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Landkreisausgabe Treffpunkt Unstrut-Hainich
Ausgabe 1/2024
Sonstiges
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Gegen den Winterblues:

Wildes Johanniskraut | Wer sich mit wilden Kräutern nicht sehr gut auskennt, sollte sie nicht eigenhändig sammeln und zubereiten, denn das birgt Risiken wie eine schwankende Wirkstoffkonzentration und die Verwechslung mit giftigen Pflanzen.

Wilder Baldrian | Extrakt aus der Baldrianwurzel verhilft zu einer besseren Nachtruhe

Mit diesen Pflanzen-Tipps steigerst du dein Wohlbefinden

Die dunkle Winterzeit schlägt schon mal auf die Stimmung. Pflanzen können da Abhilfe schaffen. Wie genau erfährst du in dieser Sammlung.

Mit dem Einbruch der Pandemie, als wir alle mehr Zeit zu Hause verbrachten, feierte die Zimmerpflanze ihr Comeback. Auf Instagram fand man in einigen Interiors dieser Welt mindestens eine Monstera und Ableger wurden ausgetauscht wie einst Comichefte. Zimmerpflanzen sind aber gekommen, um zu bleiben, und das nicht nur aus optischen Gründen. Denn sie steigern unser Wohlbefinden und können etwa Stress lindern, Kopfschmerzen vorbeugen oder für besseren Schlaf sorgen. Außerdem reinigen sie die Luft und binden Schadstoffe. In dieser Collection erfährst du alles über die grüne Power und welche Pflanzen sich am besten für dein Zuhause eignen.

Gärtnern für die Psyche

Wenn wir von Pflanzen umgeben sind, sinkt unser Stresslevel und unsere Stimmung steigt. Psychologen ergründen, woher unsere einzigartige Verbindung mit der Natur rührt - und wie sie sich nutzen lässt.

Kentiapalme, Fensterblatt, Glücksfeder, Korbmarante: Meine Wohnung teile ich mir derzeit mit ungefähr 50 Pflanzen. Noch nie war ich so glücklich über meine grünen Mitbewohner wie im Frühjahr 2020. Bedingt durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen hielt ich mich zum ersten Mal monatelang fast ausschließlich zu Hause auf. Abgesehen von Spaziergängen gab es kaum Gelegenheiten, das Haus zu verlassen. Umso erleichterter war ich, wenigstens ein Stück Natur in meinen eigenen vier Wänden zu haben. Gießen, Umtopfen, Schneiden und Einsprühen halfen mir dabei, mich zu entspannen und gedanklich ein wenig Abstand von Themen wie Infektionszahlen oder der Belegung der Intensivbetten zu nehmen, denen ich berufsbedingt sonst kaum entfliehen konnte.

Eine Studie von einem Team um Katia Perini von der Universität Genua in Italien legt nahe, dass es nicht nur mir so ging. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befragten mehr als 4000 Menschen aus 46 Ländern zu ihrer Wohnsituation und dazu, wie sie die Monate März bis Juni 2020 erlebt hatten. In den meisten Ländern galten in dieser Zeit mindestens genauso strenge Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wie in Deutschland. Die Ergebnisse der Umfrage deuten darauf hin, dass sich Menschen, die viele Pflanzen zu Hause hatten, zu Beginn der Pandemie weniger stark belastet fühlten als Personen mit wenigen bis gar keinen Zimmerpflanzen. Zudem gaben viele Befragte an, sich während des ersten Lockdowns mehr Grün in ihren eigenen vier Wänden gewünscht zu haben.

Von Pflanzen umgeben zu sein, tut uns gut. Das legt inzwischen eine große Anzahl wissenschaftlicher Studien nahe. So waren Schülerinnen einer iranischen Mädchenschule zum Beispiel im Schnitt etwas zufriedener, nachdem Forscher ihren Klassenraum mit Zimmerpflanzen ausstatteten. Und selbst Patienten, die sich einer Operation unterziehen müssen, können anschließend schneller wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden und benötigen weniger Schmerzmittel, wenn sie in einem Zimmer mit viel Grün anstatt in einer kargen Umgebung untergebracht werden.

