Charlotte Wiedemann las in Heubachs Synagoge.
Heubach. Auf Einladung des Fördervereins der Landsynagoge beleuchtete die Autorin Charlotte Wiedemann in der sehr gut besuchten früheren Heubacher Synagoge die Frage, wie Menschen mit dem Schmerz der Anderen umgehen. Die erste Station war Riga.
Dorthin war im Dezember 1941 Jettchen Rosenzweig deportiert worden. Sie gehört zu den 39 aus Heubach stammenden Jüdinnen und Juden, die in der Shoa umgebracht wurden. Der Bahnhof, an dem sie und Hunderttausende andere Deportierte in Riga ankam, ist heute ein Ort des Gedenkens - und ein Ort, an dem nichts an den Massenmord an den Juden erinnert. Denn das Erinnern in Riga gilt „nur“ den Abertausenden Letten, die in der Zeit des stalinistischen Terrors von dort nach Sibirien verschleppt wurden. „Das Beispiel zeigt, wie die gefühlte Nähe zu einer Opfer-Gruppe dazu führen kann, dass das Leid der Anderen ausgeblendet und nicht wirklich wahrgenommen wird“ so Wiedemann. Das zeigte auch der Blick auf das damals von den Niederlanden beherrschte Dorf Rawagede auf Java. Dort ermordeten Polizisten Hunderte Männer bei einer „Strafaktion“. Und es dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert, bis der niederländische Botschafter nach Rawagede kam und eine Entschuldigung formulierte.
Wiedemann erinnerte daran, dass die Verbrechen der Kolonialmächte sich ereigneten, während in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt wurde. Wiedemann hob hervor, dass es in keiner Weise darum gehe, die Verbrechen des Holocausts zu relativieren. Aber das Wahrnehmen dieser Erfahrungen helfe zu verstehen, warum die für uns selbstverständliche Sicht, in der das Erinnern an die Judenvernichtung alles andere überlagert, andernorts nicht geteilt werde.
Ausführlich ging Wiedemann auch auf die Situation in Israel und Palästina ein und berichtete von jüdischen Israelis, die die Folge der Landbesetzung im Zuge der Staatsgründung kritisch werten. Wer so denke, sei in Israel ein „Dissident“. Doch auch in Deutschland gelte es, nicht nur jüdische und pro-israelische Stimmen hören, sondern auch der palästinensischen Community Gelegenheit zu geben, ihre Haltung zu formulieren.
Wiedemann erinnerte daran, dass es über Jahrhunderte hinweg ein gutes Miteinander zwischen Juden und Arabern gegeben habe. Aggression und Spannung zwischen Juden und Arabern seien kein „Naturgesetz“.