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Heimatblatt Langgöns
Ausgabe 41/2023
Heimatblatt
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Eine Mutter teilt Herzschmerz und Wissen: Ein Buch über den Verlust eines Kindes und die Gefahren von Meningitis

Melanie Heidenreich ist es eine Herzensangelegenheit, über Meningitis aufzuklären.

Langgöns (ikr). „Jede einzelne Sekunde zählt.“ Diesen Satz hat Melanie Heidenreich ihrem Buch vorangestellt. Er ist die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus einem höchst traumatischen Erlebnis, das sie nun – viele Jahre später – niedergeschrieben hat. „Mama, ich habe eine Hirnhautentzündung“ heißt der Titel des Buches. Darin verarbeitet die dreifache Mutter aus Niederkleen die Geschehnisse um den Tod ihres Sohnes Steven, der im Alter von anderthalb Jahren an den Folgen einer durch Pneumokokken ausgelösten und lange unerkannten Hirnhautentzündung binnen weniger Tage verstarb. Anlässlich des Welt-Meningitis-Tags am 5. Oktober möchte die Niederkleenerin auf diese Krankheit aufmerksam machen.

„Im Jahr 2022 wäre mein Sohn 18 Jahre alt geworden“, sagt Melanie Heidenreich. Dies sei für sie der Anlass gewesen, das Buch zu schreiben. Darin schildert sie die Geschehnisse rund um die verhängnisvolle Infektion und ihre Trauer, informiert aber auch detailliert über die Risiken und Symptome dieser gefährlichen Erkrankung. „Die bakterielle Hirnhautentzündung, lateinisch Meningitis, übertragen durch Tröpfcheninfektion, gehört zu den zehn gefährlichsten Infektionskrankheiten weltweit. Unbehandelt führt sie unweigerlich zum Tod – eine Tatsache, die auch heutzutage leider vielen Eltern unbekannt ist“, weiß die Autorin. Sie möchte mit ihrem Buch einen Beitrag zur Aufklärung leisten, „denn Aufklärung fördert Bewusstsein“.

Das Verhängnis beginnt Ende Januar 2006. Kurz zuvor hatte Michelle, die anderthalb Jahre ältere Schwester von Steven, eine Infektion mit hohem Fieber und Übelkeit. Wenige Tage später geht es ihr wieder gut. Am 28. Januar bemerkt Melanie Heidenreich, dass auch Steven kränkelt. „Da Michelle den Infekt problemlos überstanden hat, gehe ich davon aus, dass dieser bei dir genauso unkompliziert verlaufen wird“, schreibt sie. Am nächsten Tag zeigt Steven dieselben Symptome wie Michelle, Fieber mit Schüttelfrost und Schnupfen. Die Nase läuft und der Kleine hat Husten. Mit den Medikamenten von Michelles Erkrankung wird er sofort behandelt. „Wir haben eine unruhige Nacht.“ Im Laufe des 29. Januars verschlechtert sich Stevens Zustand, am Abend hat er 40,1° C Fieber und es geht ihm schlecht, er hat starken Schüttelfrost und Übelkeit. Auf die Frage „Stevi, sag mal der Mama, wo tut es dir denn weh?“ fährt er sich mit einer Wischbewegung vom Ohr zum Gesicht und sagt „da“. In diesem Moment ist sich seine Mutter nicht sicher, was er damit sagen will. „Später, im Rückblick, wird mir klar sein, dass du deinen Kopf gemeint hast“, notiert sie. Melanie Heidenreich wird zunehmend besorgter. „Aber woher hätte ich denn wissen sollen, dass es in Kombination von Schnupfen, Husten und Erbrechen zu solch einem gefährlichen Verlauf kommen kann?“, fragt sie sich im Nachhinein. Diese Frage quält sie bis heute. Am 30. Januar, es ist der dritte Tag nach den ersten Anzeichen der Infektion, besucht sie am Mittag mit Steven die Kinderärztin. „Ich vertraue ihr vollkommen. In keiner Minute denke ich daran, dass mein Kind in Lebensgefahr schweben könnte.“ Die Ärztin vermutet eine hochfiebernde Gastroenteritis und sagt, „wenn es bis zum Abend nicht besser sei, sollten wir lieber in die Kinderklinik fahren“. Stevens Zustand verschlechtert sich dann zusehends, sodass Melanie Heidenreich um 16 Uhr zur Kinderklinik aufbricht. „Niemals hätte ich vermutet, dass Bakterien – in unserem Fall Pneumokokken – schon längst in die Hirnhäute meines Kindes eingedrungen waren und dabei waren, diese zu zerstören.“

Im Krankenhaus fällt dann schnell die Diagnose Hirnhautentzündung. Trotz verschiedener Behandlungsmaßnahmen kommt jedoch jede Hilfe zu spät. In der Nacht des 1. Februar eröffnet der Oberarzt der Mutter, dass Steven nicht überleben wird. Am nächsten Tag, dem 2. Februar 2006, wird seine künstliche Beatmung abgeschaltet. Melanie Heidenreich ist wie betäubt.