Fürsorge zeigen, Erfolge erleben, Kontrolle behalten

„Zimmerpflanzen beeinflussen unser Wohlbefinden zum einen deshalb positiv, weil sie Orte attraktiver machen“, erklärt die Umweltpsychologin Claudia Menzel von der Universität Koblenz-Landau. So werden Räume, in denen sich Pflanzen befinden, oft als schöner und gemütlicher wahrgenommen. Zum anderen geben sie uns die Gelegenheit, uns aktiv um ein anderes Wesen zu kümmern. Und auch das hat positive Auswirkungen: Es kann uns Erfolgserlebnisse bescheren, uns ein Gefühl von Kontrolle geben und unsere Selbstwirksamkeit erhöhen. Wer Pflanzen wachsen sieht, die er vielleicht selbst gesät oder als Setzling eingepflanzt hat, kann stolz behaupten: „Das habe ich geschaffen!“

Bei Gartenarbeit kommen noch weitere positive Aspekte hinzu: Wer nicht nur in Innenräumen Pflanzen stehen hat, sondern auch draußen regelmäßig pflanzt, zupft, schneidet und jätet, kann zum Beispiel von der besseren Luftqualität profitieren, sagt Claudia Menzel. Und die Bewegung, welche die Arbeit im Garten mit sich bringt, ist förderlich für Körper und Psyche. Nicht zuletzt sind Gärten oder andere Orte in der Natur oft Plätze der Begegnung, an denen Menschen zusammenkommen oder an denen man sich mit Freunden trifft.

Menschen brauchen schon von frühester Kindheit an enge emotionale Beziehungen zu anderen Menschen. Zu dieser Überzeugung gelangte der Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby bereits in den 1950er Jahren. Bowlby, der heute als einer der Pioniere der Bindungsforschung gilt, war damals davon überzeugt, dass vor allem die Bindung zwischen Mutter und Kind für den weiteren Lebensweg von großer Bedeutung ist. Im Idealfall sollten Eltern ihrem Nachwuchs einen „sicheren Hafen“ bieten, in den dieser immer wieder zurückkehren kann, um Schutz und Trost zu finden. Der gleichzeitig aber auch ermutigt, loszulassen und Neues zu entdecken.

Naturschauplätze geben Menschen Halt und Sicherheit

Aus Sicht der Psychiaterin und Psychotherapeutin Sue Stuart-Smith können Menschen auf die gleiche Weise von der Bindung an ganz bestimmte Orte profitieren. Und hierfür böten sich Naturschauplätze auf Grund der zahlreichen Sinneseindrücke, die sie uns vermitteln, stärker an als künstlich geschaffene Orte. Nicht umsonst würden sich Kinder oft Baumhäuser oder Verstecke im Unterholz als „erwachsenenfreie Zonen“ aussuchen, in die sie sich auch zurückziehen, wenn sie wütend oder traurig sind, schreibt Stuart-Smith in ihrem Buch „Vom Wachsen und Werden“.

Pflanzen seien zudem „weniger fordernd und einschüchternd als Menschen“. Für manche Leute könne Gartenarbeit deshalb eine gute Gelegenheit sein, ihre fürsorgliche Seite abseits der Komplexität und Unberechenbarkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen zum Ausdruck zu bringen.

Selbst Symptome von Depressionen und Angststörungen nehmen durch das Gärtnern ab

Wie Studien zeigen, sind Menschen, die gärtnern, nicht nur zufriedener, sondern profitieren auch in gesundheitlicher Hinsicht von der Arbeit im Grünen. Ein Team um Masashi Soga von der Universität Tokio analysierte im Jahr 2017 alle Studien zu dem Thema, bei denen eine Versuchsgruppe mit einer Kontrollgruppe verglichen wurde. Das konnten etwa Gartenfans und Gartenmuffel sein - oder aber Probanden, bevor und nachdem sie in einer Studie zum Gärtnern angeleitet worden waren. Dabei zeigte sich, dass Gartenarbeit insgesamt mit zahlreichen positiven Effekten verknüpft war. So verbesserte sie etwa die Stimmung der Teilnehmer, minderte Stress, senkte den BMI, erhöhte das Bewegungspensum und steigerte die Lebensqualität. Selbst Symptome von Depressionen und Angststörungen nahmen durch das Gärtnern im Mittel ab. Der Effekt blieb selbst dann bestehen, als die Forscher den so genannten „publication bias“ in ihre statistische Auswertung miteinbezogen - also die Tatsache, dass Studien, die keine oder aber negative Effekte feststellen, seltener veröffentlicht werden als Untersuchungen mit einem positiven Ergebnis.

