Selters-Niederselters (uk). Etwas Großartiges wie das Opel-Bad in Wiesbaden hätte in der Oberau entstehen sollen, doch das Geld reichte nur für ein einfaches, aber immerhin zweckmäßiges Freibad, als vor 90 Jahren auf Initiative des NSDAP-Ortsgruppenleiters Eduard Lutz und des SA-Sturmführers Michael Beyer mit dem Bau eines der ältesten Schwimmbäder im Goldenen Grund begonnen wurde.
Mehr als die Hälfte dieser Zeit sorgen die Aktiven der DLRG-Ortsgruppe, die jüngst ihr 50-jähriges Bestehen feierte, neben ihren anderen Aufgaben, zusammen mit dem Bademeister - seit fast drei Jahrzehnten versieht Martin Petrich diesen Dienst - für die Sicherheit der Badegäste.
Spätestens nach der kompletten Erneuerung in den Jahren 2006/2007 kann sich das Bad mit den besten seiner Art messen, wie nicht zuletzt die gerade zu Ende gegangene Saison mit über 47.000 Besuchern beweist.
Lutz und Beyer, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 die Amtsgeschäfte in der Gemeinde übernommen hatten, wollten nun allen zeigen, was die Partei mit der Ankündigung großer öffentlicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für die Bevölkerung tue. Schon 1933 tauschten sie das für ihren Plan vorgesehene Wiesengrundstück in der Oberau, das dem Baron Marcus Freyberg-Schütz, einem Nachfahren der Camberger Freiherren Schütz zu Holzhausen und nach eigenem Bekunden selbst Parteigenosse, gehörte, gegen vollwertiges Ackerland. Schon allein zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Bevölkerung sei die Badeanstalt notwendig, begründete Bürgermeister Beyer seinen Antrag an die Reichsregierung auf einen Zuschuss von 12.500 Mark zu den notwendigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Schließlich gebe es in dem Dorf mit seinen rund 1.600 Einwohnern kaum sechs Hausbadeeinrichtungen. Außerdem sei der einst durch seinen weltberühmten Mineralbrunnen bedeutende Kurort völlig verarmt. Mit dem Freibad könne der Fremdenverkehr wieder angekurbelt, dadurch eine neue Einnahmequelle geschaffen und die Arbeitslosigkeit abgebaut werden.
Nach ersten Berechnungen sollte der Schwimmbadbau 20.500 Reichsmark kosten, 12.500 Mark für Material und Unternehmereinsatz, 8.000 Mark für den Arbeitseinsatz der Arbeitslosen. Als jedoch die Regierungsgelder für das von dem Architekten Theodor Eckert nun auf 25.000 Reichsmark veranschlagte Projekt nicht flossen, forderte Ortsgruppenleiter Lutz von den Niederselterser Bauern, einen Betrag zum Bau des Schwimmbads zu zeichnen. Im Gemeindearchiv befinden sich, wie der Vorsitzende des Kultur- und Geschichtsvereins, Dr. Norbert Zabel, berichtete, zwei solcher Hebelisten mit über 90 Namen, die Beträge zwischen zwei und 150 Reichsmark gezeichnet haben. Insgesamt seien in zwei Jahren 7.922 Reichsmark eingesammelt worden. Als Großspender beteiligten sich die Gemeinde Eisenbach mit 1.000 Reichsmark, Oberselters mit 500 und der Apotheker und Eigentümer des Hofgutes zu Hausen, Adam Herberg, mit 200 Reichsmark. Schließlich bewilligte die Reichsanstalt für Arbeitsverwaltung 9.600 Reichsmark zur „Erbauung einer Schwimm- und Badeanstalt“. Bedingung war, mindestens 40 Arbeitslose 26 Wochen lang zu beschäftigen, was die Bauunternehmen Buschung und Ehlig sowie die später hinzugenommene Firma Muth, die den Auftrag erhielten, auch zusagten. Um die Mehrkosten von 12.000 bis 15.000 Reichsmark durch eine vom Kreisarzt geforderte Kläranlage einzusparen, wurde das Schwimmbecken nur zwölf statt 20 Meter breit, während die Länge von 50 Metern beibehalten wurde.
