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Ober-Mörler Nachrichten
Ausgabe 24/2024
Vereine und Verbände
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Damals in Ober-Mörlen - Interessantes aus unserer Ortsgeschichte

Kleinbauernfamilie Scheibel in der Pfarrgasse. V.l. Katharina, Maria, Jakob, Adolf und Adolf jun. Fotoarchiv Schraub

Blick auf Ober-Mörlen vor 100 Jahren als die Rhöner kamen.

Ehepaar Rosamunde und Heinrich Werner in der Nauheimerstraße. Fotoarchiv Schraub

Elternhaus der Familie Stühler in Premich in der Rhön, das bereits abgerissen ist. V.l. Rosamunde, Justina (Mutter) und Anna Stühler. Fotoarchiv Schraub

Typische Kleinbauernhäuser in Ober-Mörlen in der Pfarrgasse. Fotoarchiv Schraub

Schon bevor die vielen Heimatvertriebenen des Zweiten Weltkrieges nach Ober-Mörlen kamen, zogen Jahre zuvor arbeitssuchende Auswärtige ins Dorf. Eine Geschichte erzählt von Kai Schraub.

Als die Rhöner ins Dorf kamen

Es sind bereits gut 100 Jahre ins Land gezogen, seit die Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft zunahmen. Zuvor hatten dort die meisten Menschen ihr Auskommen. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts reichten die Arbeitskräfte in den bäuerlichen Betrieben zunehmend nicht mehr aus. In vielen Bauernhäusern in der Wetterau beschäftigte man deshalb von „Lichtmess“ (2. Februar) bis „Martini“ (11. November) eine Magd, meist aus dem „Fulderland“. Besonders zur Ernte- und Dreschzeit kamen weitere Saisonarbeiter an, so auch in Ober-Mörlen. Es waren Menschen aus der Region um die Stadt Fulda und der hessischen und teils bayerischen Rhön. Sie besaßen einen eigenen Typ von Sense, den sie aus der Heimat mitführten. In der Wetterau gab es viel Arbeit, denn auf den fruchtbaren Äckern baute man oftmals Getreide an. Dann schimmerten zur Erntezeit die Äcker goldgelb, weshalb man bis heute von der „goldenen Wetterau“ spricht.

Auch im aufstrebenden Kurbad Bad Nauheim wurden stets saisonale Arbeitskräfte gesucht. Aus den ärmeren Gegenden des ehemaligen Fürstbistums Fulda und Teilen der heutigen Region Unterfranken kamen diese in die wohlhabende Wetterau, da sie aus kinderreichen Familien stammten und zu Hause kein ausreichendes Auskommen fanden. Viele der „Fulder“ und „Fulderinnen“ blieben in der Wetterau, heirateten und gründeten eine Familie. So auch in den 1920er Jahren die Geschwister Maria und Rosamunde Stühler aus Premich in der bayerischen Rhön. Mit der Dreschmaschine kamen sie in den Sommermonaten in die goldene Wetterau, wie viele andere auch. Ein damals weiter und beschwerlicher Weg, den es zu bestreiten galt. Die Landschaften der Rhön sind im Gegensatz zur ebenen Wetterau weit und kuppig. Es nennt sich auch das Land der „sanften Fernen“ und ist heute über drei Bundesländer verteilt.

Viele der Wetterauer Kleinbauern waren über Generationen ortsansässig und so war es nicht selten der Fall, dass man im Ort von Verwandtschaft ringsum umgeben war. Eine passende Ehefrau zu finden, die nicht mit einem selbst näher oder ferner verwandt war, war da umso schwerer. Da kamen die fleißigen Fremden aus der Ferne genau zur rechten Zeit in die Dörfer der Region und sorgten somit für „frisches Blut“, wie man es im Volksmund nannte. Mit der Hochzeit eines ortsansässigen Bauern war somit quasi das Hierbleiben besiegelt. Es war sicherlich nicht einfach seine vertraute und schöne Heimat hinter sich lassen zu müssen mit dem Gedanken, sie vielleicht kaum noch oder gar nicht mehr wiedersehen zu können. Der Weg dorthin war weit, das Geld knapp und die Kinder daheim sowie das Vieh im Stall mussten versorgt werden.

So lernte auch Maria Stühler Anfang der 1920er Jahre den Kleinbauern Adolf Scheibel aus der Ober-Mörler Pfarrgasse kennen und lieben. Nach der Heirat erblickten drei Kinder das Licht der Welt, Adolf junior, Katharina (die Großmutter von Kai Schraub) und Jakob. Marias Schwester Rosamunde heiratete den Schreiner Heinrich Werner. Mit ihrer Tochter Erika wohnten sie in der Nauheimerstraße. Heinrich Werner errichtete u.a. die „Werner-Hütte“ an den Bad Nauheimer Waldteichen, die heute noch existiert und nach ihm benannt wurde. Es tat den beiden Rhöner Mädchen gut, zu wissen, dass eine Schwester im neuen, fremden Dorf wohnhaft war.

Nach und nach übernahmen landtechnische Neuerungen die schwere Landarbeit auf Feld und Hof, die Zeit der Saisonarbeiter aus der Rhön schwand zunehmend. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fand eine Zeitenwende statt, die alles veränderte. Verwandtschaftliche Beziehungen rissen ab und vieles geriet in Vergessenheit, so aber nicht bei den Nachfahren der beiden Schwestern, die noch immer gute verwandtschaftliche Beziehungen in die bayerische Rhön pflegen. Geblieben sind Erinnerungen an eine Heimat die heute gerne als Urlaubs- und Freizeitregion genutzt wird. Die Rhön ist zudem „Unesco Biosphärenreservat“ und ausgewiesener „Sternenpark“. In den alten Gassen der Ortskerne der Wetterauer Dörfer finden sich noch heute zahlreiche schmucke und gepflegte Kleinbauernhäuser aus Fachwerk, wo jedes seine ganz eigene Geschichte erzählen könnte und vielleicht früher auch eine Rhöner Magd beherbergte.