Gruppenbild der Waldexkursions-Teilnehmer
Bei der Waldexkursion
Kranke Baumkronen im Niederkleener Wald
Förster Frank Bremer
Prof. Christoph Müller
Langgöns (ikr). Unter dem Thema „Globale und regionale Auswirkungen des Klimawandels – oder: Was hat das Amazonasgebiet mit dem Langgönser Wald zu tun?“ hatte die Gemeinde Langgöns zu einer Exkursion in den Niederkleener Wald eingeladen. Die Langgönser Klimaschutzmanagerin Susanne Müller freute sich, dass knapp 30 interessierte Bürger jeden Alters der Einladung gefolgt waren. Sie begrüßte als Exkursionsleiter den Chef der Umweltbeobachtungs- und Klimawandelforschungsstation in Linden, Prof. Christoph Müller vom Institut für Pflanzenökologie der JLU Gießen, sowie den Langgönser Revierförster Frank Bremer. Beide stellten ihre Expertise hinsichtlich der Ursachen und Folgen des Klimawandels dar.
Die Waldwanderung gab einen Einblick zu den Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, zeigte aber auch Strategien zur Klimawandel-Anpassung auf. „Wenn mich Landwirte fragen, was sie denn zukünftig noch anbauen sollen, dann kann ich nur erwidern, dass sie doch einfach mal dahin schauen sollten, wo sie normalerweise Urlaub machen, um zu sehen was dort noch wächst.“ Damit machte der Professor anschaulich den Wandel von feuchten zu immer mehr trockeneren Regionen deutlich. Dieses Phänomen unterstrich auch der Förster: „Das kann ich leider nur bestätigen. Wenn wir beispielsweise nach Spanien oder Nordafrika schauen, dann können wir sehen, welche Bäume hier bei uns in naher Zukunft ihre Heimat finden werden.“ Das sei dann eben nicht mehr die Rotbuche und auch nicht die Traubeneiche. Es gebe im Forstamt Wetzlar bereits Versuchsanbauten mit Zedernarten, Orientbuchen und Steineichen.
Christoph Müller erläuterte auch die Entwicklung der Durchschnittstemperaturen, die sich anhand der phänologischen Auswirkungen von Pflanzen und Tieren zeigten. Unter Phänologie werden die im Jahresverlauf periodisch wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungserscheinungen von Fauna und Flora bezeichnet. Bei Pflanzen sind unter anderem Blattentfaltung, Blüte, Fruchtreife, Laubverfärbung und Blattfall definierte Entwicklungsvorgänge, die als "phänologische Phasen" bezeichnet werden. Müller zeigte unter anderem eine Grafik des Beginns der Kirschblüte im japanischen Kyoto, welche schon seit 1200 Jahren aufgezeichnet wird. „Sie findet immer früher im Jahr statt, 2023 so früh wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen“, berichtete der Professor. Da in den hiesigen Breiten die Pflanzenentwicklung maßgeblich durch den Temperaturverlauf bestimmt werde, seien phänologische Beobachtungen gute Indikatoren, um die Folgen der Klimaerwärmung für die Biosphäre zu dokumentieren.
Der Pflanzenökologe erzählte auch von der vierwöchigen Expedition eines internationalen, interdisziplinären Forschungsteams unter seiner Leitung in den brasilianischen Regenwald. Die seit Jahren vorbereitete Forschungsreise entlang des Amazonas hatte zum Ziel, den sogenannten Terra preta-Boden zu erforschen, der über besondere Eigenschaften der Kohlenstoffspeicherung verfügt und zudem sehr fruchtbar ist. Zum anderen wurden wissenschaftlich-forensische Verfahren zur Bekämpfung des illegalen Holzeinschlages entwickelt. Seine Schilderungen waren sehr spannend: „Damit das hier alles nicht ganz so deprimierend ist, kann ich folgendes erzählen: Die Terra preta-Böden sind menschengemacht. Sie entstanden durch Holzkohle und Nahrungsmittelabfälle, Dung und Kompost.“ Menschen, die vor mehreren Tausend Jahren am Amazonas lebten und dort Felder bewirtschafteten, haben diese Materialien über lange Zeit in den Boden eingebracht und so dienen die Böden als Kohlenstoffspeicher und machen ressourcenschonende und klimaresiliente Bewirtschaftungsmethoden möglich. Sie spielen also als Mosaikstein in der Klimawandel-Vermeidungsstrategie eine Rolle. „Ein Mosaikstein unter vielen anderen Mosaiksteinen, aber eben ein wichtiger Mosaikstein“, so Prof. Müller.
