Dass der amtierende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwochabend zum zweiten Mal binnen eineinhalb Jahren in die kleine Vogelsberg-Gemeinde Lautertal kommen sollte, war durchaus nicht zu erwarten gewesen. Doch Rolf Mützenich hatte im vergangenen April ein Versprechen gegeben: Er wolle gerne wiederkommen, wenn seine Gastgeber Maximilian Ziegler und Lukas Becker ihre anstehenden Wahlen erfolgreich bestritten. „Ich danke dafür, heute zwischen einem Landtagsabgeordneten und einem Bürgermeister stehen zu dürfen“, kam Mützenich in seinen Begrüßungsworten noch einmal darauf zurück.
Doch nicht gegenseitiges Schulterklopfen als vielmehr konkrete politische Themen standen bei der Veranstaltung im vollbesetzten Dorfgemeinschaftshaus in Hörgenau auf dem Programm. „Gemeinsam handeln: Finanzielle Spielräume schaffen, Infrastruktur stärken“ hatten Ziegler und Becker ihr Programm umschrieben. In seiner kurzen Einführung kam Ziegler zunächst auf die Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur in Hessen zu sprechen. Diese stamme im Wesentlichen aus der Zeit zwischen 1965 und 1985 und umso wichtiger sei es, sie zu erhalten und auszubauen.
Aus der Perspektive des Bürgermeisters der Gemeinde Lautertal umriss Becker die Herausforderungen einer ländlichen Kommune durch den Unterhalt von Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Gemeindestraßen, DGHs und Kitas. „Am Ende bezahlen es die Bürgerinnen und Bürger“, so Becker, der bekannte, dass man als Bürgermeister stets „spannende Themen“ habe. Auch eine Forderung legte er auf den Tisch: „Wir brauchen eine Finanzstruktur, die grundsätzlich den Kommunen zutraut, Dinge in Eigenregie zu regeln“. Die Kommunen bräuchten nicht nur mehr Geld in der Tasche, sondern sie wüssten selbst auch am besten, wie und wofür sie dieses Geld zielgerichtet einsetzten.
„Natürlich wollen wir die Kommunen mehr unterstützen. Doch ich muss leider sagen, es wird in nächster Zukunft nicht einfacher werden, sondern es wird schwerer“, machte Mützenich diesbezüglich mit Blick auf die jüngste Steuerschätzung des Bundes für 2025 allerdings keine leichten Versprechungen. Auch auf die aktuellen Konflikte in der gemeinsamen Bundesregierung der SPD mit FDP und Grünen kam Mützenich zu sprechen. „Es war richtig, dass der Bundeskanzler das Gespräch mit der Wirtschaft gesucht hat“, verteidigte er den kürzlich stattgefundenen Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt. Es sei auch richtig, dass Deutschland weiter ein Industriestandort bleiben wolle.
„Ich komme mit einer gewissen Demut hierher“, bekannte Mützenich im Hinblick auf die Sorgen der Kommunen. Als diesbezüglich ein wichtiges Ziel, dass die Bundesregierung in der laufenden Amtsperiode noch angehen wolle, benannte er einen Altschulden-Schnitt. Denn viele Städte und Gemeinden hätten schon seit den 1960er Jahren Strukturbrüche zu bewältigten gehabt und seien seit Jahrzehnten mit Schulden belastet. Allerdings hätten hier die Bundesländer ein Wort mitzureden. Als weiteres politisches Ziel benannte Mützenich eine flexiblere Gestaltung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Im Vergleich zu vielen anderen Industrieländern weise Deutschland ohnehin eine unterdurchschnittliche Verschuldungsquote auf. „Weil es keine gewohnten Zeiten sind, müssen wir zu ungewohnten Maßnahmen greifen“, betonte Mützenich. All das habe auch Rückwirkungen darauf, für die Kommunen mehr Mittel bereitstellen zu können. Beifall erntete er für seine Forderung, dadurch gewonnene Gelder primär für die Ertüchtigung der bestehenden Infrastruktur einzusetzen, anstatt neu zu bauen.
Die abschließende Diskussionsrunde wurde rege genutzt - zunächst allerdings von einer Frau mit der etwas provokanten Forderung, wann die hessische Landesregierung denn endlich aufhöre, „Geld für Wölfe zu verschwenden“. Die nächste Frage ging dann aber dahingehend, ob die anvisierte Streichung der Altschulden auch die investiven Schulden seit der Gebietsreform umfasse. „Genau das wollen wir, das sage ich deutlich. Da verschiebe ich auch keine Verantwortung“, bestätigte Mützenich hier. Die SPD wolle, dass dieser Schuldenschnitt nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werde. „Das Gequatsche über das Ende dieser Regierung lehne ich ab. Wir haben noch viel zu tun“, unterstrich er nochmals, als es um die Auseinandersetzungen in der Regierungskoalition ging.
Auf dezente Kritik an den beiden Partnern verzichtete Mützenich allerdings nicht. „Auf diesen Impuls hätte ich gerne verzichtet“, meinte er etwa zum vor einer Woche vorgestellten Impulspapier von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Dagegen habe Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinem Gipfel mit Industrie und Gewerkschaften bewusst keine „Showveranstaltung“ gesucht. Wie Mützenich bei einer weiteren Frage herausstellte, arbeiteten die drei Bundestags-Fraktionen von SPD, FDP und Grünen sehr gut miteinander zusammen. Zur VW-Krise erklärte er, dass diese auf falschen Entscheidungen des Managements in der Vergangenheit beruhe.
Eine weitere Frage aus dem Publikum ging dahingehend, ob die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) wieder erhöht werden könnten. „Ich kann heute Abend nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Eher das Gegenteil“, machte Mützenich auch hier den geringen finanziellen Spielraum deutlich. Man sei eher damit konfrontiert, noch mehr einzusparen. Jedoch könnte alles einfacher sein, gäbe es nicht die Blockade gegen die erneute Ausrufung einer Haushaltsnotlage auf Bundesebene.
„Ich freue mich, dass du sachlicher aufgetreten bist als viele andere deutsche Politiker“, überreichte Ziegler zum Abschluss der gemeinsamen Veranstaltung dem hohen Gast einen Vogelsberg-Kalender als Präsent. Mit dieser Erinnerung an die Region verabschiedete sich Mützenich nach einer Stunde wieder aus Hörgenau - und auf der Rückfahrt nach Berlin warteten bereits wieder die Bundespolitik mit telefonischen Gesprächen auf ihn.
Text und Bild: Carsten Eigner