Weil jedoch der einfache Plan den beiden Ortsgrößen nicht gefiel, wurde der Wiesbadener Architekt Nicolai mit einer Überarbeitung beauftragt, wodurch die Kosten auf rund 45.000 Reichsmark stiegen. Gegen Ende des Jahres, als das Projekt schon zu scheitern drohte, wurde der Gemeinde schließlich ein Kredit bewilligt. Ein von der deutschen Arbeitsfront entsandter Schwimmbadexperte strich die Pläne und damit die Kosten drastisch zusammen. Nur die absolut notwendigen Maßnahmen sollten ausgeführt werden: eine Kabinenanlage mit zwei Massenauskleideräumen und 13 Einzelauskleidezellen, eine einfache Kiesfilteranlage, ein Bretterzaun, vier Abortanlagen, ein Geräteraum und ein Kassenraum.
Während Bürgermeister Beyer das Konzept akzeptierte, empfand Lutz den einfachen Endausbau als Beleidigung und Schmach, aber trotz seines Protests blieb es bei der Minimallösung, und schließlich konnte das Bad nach zweijähriger Bauzeit eröffnet werden. Ein Schmuckstück sei es nicht geworden, monierte Lutz nachträglich noch in einem Brief an die Camberger Zeitung. Er und die Ortsgruppe hätten ein künstlerisch architektonisch in die Landschaft passendes Gegenstück zu der im Westen liegenden Friedhofskapelle gestalten wollen. Daher wurde auch auf eine große Eröffnungsfeier verzichtet.
Als ersten Bademeister verpflichtete die Gemeinde den kriegsversehrten Peter Nocker. Weil der aber nicht schwimmen konnte, wurde er offiziell gegenüber der Aufsichtsbehörde als Kartenausgeber geführt. In den letzten 50 Jahren gab es nur zwei Bademeister, die zu Institutionen für die Badegäste wurden: Freddy Picogna und seit 1996 Martin Petrich. Ebenso lange ist die DLRG im Freibad aktiv, die im vergangenen Jahr ihr 50-jähriges Bestehen als eigenständige Ortsgruppe Selters feiern konnte. Nach einer Delle während der Corona-Zeit zählt sie nun wieder knapp 400 Mitglieder. In der jüngsten Saison besuchten über 90 Kinder die Schwimmkurse bei Martina Mors und ihrer Truppe, und für die beiden kommenden Jahre gibt es bereits eine Warteliste. Fast 100 Seepferdchen-Abzeichen und eine Menge Schwimmscheine und Rettungsschwimmscheine konnten ausgestellt werden. Neben der Schwimm- und Rettungsschwimmausbildung, der Teilnahme an Einsätzen des Katastrophenschutzes und der Wasserrettung kommt auch der Breitensport mit Kursen in Aquafitness mit Dr. Melanie Ferschke und im Kraulen bei der DLRG, deren Vereinsheim in das Schwimmbadareal integriert ist, nicht zu kurz.
Badevergnügen vor fast 90 Jahren in der neuen Badeanstalt in Niederselters: Die Badenixen Alice Lehnert, Johanna Pohl, geborene Geis, Lydia Geis und Edith Brühl (von links). Repro: Königstein
Von höherer Warte haben Bademeister Martin Petrich ( Mitte) und die Aktiven der DLRG-Ortsgruppe die Sicherheit der Gäste im Niederselterser Freibad im Blick.
Aus der vor 90 Jahren gebauten Badeanstalt in der Niederselterser Oberau ist ein modernes und weit über die Grenzen des Dorfes hinaus beliebtes Schwimmbad geworden, das in der gerade zu Ende gegangenen Saison von über 47000 Badegästen besucht wurde.
Der Breitensport kommt dank der DLRG-Ortsgruppe im Niederselterser Freibad nicht zu kurz. Die Aquafitnesskurse beispielsweise erfreuen sich großer Beliebtheit.