Vor 80 Jahren, im Jahr 1944, kam es zu zwei zentralen Ereignissen im Zweiten Weltkrieg:
Zur Landung der Alliierten in der Normandie und zum Warschauer Aufstand. Diese beiden Ereignisse stehen symbolisch für den Mut, den Widerstand und die Entschlossenheit, die in Zeiten der größten Dunkelheit notwendig sind. Auch heute noch, 80 Jahre später, sind sie für uns und unsere europäischen Partner Inspiration und Verpflichtung.
Knapp fünf Jahre später konnte das freiheitlich-demokratische Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verabschiedet werden, dessen Präambel sehr klar davon spricht, dass die zukünftige Geschichte des deutschen Volkes „von dem Willen beseelt“ und geprägt sein soll, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Den vier Müttern und 61 Vätern unseres Grundgesetzes waren im Jahr 1949 die Erinnerungen an Verfolgung, Hass und Gewalt und an den durch die menschenverachtende nationalsozialistische Ideologie und Politik verursachten millionenfachen Tod noch sehr präsent. Die Folgen dieser Verbrechen und Schrecken wirken aber bis heute. Die Erinnerung an die Kriegstoten und Kriegsversehrten sowie an die Opfer von nationalistischer Volksideologie kann uns helfen, gemeinsam Europa zu werden.
Die nachfolgenden Generationen stehen auf einem historischen Grund, der ohne diese Erinnerung nicht verständlich wird. Die unterschiedlichen Fragen der verschiedenen Generationen an die Geschichte und die Erinnerung helfen uns, nicht in falschen Ritualen zu erstarren, sondern das Unabgegoltene, Ungeheilte und Offene ebenso wahrzunehmen wie die Ermutigungen und errungenen Einsichten. Das Gespräch und das Bündnis zwischen den Generationen sind eine Voraussetzung dafür. Dabei gilt es, das Vergangene nicht zu verdrängen, sondern im Gedenken an all die Verbrechen und Leiden zu lernen, mit der Anwesenheit der Geschichte umzugehen und aus dem Vergangenen lebensdienliche, friedliche Lehren zu ziehen. So können wir auf ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur, unterschiedlicher Nationen und Zugehörigkeiten hoffen. Mit Blick auf den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wissen wir, wie schwierig und herausfordernd es ist, das friedliche Miteinander von Nationen und Staaten zu fördern. Dies gilt erst recht, wenn es einmal durch Krieg zerstört ist.
Am 7. Oktober 2023 erschütterte uns die Nachricht von dem beispiellosen Terrorangriff der Hamas auf Israel und seine Zivilbevölkerung. Viele Bürgerinnen und Bürger sowie zivilgesellschaftliche Organisationen - und auch ich in meiner letztjährigen Rede - drückten daraufhin unter dem Motto „‚Nie wieder‘ ist jetzt“ ihre Solidarität, aber auch ihre Sorge vor einem zunehmenden Antisemitismus aus. Teil des Kalküls der Hamas war es, nicht nur in der Bevölkerung Israels, sondern auch im gesamten Gazastreifen unvorstellbares Leid zu verursachen. Die Hoffnung der Terroristen, so weltweit den Hass auf Jüdinnen und Juden anzufachen, ist fatalerweise aufgegangen, da Falschinformationen zu oft unkritisch Glauben geschenkt und der Hetze damit Vorschub geleistet wird. Das haben leider auch Ereignisse in Deutschland gezeigt, die vor dem Hintergrund unserer Geschichte mit einer friedlichen demokratischen Zukunft unvereinbar sind.
Aber auch hier möchte ich erneut an meine Gegenüberstellung des letzten Jahres erinnern, nämlich der Frage, ob es neben ungerechten denn auch gerechte Kriege geben kann. Das humanitäre Leid, das im Gazastreifen und z.T. auch im Libanon unter der Zivilbevölkerung durch die Operationen der israelischen Armee entsteht, darf uns ebenfalls nicht kalt lassen. Auch hier muss dringend dafür gesorgt werden, dass sich die Situation der Menschen nicht noch weiter verschlimmert.
Deshalb:
Durch unser Gedenken am Volkstrauertag an die weltweiten Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft können wir die Erinnerung an die Schrecken des Krieges wachhalten und dazu beitragen, Kriegen und Gewaltherrschaften aktiv entgegenzutreten. „Nie wieder“ heißt also nicht nur, sich an die Vergangenheit zu erinnern, sondern bedeutet vielmehr, dem Hass heute entschlossener denn je entgegenzutreten. Es bedeutet auch, Falschinformationen als solche zu benennen und sich an die Seite derer zu stellen, die Angriffen ausgesetzt sind. Aktuell stellen wir eine zunehmende Schärfe und Härte im politischen Wettstreit fest. Die Menge an unwidersprochenen Falschinformationen nimmt ständig zu.
Was bedeutet dies für uns?
Als eine Gesellschaft, der Demokratie, Menschenrechte und die Würde jedes einzelnen Menschen wichtig sind, müssen wir resilienter werden. Eine engagierte, widerstandsfähige Gesellschaft und eine stabile, der Wahrheit verpflichtete Demokratie bedingen einander.
Der heutige Anlass, das Sich-Kümmern um Kriegsgräber und der damit verbundene Versöhnungsgedanke leisten dabei einen wichtigen Beitrag. Als letzte und unumkehrbare Folge von Hass, Hetze und Gewalt mahnt das Kriegsgrab zum Frieden und zur Einhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte.
Die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges und der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten verstummen nach und nach und deshalb ist es so wichtig, dass sich die junge Generation für die Erinnerung an das Grauen des Krieges einsetzt und sie wachhält. Umfragen zeigen, dass das Interesse junger Menschen an der kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gestiegen ist. Das verhindert aber nicht, dass zu viele ihre Informationen aus diversen Medien beziehen, in denen Falschinformationen bewusst und zielgerichtet verbreitet werden. Die Gefahr, billigem Populismus im Wahlkampf in die Falle zu gehen, ist erheblich.
Es gilt also, selbstbewusst und auf Augenhöhe den Informations- und Meinungsaustausch zwischen den Generationen zu fördern und verstärkt historisch-politische Bildungsarbeit zu betreiben, die aufklärt und bereit ist zum Dialog – nur so wird aus dem Schlagwort „Nie wieder“ ein konkretes Tun.
Warnen und Mahnen reicht nicht, Handeln ist angesagt. So verteidigen wir die Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Respekt und Toleranz gegen die Angriffe ihrer Feinde.
Ich möchte enden mit einem Liedtext von Wolf Biermann, der sich das Thema Frieden zeit seines Schaffens zum Thema gemacht hat.
Wann ist denn endlich Frieden?
Wann ist denn endlich Frieden
In dieser irren Zeit
Das große Waffenschmieden
Bringt nichts als großes Leid
Es blutet die Erde
Es weinen die Völker
Es hungern die Kinder
Es droht großer Tod
Es sind nicht die Ketten
Es sind nicht die Bomben
Es ist ja der Mensch
Es ist ja der Mensch
Es ist ja der Mensch
Der den Menschen bedroht
Es hungern die Kinder
Es droht großer Tod
Es sind nicht die Bomben
Es ist ja der Mensch
Der den Menschen bedroht
Die Welt ist so zerrissen
Und ist im Grund so klein
Wir werden sterben müssen
Dann kann wohl Friede sein
©Wolf Biermann
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.
Ihr Jörg Wilhelmy