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Räuberbanden in Wetterau und Vogelsberg - Lebenswelten-Prisma 1780 - 1825
Weniger schaurig als vielleicht erwartet entpuppte sich der jüngste Vortragsabend im nahezu voll besetzten Bonifatiussaal. Der promovierte Historiker Dr. Sascha Reif aus Alsfeld beschrieb das organisierte Räuberwesen in Wetterau und Vogelsberg rund um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert - einer Zeit, zu der Reif zufolge fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung auf der Straße lebten und vergleichsweise viele Räuberbanden ihr Unwesen trieben, in der Literatur mitunter bezeichnet als „Symptom fehlender Ordnung“ oder als „Banditentum in unsicheren Zeiten“. Von „unschuldig schuldig geworden“ könne aber nicht die Rede sein. „Man hat durchaus Verantwortung für das, was man tut“ folgte der Referent dem Kriminalsoziologen und Gewaltforscher Trutz von Trotha. Sein Blick sei ein eher „betriebswirtschaftlicher“ auf die „Kleinunternehmer der Gewalt“, auf das WIE statt auf das WARUM. Reifs Forschungen zu den Räuberbanden umfassen ein sehr komplexes Phänomen regionaler Sozialgeschichte von 1780 bis 1825.
Wie eingehend und differenziert sich der Referent nach seiner Promotion über gewaltbereite Gruppen in Ostafrika dem Räuberbanden-Phänomen in Ober- und Mittelhessen zugewandt hat, lässt sich an seinen facettenreichen Schilderungen ablesen. „Die Akten haben’s in sich“, sagte Reif und nahm die gebannt lauschenden Zuhörer mit zu manch haarsträubendem Detail unter der Prämisse, die umfangreichen Polizeiakten von damals „ein bisschen gegen den Strich zu lesen“. Unter Folter habe man damals alles Mögliche erzählt und gestanden. „Die Protokolle sind mit Vorsicht zu genießen“, warnte der Referent. Niederschriften von Gefängnispfarrern beispielsweise kämen den Geschehnissen womöglich näher. Belegt seien nur wenige Originalaussagen, so die des fränkischen Räubers Franz Troglauer: „Der Galgen ist mein Grab“.
Rund 300 bis 350 „Kleinunternehmer der Gewalt“, die von ihren Raubzügen lebten, seien damals in Wetterau und Vogelsberg in Banden organisiert gewesen. Die Dunkelziffer liege vermutlich weit höher. „Wir kennen ja nur die, die man erwischt hat“. Während es in Oberhessen eher um kleinere Delikte ging, seien schwere Diebstähle mit brutaler Gewalt eher in Richtung Frankfurt an der Tagesordnung gewesen. Wer erwischt wurde, wurde mitunter direkt aufgeknüpft.
Das Nebeneinander kleinster Herrschaftsbereiche mit unzureichend ausgestatteter Justiz, baufälligen Gefängnissen oder unpassenden Wächtern erleichterten den Gaunern (Kameruschen) zugleich das Entkommen. Der Referent berichtete von typischen Zielen wie Bauernhöfen, Braukesseln, Kirchen, Geldkatzen, von Netzwerken aus Verbündeten (Kochemer), Verstecken und Herbergen, von bandeninternen Erkennungszeichen an der Kleidung. Frauen seien vor allem fürs „Ausbaldowern“ zuständig gewesen, für Taschen- und Marktdiebstähle (mit großen Unterröcken zum Verstecken von Diebesgut) und zum Anlernen der jungen Räuber.
Die damalige Hierarchie schrieb dem Straßenraub das höchste Ansehen zu, unterschieden wurde beispielsweise in Scheingänger (Tagräuber), Rattegänger (Nachtdieb), Kaudemaker (Morgendieb), Kitteschieber (frühmorgens einschleichen und stehlen) oder Triller-Makel (Diebstahl während die Leute beim Spinnen zusammensitzen; vgl. Rotwelsch-Wörterbuch). Damals übliche „Geheimzinken“ zur Markierung lohnender Ziele sind teilweise bis heute überliefert. Geheimsprache-Kürzel dienten der Verabredung zum nächsten Coup, mit ihnen trugen sich Bandenmitglieder in geheime Listen ein, vergleichbar mit heutigen „Gruppenchats“.
Aus damaliger Sicht als „primitiv und zivilisierungsbedürftig“ dargestellt, sah der Referent bei den organisierten Schattenexistenzen durchaus die Notwendigkeit, um des Überlebens willen Kompetenzen zu entwickeln und Strukturen mit Helfern und Hehlern aufzubauen. Mit der Zeit lernte die Bevölkerung, Milizen aufzubauen und sich unter Nachbarn zu helfen. Thema bis heute seien Zuständigkeiten oder mangelnder Dialog zwischen den Behörden. Das Bandenwesen als Organisationsprinzip habe nichts an Aktualität verloren. Mit einem Räuberlied, Beifall und dem Dankeschön der veranstaltenden Öffentlichen Bücherei St. Remigius in Kooperation mit der Initiativgruppe „Wir für unser Dorf“ endete der spannende historische Abend.
Weiterführende Literatur gibt es im Internet. Beispiele sind die
- „Frankfurter Verhöre - Städtische Lebenswelt und Kriminalität im 18. H.“ von Joachim Eibach, Ferdinand-Schöningh-Verlag 2003
- „Actenmäßige Geschichte der Vogelsberger und Wetterauer Räuberbanden“ von Friedrich Ludwig Adolf von Grolmann, Gießen 1813
- Genre-Bilder von Johannes Baptist Pflug, z.B. Die Räuberbande Anton Rosenberger, Wanderausstellung „Im Spitzbubenland“ zu schwäbischen Räuberbanden im 18. Jh. in Schwaben
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Unsere nächste Veranstaltung ist ein Nachtwächterrundgang mit Kai Schraub am Dienstag, den 29.04. Ersatztermin ist am Mittwoch, den 07.05. Am Samstag, den 17.05., besucht uns dann der Autor Markus Theisen. Nachmittags wird er seine Kinderbücher vorstellen, abends gibt es eine Krimilesung mit seinem Eifelkrimi „Es stirbt sich gut am Laacher See“. Mehr dazu in Kürze!
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