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Heimatblatt Langgöns
Ausgabe 21/2025
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„Sie waren Kinder – und wurden in den Krieg geschickt“ Geschichtsrundgang erinnert an das Kriegsende vor 80 Jahren

Werner Reusch erklärt anschaulich die Ortsgeschichte.

Über 100 Teilnehmer lauschen den Ausführungen von Werner Reusch.

Eugen Weber aus Cleeberg ist einer der zahlreichen Zeitzeugen.

Geschichtsrundgang erinnert an das Kriegsende vor 80 Jahren

Pohl-Göns / Cleeberg (ikr). Über 100 Menschen nahmen an einem eindrucksvollen Geschichtsrundgang mit Heimatforscher Werner Reusch aus Ebersgöns teil. Anlass war der 80. Jahrestag des Kriegsendes. Reusch ließ anhand bewegender Zeitzeugenberichte das Leben junger Menschen zwischen 1933 und 1945 lebendig werden – als Mahnung gegen das Vergessen. Schon die erste seiner Geschichten, die vom damals 16-jährigen Eugen Weber aus Cleeberg handelte, dokumentierte dies.

„Es ist nicht nur ein Rückblick – es ist eine Mahnung“, betonte Reusch zu Beginn. Der Zweite Weltkrieg, mit rund 60 Millionen Toten, sei auch in Pohl-Göns und Umgebung mit voller Wucht angekommen. Zum Beispiel bei Eugen Weber aus Cleeberg, Jahrgang 1929, der gerade einmal 16 Jahre alt war, als er im März 1945 von der Hitlerjugend beauftragt wurde, gemeinsam mit Walter Morgel nach Bielefeld zu fahren – mitten hinein in die letzten Kriegstage. Ziel war es, sechs schwere Mustergeschosse aus einem Panzerwerk zu holen. Die Reise war gefährlich und chaotisch: Bombenangriffe, zerstörte Bahnlinien, Nächte im Freien und ein Weg, der sie 280 Kilometer weit durch ein zerbombtes Deutschland führte – ohne Geld, ohne Begleitung, ohne jegliche Sicherheit. Schließlich erhielten die Jungen nur je ein 50 Pfund schweres Geschoss – das sie auch auf dem Rückweg bei Fliegeralarm mit sich tragen mussten. Zurück in Cleeberg wurden die Sprengkörper kurzerhand auf dem Misthaufen der Familie Weber versteckt. „Koan Ami kimmd off den Gedanke, doas hai eam Measthoafea Granate laijea“, habe die Großmutter damals gesagt. Recht sollte sie behalten: Die Amerikaner durchsuchten das Gelände nicht. Sechs Monate später wurden die Geschosse verschrottet. Heute, mit 96 Jahren, sagt Eugen Weber über das Erlebte: „Das würde heute kein Jugendlicher mehr freiwillig machen.“

Reusch zeigte auf, wie früh Kinder vom NS-Regime ideologisch vereinnahmt wurden. Parolen wie „Die Juden sind unser Unglück“ gehörten in den Schulalltag, und Organisationen wie Hitlerjugend oder BDM bestimmten Erziehung und Freizeit. Viele Jugendliche kämpften am Ende sogar im Volkssturm – und verloren ihr Leben.

Trotz allem gab es auch Zeichen von Menschlichkeit. So halfen Frauen wie Anna Röhrig und Katharina Jeide heimlich jüdischen Nachbarn – ein Akt großer Zivilcourage. Elli Weber schilderte persönliche Erlebnisse vom Krieg: etwa Fliegeralarm am Heiligabend, den Einmarsch der Amerikaner und das tägliche Leben im Ausnahmezustand. Auch Geschichten wie die von Richard Volk, der mutig zwei Feldjäger verjagte, oder von Werner Rühl, der als 15-Jähriger in Frankfurt Trümmer durchsuchen musste, zeigen die Härte der Zeit.

Eine besonders berührende Station war der Friedhof, wo Reusch an die Geburt seiner Cousine Traudel erinnerte – am 28. Februar 1945, im Keller eines Hauses während Fliegeralarm, ohne Hebamme, ohne zu wissen, dass der Vater ihres Kindes bereits kurz zuvor gefallen war. Ihr Schicksal steht für viele „Kriegskinder“, die ohne Väter aufwuchsen.

Zum Abschluss führte der Rundgang zur ehemaligen Synagoge in der Gießener Straße. Ein erhaltenes Glaskristall aus dem Leuchter – gerettet von einem Kind nach der Reichspogromnacht – wird zum Symbol der Hoffnung: Reusch, Andreas Catlin und Martin Jung möchten das Gebäude, das 2026 sein 100-jähriges Bestehen haben wird, mit einem neuen Leuchter ausstatten. Am Ausgang gab es ein Spendenkästchen zur Unterstützung.

Zum Auftakt hatte Catlin im Namen der Ortsvereine den Teilnehmern gedankt – und Reusch für sein langjähriges Engagement, Geschichte lebendig zu machen. Beim anschließenden Zusammensein am Bürgertreff konnten die Gäste das Erlebte nachwirken lassen.