„Wie konnte das passieren?“, diese Frage lässt ihr seitdem keine Ruhe. Die Niederkleenerin beschreibt in ihrem Buch nicht nur den schmerzlichen Verlust, sondern auch die Unkenntnis, die zu einer verzögerten Diagnose und damit zu einer verpassten Chance auf Rettung führte. Denn die Meningitis erfordert schnelles Handeln. „Leider sind die Symptome in den frühen Stadien oft unspezifisch, was zu Verwirrung und Verzögerungen bei der medizinischen Versorgung führen kann“, sagt sie heute. „Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, wie gefährlich Meningitis sein kann. Die Symptome können leicht mit einer einfachen Erkältung verwechselt werden. Wenn wir mehr darüber wissen, können wir schneller handeln und Leben retten“, betont sie.

Anhand des tragischen Schicksals von Steven hat Melanie Heidenreich das Buch über diese gefährliche Infektionskrankheit geschrieben, „zur Erinnerung an mein Kind und als Ratgeber für andere Eltern, Familien, Ärzte und Interessierte“. Hautnah hat sie den Verlauf dieser schrecklichen Erkrankung erlebt, die schließlich dazu führt, dass Steven in der Gießener Kinderklinik nach schweren Komplikationen für hirntot erklärt wird und stirbt. Nach seinem für die Mutter zunächst unfassbaren Tod bleiben für sie viele Fragen offen, die sie nicht loslassen. Nach einem Reha-Aufenthalt im Jahr 2019 beginnt Melanie Heidenreich mit umfangreichen Recherchen und wendet sich auch an internationale Experten und Wissenschaftler, um den Tod ihres Kindes besser begreifen zu können. Die Justizangestellte bei einer Justizbehörde arbeitet sich intensiv in die Thematik ein. Das Durchlebte bringt sie zu Papier. „Es war eine Herzensangelegenheit für mich.“

„Es hat lange gedauert, bis ich das Buch fertig geschrieben hatte, ich musste zwischendurch immer wieder Pausen einlegen, da das Schreiben mit vielen Tränen und tiefen, schmerzvollen Emotionen verbunden war“, bekennt die Autorin. Besonders tragisch ist der Umstand, dass nur fünf Monate nach Stevens Tod die ständige Impfkommission (STIKO) eine Pneumokokkenimpfung für alle Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat empfiehlt.

Die Autorin steht seit langem mit namhaften Experten in Kontakt. So schrieb nach Stevens Tod der Leiter der Pneumokokken-Arbeitsgruppe vom Nationalen Referenzzentrum für Streptokokken in Aachen: „Das Schicksal ihres Kindes ist kein Einzelfall. Leider sterben pro Jahr mehr als 20 Kinder in Deutschland an dieser Infektion.“

Melanie Heidenreich hat außer ihrem Buch auch Flyer und Boxen für Arztpraxen und Apotheken konzipiert. Damit informiert sie in Kurzform über die Symptome einer Meningitis: Zu den frühen Krankheitszeichen zählen Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber, Übelkeit und Erbrechen, eher selten Durchfall, starke Schläfrigkeit, schnelle Atmung, Weinen oder Jammern und Schüttelfrost. Im fortgeschrittenen Verlauf können Nackensteifigkeit und Petechien (das sind punktförmige violett schimmernden Blutansammlungen) auftreten. Die Symptome können voneinander abweichen und sich von Kind zu Kind in unterschiedlicher Ausprägung zeigen. Besonders die frühen Symptome sind unspezifischer Natur und denen einer Grippe ähnlich. „Das ist das Tückische an dieser Erkrankung.“ Auch über Facebook und Instagram höre sie immer wieder von Fällen, bei denen eine Meningitis nicht erkannt wurde. „Deswegen ist ein weiteres Ziel von mir, Mediziner, angehende Mediziner und auch Rettungskräfte für dieses Thema zu sensibilisieren.“

Die Autorin hofft: „Wenn ich durch Stevens Geschichte das Bewusstsein für diese Krankheit schärfen kann, kann vielleicht das Leben anderer Kinder gerettet werden“.

Das Buch hat 219 Seiten und ist als Taschenbuch bei Amazon zum Preis von 21,35 Euro erhältlich.

Im Internet: www.melanie-heidenreich-giessen.com