Gärtnern als Therapie

Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass Gärtnern inzwischen auch therapeutisch zum Einsatz kommt. Der Gedanke, Gartenarbeit und der Aufenthalt in der Natur könnten vor allem der psychischen Gesundheit guttun, kam zum ersten Mal bereits im 18. Jahrhundert auf. Psychiatrien wurden damals zunehmend grüner und verfügten immer häufiger über große Gärten und Gewächshäuser. Ärzte beobachteten zudem, dass Patienten, die ihren Klinikaufenthalt mit Gartenarbeit finanzieren mussten, schneller wieder gesund wurden.

Seit den 1980er Jahren gewinnen gartentherapeutische Ansätze zunehmend an Bedeutung. In Ländern wie Australien, den Niederlanden und den USA werden sie bereits rege genutzt - in der Psychotherapie, der Ergotherapie sowie in der Geriatrie. Im Jahr 2018 konnte eine Forschungsgruppe um Ulrika Karlsson Stigsdotter von der Universität Kopenhagen zeigen, dass Menschen mit Belastungsstörungen auf eine naturbasierte Therapie (nature-based therapy, NBT) ähnlich gut ansprechen wie auf eine klassische kognitive Verhaltenstherapie. Die Patienten wurden dabei per Zufall der NBT- oder der Verhaltenstherapiegruppe zugeteilt. Die naturbasierte Therapie bestand in diesem Fall aus dreistündigen Gruppensitzungen, in denen die Patienten Einzelgespräche mit einem Therapeuten führten, Achtsamkeitsübungen machten und unter Anleitung eines professionellen Gärtners im Garten arbeiteten. Eine Übersichtsarbeit kam zudem zu dem Schluss, dass eine Gartentherapie auch Kriegsveteranen mit Posttraumatischer Belastungsstörung helfen kann.

In Deutschland ist die Gartentherapie bislang kein anerkanntes Therapieverfahren, das ähnlich wie eine Verhaltenstherapie gezielt verordnet werden kann und dann von den Krankenkassen bezahlt wird. Allerdings findet therapeutisches Gärtnern auch hier zu Lande beispielsweise im Rahmen von Klinikaufenthalten oder Rehaprogrammen Anwendung.

Claudia Menzel geht davon aus, dass selbst Naturmuffel von den positiven Effekten des Gärtnerns profitieren können. Zumindest, solange sie sich nicht zu starkem sozialem Druck ausgesetzt sehen, Zeit im Grünen zu verbringen. Dann kann Stress statt Entspannung die Folge sein. Und auch Menschen mit starker Pollenallergie verbringen den Frühling vermutlich am besten drinnen.

Was tun, wenn alle Pflanzen sterben?

Manche Menschen sind davon überzeugt, kein Händchen für Pflanzen zu haben. Bereits nach wenigen Wochen bekommen die grünen Mitbewohner gelbe Blätter oder vertrocknen. Das kann sich unter Umständen negativ auf das Wohlbefinden auswirken, erklärt Umweltpsychologin Claudia Menzel. Studien zeigen, dass der Anblick von toter Natur Menschen eher über ihre eigene Vergänglichkeit nachdenken lässt. Zudem machen verdorrte Zimmerpflanzen einen Raum unattraktiver.

Das hilft Menschen mit einem „schwarzen Daumen“:

  • Informieren Sie sich gründlich. Machen Sie sich bereits vor dem Kauf einer Pflanze schlau, welche Bedingungen sie zum Wachsen benötigt, rät Claudia Menzel. Manche Pflanzen verkümmern, wenn sie nicht draußen in der prallen Sonne oder an einem Südfenster stehen. Andere kommen hingegen auch mit lichtarmen Plätzen gut zurecht. Seien Sie sich darüber im Klaren, dass in Innenräumen schon ein Standort, der zwei Meter von einem Fenster entfernt ist, für viele Pflanzen tiefste Dunkelheit bedeutet.

