Professor Rüdiger Grimm erläutert die Inschrift des Epitaphs.
: Bei der Einweihung des restaurierten Epitaphs (v. l.): Melanie Kieslich (Presbyterium), Kim Scholz (Tochter des Steinmetzes), Rüdiger Grimm, Jörn Bender, Annemarie Neumeyer in Stellvertretung ihres Mannes, Prädikant Dieter Neumeyer, und Hans-Joachim Röhrig (Presbyterium).
Das Epitaph und die Erklärtafeln
Detailansicht der Inschrift des Epitaphs
Langgöns /Niederkleen (ikr). „Wanderer, kommst du nach Niederkleen, so halte inne und bedenke was dieser Gedenkstein dir zu sagen hat.“ Sinngemäß mit diesen Worten, aus dem Lateinischen übersetzt, beginnt die Inschrift des Familiengrabs der Pastoren Hert in Niederkleen. Professor Dr. Rüdiger Grimm aus Darmstadt hat die Geschichte dieses Epitaphs, so werden Grabsteine genannt, die an einer Kirchenwand angebracht sind, akribisch recherchiert. Damit hat der Darmstädter zum Erhalt des kulturellen Erbes von Niederkleen beigetragen und bewiesen, dass ein alter, lange Zeit unbeachteter Stein ungeahnt Vieles aus der Vergangenheit preisgeben kann.
Nachdem die Kirchengemeinde auf Grimms Initiative hin das steinerne Zeugnis aus dem Jahre 1721 restaurieren ließ, wurde es nun offiziell eingeweiht. Zwei Erklärtafeln ergänzen den barocken Gedenkstein. „Professor Grimm hat einen historischen Schatz gehoben, der vielen nicht bekannt war“, sagte Jörn Bender vom Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde in Niederkleen bei der offiziellen Einweihung. Das Epitaph, vor mehr als 300 Jahren auf dem Kirchhof in Niederkleen errichtet, befindet sich heute an der Ostwand der Pfarrscheune. Wer den Weg zur Kirche geht, sieht es am Rande der Wiese, die wenigsten Besucher werden es bisher näher betrachtet haben. Nicht so Rüdiger Grimm, und das hat einen besonderen Grund, denn der Informatik-Professor aus Darmstadt hat eine ganz persönliche Beziehung zu dem Stein, der an bedeutende Persönlichkeiten erinnert: zwei davon, Pastor Johann David Hert und seine Frau Catharina, sind Grimms achtfache Urgroßeltern. Somit hat der uralte Grabstein nicht nur kunsthistorischen Wert, sondern auch eine tiefe familiäre Bedeutung für Rüdiger Grimm.
„Erst als ich von Norddeutschland nach Darmstadt zog, habe ich von einem Verwandten erfahren, dass ich hessische Vorfahren habe. So wurde ich auf Niederkleen aufmerksam“, erzählte Grimm. Bei einem Besuch entdeckte er das Epitaph, an dem sichtlich der Zahn der Zeit genagt hatte. Seine Neugier war geweckt, er nahm Kontakt zur Kirchengemeinde auf und fand bei seinen Recherchen immer mehr Details zu seiner Familiengeschichte, die er schließlich 2021 in den „Mitteilungen des oberhessischen Geschichtsvereins Gießen“ auf 39 Seiten auch veröffentlichte.
„Insgesamt sind sechs bedeutende barocke Epitaphe der Familie Hert aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis heute erhalten“, weiß der Familienforscher. Das älteste von 1658 befindet sich im Dom zu Wetzlar, „das Wichtigste auf dem Kirchhof in Niederkleen“, eines ist in der Markuskirche in Butzbach und drei weitere an der Kapelle des alten Friedhofs in Gießen platziert. Alle zusammen geben ein lebendiges Bild dieser Pastoren- und Gelehrtenfamilie ab, von ihrem Zusammenhalt und von ihrem beruflichen Wirken. Es war eine sehr angesehene Familie: So wurde der älteste Sohn von Grimms achtfachem Urgroßvater wie sein Vater Pfarrer in Niederkleen, der zweite Sohn wurde Medizinprofessor in Gießen, der dritte wurde Juraprofessor in Gießen. Der vierte starb als Schüler. Die einzige Tochter heiratete den Leibarzt des Mainzer Kurfürsten.
Das Niederkleener Epitaph aus grauem Lahnmarmor mit zwei Säulenkapitellen aus italienischem Marmor ist ein Gedenkstein für sieben Personen der Pastorenfamilie Hert, darunter die drei einander nachfolgenden Pastoren der Evangelischen Kirche Niederkleen in und nach dem Dreißigjährigen Krieg, Philipp Stipp, sein Schwiegersohn Johann David Hert und dessen ältester Sohn Philipp Jakob Hert. Auch deren Frauen und ein früh verstorbener Sohn wurden hier beigesetzt. Das Grabmal wurde 1721 an der Ostwand der Kirche errichtet und war ursprünglich ganz mit marmorweißer Farbe bemalt, wie an den Überresten im oberen Bereich noch gut zu erkennen ist. 1989 wurde der Stein an die Ostwand der Pfarrscheune verlegt und 1990 mit einem Schieferdach zum Schutz gegen Regen versehen.
Rüdiger Grimm schwärmte mit sichtlicher Begeisterung ganz besonders von der „barocken Wortpracht“ der Inschrift, die in Latein verfasst, aber nur noch schlecht zu lesen ist. Zwei Abschriften aus der Vergangenheit existierten noch und halfen beim Entziffern. Auf den Erklärtafeln wird auf die Personen und die Geschichte des Gedenksteins verwiesen, und die Original-Inschrift sowie deren Übersetzung ist notiert.
Die Epitaphe in Gießen und Butzbach sind exzellent erhalten. Das Epitaph in Niederkleen dagegen war durch Witterungseinflüsse und aufsteigende Feuchtigkeit vom Grund arg beschädigt. Anlässlich seines 300-jährigen Bestehens im Jahre 2021 wurde es nun gründlich gereinigt, um es vor weiterem Verfall zu schützen. Steinmetz- und Bildhauermeister Olaf Schulz aus Nauborn-Laufdorf hat es behutsam gereinigt und etliche Risse im Stein ausgebessert. Pflasterung und Bepflanzung besorgte die Firma Peter Spormann aus Dornholzhausen. Finanziell unterstützt wurde die Restaurierung vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, von der Evangelischen Kirchengemeinde Kleebachtal und von Nachkommen der Familie Hert. Rüdiger Grimm dankte ausdrücklich den Verantwortlichen der Kirchengemeinde um Jörn Bender und Pfarrer Michael Ruf für ihr Engagement. „Es war für mich ein erhebendes Gefühl, die Geschichte meiner Vorfahren zu erforschen“, sagte er. „Man kann alle sechs Grabsteine bequem bei einem einzigen Ausflug nacheinander besichtigen“, lud Rüdiger Grimm zu einer besonderen historischen Tour auf den Spuren seiner Vorfahren ein.
Wer sich intensiver mit der Geschichte der Familie Hert beschäftigen möchte, dem sei der Sonderdruck „Die oberhessische Pastoren- und Gelehrtenfamilie Hert anhand ihrer barocken Grabdenkmäler 1685-1760“ von Rüdiger Grimm aus den Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen (MOHG) Band 106 (2021), S. 71-110 empfohlen.