Aufgeben gibt's bei dir nicht? Sehr ehrenwert. Allerdings könnte diese Einstellung manchmal auch dein größtes Problem sein.
Ein Projekt, in das wir viel investiert haben. Eine Freundschaft, die uns mal etwas bedeutet hat. Und natürlich der Klassiker: Eine Beziehung, von der wir glaubten, sie hielte ein Leben lang. Solche Dinge lässt man nicht einfach so los, nicht einmal dann, wenn sie uns mehr Kraft kosten, als wir zur Verfügung haben (oder sie wert sind...).
Dabei wäre rechtzeitiges Loslassen oft klug und für alle Beteiligten am besten. Und das wissen die meisten eigentlich auch - vom Blick auf andere oder dem Rückblick auf ihr eigenes Leben. Denn obwohl wir natürlich manchmal pushen, durchhalten, an uns arbeiten und die Zähne zusammenbeißen müssen: Im Leben sollte nichts ein permanenter Kampf sein!
Problem: Neben so Gedöns wie unseren Erinnerungen, Gewohnheiten und Gefühlen, die natürlich gerade bei Beziehungen eine große Rolle spielen, hindert uns vor allem ein Fehler in unserem Denken und unserer Einstellung daran, Menschen, Dinge oder Lebensinhalte im richtigen Moment loszulassen: dass wir Loslassen mit Versagen verwechseln!
Egal ob zwischenmenschlich, beruflich oder bei der Diät: Hören wir mit etwas auf, ehe wir unser Ziel erreicht haben, reden wir uns oft ein, dass wir gescheitert sind und versagt haben.
Im Bereich Partnerschaft ist relativ klar, woher das kommt: In Filmen, Serien, Büchern oder auch den Biografien unserer Eltern und Großeltern - nahezu überall wird uns vorgeführt, dass wahre Liebe ein Leben lang hält und wirklich glückliche Beziehungen unerschütterlich sind. Aber ist das wirklich so? Können wir wohl kaum sagen! Schließlich haben wir die Situation, dass sich zwei Menschen aus reiner emotionaler Verbundenheit und freien Stücken dazu entscheiden zusammen zu sein, erst seit vielleicht 40 bis 50 Jahren. Wir wissen gar nicht, welche Beziehungsmodelle und -laufzeiten Leute wählen würden, wenn sie unvoreingenommen wären - und ob für alle die gleichen geeignet sind.
Eine Mischung aus gesellschaftlicher Prägung und inneren Ansprüchen führt jedenfalls in den meisten Lebensbereichen zu immer demselben fatalen Verhalten: Dass wir verbissen an Dingen festhalten und unsere Kraft in einen verlorenen Posten investieren, anstatt diese Dinge aufzugeben, abzuhaken, loszulassen und uns Neuem zu widmen.
Es stimmt schon, im Leben wird uns eher wenig geschenkt und in vieles lohnt es sich, Energie zu investieren - aber nicht aus Prinzip und schon gar nicht um jeden Preis! Wenn z. B. eine Beziehung am Ende ist und nur noch wehtut, ein Projekt sich nicht umsetzen lässt oder sich herausstellt, dass die Diät die Lebensqualität einschränkt, ist Loslassen kein Versagen, sondern im Gegenteil: Eine Entscheidung, auf die man stolz sein kann!
Weil man trotz der involvierten Gefühle und obwohl man selbst mittendrin steckt, zu der Einsicht gefunden hat, dass man es besser gut sein lassen sollte. Dass man Erfahrungen gesammelt und dazugelernt hat und durch den Versuch stärker und reifer geworden ist. Darum geht es schließlich im Leben, nicht um den Erfolg. Der ist nämlich weder von Dauer noch von jemand Allwissendem als solches definiert, sondern bringt als kulturell-traditionelles Konstrukt oft lediglich einen zeitweiligen Glückskick.
Immer dran denken: Auch wenn wir vielleicht nicht viel geschenkt bekommen im Leben - das Leben an sich ist ein Geschenk. Und das sollten wir uns von nichts und niemandem verderben lassen. Schon gar nicht, um Vorstellungen und Ansprüche zu erfüllen, die uns niemand so richtig überzeugend erklären kann.
Wir wissen ja, wie gut es uns tun kann, bestimmte Glaubenssätze, Dinge und auch Menschen loszulassen. Aber warum ist das so verdammt schwierig? Eine Spurensuche.
