauer Aufstand für die Notwendigkeit, aus der Vergangenheit zu lernen und für eine bessere Zukunft einzutreten. Sie erinnern uns daran, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind, sondern ständigen Einsatz erfordern. Und sie ermutigen uns, das Wissen über die Vergangenheit lebendig zu halten, damit wir die Fehler unserer Vorfahren nicht wiederholen. Das gemeinsame Gedenken ist ein unerlässlicher Schritt auf dem Weg zu gegenseitigem Respekt, zu Frieden und Versöhnung.

Es ist wahr: Die deutsche Erinnerungskultur umfasst einen tiefen Respekt vor der Vergangenheit. Als Gesellschaft tragen wir die Verantwortung, die Wahrheit über unsere Geschichte zu erzählen und damit den Toten gerecht zu werden. Das gilt umso mehr, als die letzten noch lebenden Zeitzeugen immer älter werden. Noch sind sie Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart, aber es liegt an uns, ihre Erinnerungen zu bewahren und weiterzugeben.

Auch deshalb ist die deutsche Erinnerungskultur mehr als nur ein Rückblick auf die Vergangenheit. Sie ist eine Verpflichtung gegenüber den Toten, eine Verantwortung für die kommenden Generationen und eine Mahnung an uns alle: Wir dürfen nicht nachlassen, uns für eine Welt einzusetzen, in der Toleranz, Respekt und Menschlichkeit herrschen.

Leider scheint es so, dass die Welt heute nichts daraus gelernt hat. Nach wie vor gibt es Kriege. Mehr und brutaler denn je. In der Ukraine, im Nahen Osten, aber auch in vielen anderen Ländern der Erde. Wir selbst sehen uns von außen bedroht – auch von Cyber-Angriffen, Fake-Nachrichten und Anschlägen auf die Infrastruktur wie Bahnstrecken oder die Strom- und Gasversorgung.

Auch entwickeln sich zunehmend Kräfte, die freiheitliche Demokratien von innen zersetzen wollen und damit auch zur Spaltung eines Volkes mit der Gefahr von Bürgerkriegen beitragen. Und davon ist auch unser eigenes Land mehr denn je betroffen.

Deshalb dürfen wir den Kampf für unsere nach dem II. Weltkrieg geschenkte Demokratie und Freiheit nicht aufgeben. Dazu gehört das Erinnern an die schrecklichen Weltkriege, durch die Tod, Leid und Trauer in fast jede Familie eingezogen sind.

Lassen Sie uns daher am heutigen Volkstrauertag besonders an diejenigen erinnern, die sich damals wie heute für Freiheit und Frieden eingesetzt haben und dabei ihr Leben verloren.

Vielen Dank!

Text aus der Handreichung des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. zum Volkstrauertag 2024

von

PROF. DR. STEPHAN LEHNSTAEDT

Historiker und Professor für

Holocaust-Studien und Jüdische

Studien an der Touro University Berlin