Die Folgen des Klimawandels im Langgönser Wald erörterte Frank Bremer: "Das flächenhafte Absterben der Fichten vor einigen Jahren war für jeden offensichtlich." Diese Baumart leide sehr schnell unter Wassermangel. Ist sie geschwächt, ist sie anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer. „Ganze Waldgebiete starben ab“, erinnerte der Förster. Das gleiche Ursache-Wirkungsprinzip finde auch bei allen anderen Baumarten statt. Mittlerweile zeigten alle Baumarten in Langgöns Schäden, die auf klimatische Veränderungen zurückzuführen seien. Frank Bremer zeigte anhand von Grafiken, wie sich die Standortvoraussetzungen für die aktuell noch heimischen Baumarten in den nächsten Jahrzehnten verändern werden. Die Fichte könne nur noch in ausgesprochenen Gunstlagen wachsen. Die Prognosen für die Rotbuche sähen ebenso düster aus. Die Traubeneiche könnte zur vorherrschenden Baumart im Gebiet des Niederkleener Waldes werden. Hier zeige sich jedoch schon der Eichenprachtkäfer in schädlicher Aktion. „Insekten wie der Eichenprachtkäfer gehören zu den großen Klimawandelgewinnern, da sie ihren Lebenszyklus durch die Erwärmung deutlich verkürzen können und dann zu Massenvermehrungen in der Lage sind“, sagte der Förster. Ein Großteil der Eichen werde den Befall nicht überleben. Für den Niederkleener Niederwald werde deshalb schon überlegt, die Eichen „auf Stock zu setzen“, also komplett zurückzuschneiden, und das Holz mit dem Larvenbefall aus dem Wald zu bringen. Da vermutlich die Wurzeln noch nicht beschädigt seien, könne man auf den neuen Austrieb setzen. Die weitere Vorgehensweise sei jedoch noch nicht abschließend geklärt, so Bremer. Momentan werden durch das Forstamt Wetzlar Drohnenbefliegungen über den Eichenwäldern durchgeführt, um das Ausmaß des Prachtkäferbefalls abschätzen zu können.
Auch Buchen, die wenig Laub und bereits abgefallene Seitenaustriebe vorwiesen und Risse im Stammholz durch den parasitären Pilzbefall (Buchenschleimfluss), waren bei der Exkursion zu sehen. „Sie werden den Winter nicht überleben“, erklärte Frank Bremer. Er zeigte Douglasien, leicht mit der Fichte zu verwechseln, die sich noch gut auf den heimischen Böden halten, genauso die Weißtannen, die sukzessive aufgeforstet wurden. Auch die Esskastanie finde hier Heimat und sei auch als Bauholz gut zu nutzen. Sie sei sehr widerstandsfähig und haltbar. Bremer riet den Zuhörern: „Gehen Sie mit offenen Augen durch den Wald, mit dem Blick nach oben, wie ein Förster es auch tut. Der Wald ist nicht unbedingt gesund, nur weil er noch grün ist." Die Anzeichen, dass Bäume kränkeln, seien oftmals oben im Kronenbereich zuerst zu sehen.
„Das was der Mensch kennt und versteht, kann und wird er schützen. Klimaschutz- und Klimawandelstrategien sind vorhanden“, zog Susanne Müller trotz des Gehörten ein hoffnungsvolles Resümee. Weitere interessante Veranstaltungen sollen folgen, kündigte sie an. So plant sie, der Einladung von Christoph Müller zu folgen und eine Exkursion zur Klimawandelforschungsstation nach Leihgestern anzubieten. Dort können sich die Teilnehmer dann ein genaueres Bild über die Veränderungen auf Böden, Humusbildung und CO2-Speicherung in den Böden machen.