Loslassen ist gerade schwer angesagt. Überall lesen wir, wen und was wir alles loslassen sollen - und warum uns das so guttut. Philosophische Traditionen wie Yoga oder der Buddhismus schwören auf das Loslassen, damit wir uns spirituell weiterentwickeln. Aber, und auch das lesen und spüren wir immer wieder, es fällt uns alles andere als leicht. Warum ist das so?
Dieser Frage sind schon viele kluge Menschen nachgegangen. Unsere Schwierigkeit mit dem Loslassen hängt sicher damit zusammen, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist - nämlich auf dem absoluten Gegenteil von Loslassen: Wir wollen alle immer mehr haben, Geld und Materielles horten wir, Sicherheit geht über alles, und Hauptsache, wir wachsen! Dabei übersehen wir leider oft, dass inneres Wachstum dem Höher-Schneller-Weiter unserer modernen Welt diametral entgegensteht. Denn wirklich weiterentwickeln können wir uns nur, wenn wir auch mal etwas loslassen. Wo wir wieder beim Thema wären.
Rational wissen wir oft, dass es uns schadet, an einer alten Beziehung, einem Konflikt von früher, einem toxischen Glaubenssatz oder einer ungesunden Gewohnheit festzuhalten. Emotional ist das aber eine andere Sache. Weil häufig unbewusste Muster, vor allem aus der Kindheit, eine Rolle spielen und unseren cleveren Plan, jetzt doch endlich mal loszulassen, zunichtemachen können.
Es geht schon bei Säuglingen los, die haben nämlich den sogenannten Klammerreflex. Damit reagieren sie auf bestimmte Umweltreflexe und spreizen dabei alle viere und die einzelnen Finger ziemlich ruckartig von sich, um dann schnell alles wieder vor der Brust zusammenzuziehen. Diesen Reflex haben auch andere Säugetiere, etwa Affen oder Koalas. Er dient wohl dazu, sich in gefährlichen Situationen instinktiv an der Mutter festzuklammern. Nach einigen Monaten verlieren Babys diesen Reflex zwar, aber er zeigt: Das Festhalten ist evolutionsbiologisch fest in uns verankert.
Auch die weitere Kindheit bestimmt stark, wie gut wir später als Erwachsene loslassen können. Besonders frühe Bindungserfahrungen spielen dabei eine große Rolle. Babys und Kleinkinder wollen die Welt erkunden, dieser Drang ist ein natürliches Bedürfnis. Gleichzeitig wollen sie aber auch die Sicherheit spüren, die ihre Eltern und ihr Umfeld ihnen geben. Hier den Spagat zu schaffen zwischen "Ich lasse dich gehen und deine eigenen Erfahrungen machen" und "Du bist hier sicher, wir sind immer für dich da" ist für Eltern alles andere als leicht.
Wenn das in der Kindheit nicht gelingt, kann das einen großen Einfluss auf unser Bindungsverhalten im späteren Leben haben. Das passiert natürlich oft unbemerkt, denn bewusst erinnern können wir uns an solche Situationen, in denen unseren Eltern das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit nicht ganz geglückt ist, meist nicht. Die daraus resultierende Unsicherheit ist ein wichtiger Faktor, wenn wir es nicht schaffen loszulassen. Denn wer als Kind schon unsichere Bindungen erfahren hat, dem fällt es im späteren Leben oft umso schwerer, gesunde Bindungen zu entwickeln - und damit letztlich auch, uns aus ungesunden zu lösen.
Das heißt aber nicht, dass wir als Erwachsene nichts mehr daran ändern können, wenn wir in der Kindheit unschöne Prägungen in Sachen Bindung erfahren haben. Im Laufe unseres Lebens können wir mit neuen Erfahrungen an unserem Bindungsstil arbeiten und so mehr Selbstsicherheit zu entwickeln, auch eine Therapie oder ein Coaching kann helfen. Diese fünf Schritte können dich ganz konkret dabei unterstützen, das Loslassen zu üben:
Loslassen ist ein Prozess, der oft ein Leben lang andauert. Und natürlich gibt es Dinge oder Menschen, bei denen es uns schwerer fällt als bei anderen. Eine jahrzehntelange Beziehung ist schließlich nicht dasselbe wie ein Paar Schuhe. Sei in diesen Situationen nicht zu hart zu dir und übe dich in Selbstakzeptanz. Denn sonst packst du am Ende nur eine weitere Sache in deinen ohnehin schon überquellenden Rucksack aus Dingen, die du eigentlich loslassen willst.
Quelle: https://www.brigitte.de/liebe/persoenlichkeit/psychologie