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Heimatblatt Langgöns
Ausgabe 42/2024
Heimatblatt
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5. Historischer Rundgang steht unter Motto „Geschichte auf Schritt und Tritt“ – Heimatforscher Otto Berndt lässt alte Zeiten lebendig werden

Otto Berndt (rechte Mitte) erzählt viele spannende Geschichten aus der Dorfhistorie.

Laura Henss, Geli Mai und Dieter Brückel berichten mit viel Spielfreude auf Platt aus vergangenen Zeiten.

Otto Berndt

Inschrift zur Paradiesgärtlein-Geschichte im Fachwerkhaus Obergasse 1/3.

Lang-Göns (ikr). Lang-Göns erlebte am Wochenende eine Zeitreise der besonderen Art: Der fünfte „Historische Dorfrundgang“, geführt vom bekannten Heimatforscher Otto Berndt, zog auf Einladung des Heimatkundlichen Arbeitskreises Lang-Göns rund 80 Geschichtsbegeisterte in seinen Bann. Mit lebendigen Anekdoten und spannend erzählten historischen Begebenheiten entführte Berndt seine Zuhörer unter dem Motto "Geschichte auf Schritt und Tritt" in die Vergangenheit des Ortes – verständlich, unterhaltsam und oft mit einem Augenzwinkern. Dabei sorgten kleine Spielszenen mit Akteuren in traditioneller Tracht für besondere Momente, die die Geschichte höchst unterhaltsam und greifbar machten. Ein Rundgang, der nicht nur Wissen vermittelte, sondern das Dorf vergangener Zeiten förmlich zum Leben erweckte.

Astrid Müller begrüßte das Publikum, bevor Otto Berndt die Gruppe mitnahm auf eine Zeitreise in die Vergangenheit. Er berichtete von den ersten Ursprüngen der Siedlung, deren erster Ortskern sich im Bereich "Am alten Stück“ befand und im 17. Jahrhundert aufgelassen wurde, „vermutlich im Zusammenhang mit Missernten und Hungersnöten während der sogenannten ‚kleinen Eiszeit‘“, erzählte der Heimatforscher, der sein umfangreiches und fundiertes Wissen auch in einem 2013 veröffentlichen Buch niedergeschrieben hat. Als Großherzoglicher Geometer von 1830 schlüpfte anschließend Uli Stoll in die Rolle eines Zeitzeugen und verlas ein Schreiben aus dieser Zeit. In der Wiesenstraße erfuhren die Teilnehmer, welche Katastrophen u. a. das Jahr 1822 prägten: eine verheerende Mäuseplage, Armut und Dürre. Geli Mai, Dieter Brückel und Laura Henss berichteten davon anschaulich und humorvoll auf Platt und in historischer Kleidung. Weiter ging es zur Bismarckstraße, wo Berndt eine kuriose Geschichte erzählte: Wie ein Krieg in Ostasien und eine Naturkatastrophe zusammen die Ortsbezeichnung „Porte Arthur“ hervorbrachten.

Besonders bewegend war die Erinnerung an die Bombardierung der Bahnlinie am 22. Februar 1945 durch alliierte Flugzeuge. Anwohnerin Marie Althaus hatte dieses Ereignis schriftlich festgehalten, und ihre Enkelin Christel Reeh trug den Bericht vor. Darin heißt es: „Es ist ein sonniger Wintertag, Kinder spielen draußen, zwei Familien backen Brot. Opa Velten fragt noch, ob Alarm ist, wenige Augenblicke später lebt er nicht mehr, unter den Trümmern seines eigenen Hauses ist er begraben.“ Marie Althaus notierte damals: „Tote und verletzte Menschen – zerstörte Häuser – Berge von Trümmern, Schutt und Dreck prägen diesen furchtbaren, denkwürdigen Tag in Langgöns am 22. Februar 1945.“

Von der Bismarckstraße ging es zum Bahnhof, wo die Gruppe in die Geschichte vom Bau der Main-Weser-Bahn eintauchte. Berndt erzählte zudem die Lebensgeschichte von Georg Peter Pfannenschmidt, der es vom einfachen Streckenarbeiter zum Stationsvorsteher brachte. Nicht zu vergessen der Besuch des späteren Reichskanzlers Bismarck 1851 im Gasthaus zur Post, der in der Dorferinnerung ebenfalls fest verankert ist.

Vor dem Amthof widmete sich Berndt der Rolle dieses Ortes als Amtssitz für den Hüttenberg und stellte den bekannten Architekten und Kunstwissenschaftler Hugo von Ritgen vor. In der Breitgasse erfuhren die Zuhörer spannende Details über die früheren Gasthäuser von Lang-Göns: Zwölf Gaststätten und fünf Spezereiläden mit Schankrecht zogen im 19. Jh. zahlreiche Gäste an. Die Ursprünge bekannter Redewendungen stammen aus dieser Zeit. So kommt „Schwamm drüber“ von der Praxis der Wirte, die Rechnung nach Zahlung mit einem Schwamm von der Tafel zu wischen. Der Ausdruck „Schlitzohr“ geht auf Handwerksburschen zurück, denen bei unbezahlter Zeche der wertvolle Ohrring ausgerissen wurde, was sie fortan unseriös erscheinen ließ.

Am alten Spritzenhaus berichtete Berndt von den immensen Einquartierungen in den Jahren 1762 bis 1815, die die Bevölkerung verzweifeln ließen, und erzählte die rührende Geschichte von Kronewirt Anton, der als Kind einen Sturz vom Kirchturm überlebte, später aber mit 35 anderen jungen Männern unter Napoleons Fahne nach Russland ziehen musste – keiner von ihnen kehrte zurück.

Gegenüber des Hofes in der Obergasse 4, dem ehemaligen Gasthaus „Zur Kanne“, ereignete sich 1624 die als „Wunder“ überlieferte Geschichte des Gebetbuches „Das Paradiesgärtlein“: Ein katholischer spanischer Leutnant hatte wutentbrannt ein protestantisches Gebetsbuch in die Feuerstelle geworfen, doch das Buch blieb unversehrt. Diese Begebenheit verbreitete sich schnell, und das Buch wurde später in der Bibliothek des Landgrafen Philipp III. in Butzbach aufbewahrt. Der Leutnant selbst verstarb nur zwei Jahre später unter mysteriösen Umständen.

Zum Abschluss des Rundgangs wurde die Begebenheit von Pfarrer Tobias Leun, der am 29. Juni 1724 den rettenden Sprung von der Kanzel der Jakobuskirche wagte, als ein Wandteil einstürzte, szenisch nachgestellt. Die Rolle des Pfarrers übernahm Pfarrer im Ruhestand Hartmut Völkner. Gemeinsam sangen die Teilnehmer schließlich das Lang-Gönser Heimatlied. Wer Lust hatte, ließ den Nachmittag anschließend in geselliger Runde in der Gaststätte „Speckmaus“ ausklingen. Die Teilnahme war kostenlos, um Spenden für den Verein „Pro Jugend“ unter dem Dach der evangelischen Kirche Lang-Göns wurde gebeten.

Weitere Impressionen vom Dorfrundgang (Fotos: Christina Brückel)