  • Gießen Sie lieber weniger als mehr. Die meisten Pflanzen sterben nicht an zu wenig, sondern an zu viel Wasser. Stehen die Wurzeln permanent in nasser Erde, faulen sie langsam ab, wodurch die Pflanze Wasser und Nährstoffe immer schlechter aufnehmen kann. Um Staunässe zu verhindern, empfiehlt es sich, erst dann zu gießen, wenn die obersten Schichten des Substrats bereits gut abgetrocknet sind. Ein Gießanzeiger kann dabei helfen, zu ermitteln, wie viel Feuchtigkeit weiter unten in der Erde noch vorhanden ist. Alternativ kann man auch einen Finger einige Zentimeter tief in die Erde stecken. Überschüssiges Wasser sollte nach dem Gießen immer direkt abgegossen werden und sich nicht im Übertopf sammeln. Auch bei Blumenkübeln oder Hochbeeten im Freien ist es wichtig, dass das Regenwasser abfließen kann.

  • Fangen Sie mit pflegeleichten Pflanzen an. Manche Pflanzen benötigen viel Licht, vertragen aber keine direkte Sonneneinstrahlung, hassen Zugluft und stehen am liebsten an Orten, die eine Luftfeuchtigkeit von 80 bis 90 Prozent aufweisen. Kurz: Frust ist mit solchen Gewächsen bereits vorprogrammiert. Wenn Sie bislang kein Glück mit Pflanzen hatten, greifen Sie deshalb auf einsteigerfreundliche Arten zurück: Glücksfeder (Zamioculcas zamiifolia) und Bogenhanf (alle Arten der Gattung Sansevieria) kommen zum Beispiel auch mit eher dunklen Standorten zurecht und verzeihen es, wenn man das Gießen hin und wieder vergisst.

  • Machen Sie sich klar: Es liegt nicht immer an Ihnen. Manche Pflanzen holen wir bereits mit Schädlingen zu uns nach Hause. Oder sie sind anderweitig widrigen Bedingungen ausgesetzt gewesen. Gehen Gewächse daheim ein, ist das nicht immer unsere Schuld, sagt Claudia Menzel.

  • Holen Sie sich die Natur auf anderen Wegen ins Haus. Wer das Thema Pflanzen für sich bereits aufgegeben hat, dem rät Claudia Menzel, Naturbilder in seiner Wohnung aufzuhängen oder sich ein entsprechendes Hintergrundbild am Computer oder auf dem Smartphone einzurichten. Die Studien der Umweltpsychologin zeigen, dass schon Fotos von Pflanzen oder Orten im Grünen ausreichen, um unsere Stimmung zumindest kurzfristig zu heben.

Kräuter für die Seele

Pflanzliche Arzneimittel können die Stimmung heben, die Konzentration fördern und die Nerven beruhigen. Aber sie wirken nicht immer sanft.

Immer wenn die Ziegen die roten Beeren dieses einen Strauchs fraßen, sprangen sie bald darauf lebhaft herum und schliefen in der Nacht wenig. So entdeckten äthiopische Hirten der Legende nach die belebende Wirkung des Kaffees. Die Geschichte der Kräuterkunde reicht weit zurück. Welche Pflanze gegen welches Leiden hilft, wusste man schon im alten Ägypten, im antiken Rom und Griechenland, im China der Kaiserzeit und in mittelalterlichen Klöstern. Noch heute greifen Menschen in Gegenden, wo es kaum Zugang zu kommerziellen Medikamenten gibt, auf die Apotheke der Natur zurück. Ein Tee aus Hopfen oder Baldrian für die Nacht, um die Nerven zu beruhigen, oder Johanniskraut gegen das Stimmungstief: Was weiß die Wissenschaft über die traditionellen Heilpflanzen?

Hoch dosierte Arzneimittel pflanzlichen Ursprungs nennt man Phytopharmaka. Die moderne Kräutermedizin verlässt sich nicht mehr nur auf Traditionen und Überlieferungen, sondern ermittelt Nutzen und Unbedenklichkeit der Extrakte in klinischen Studien. Am besten untersucht ist Echtes Johanniskraut, ein pflanzliches Antidepressivum.

Johanniskraut: Ein Cocktail gegen Depressionen

Der Extrakt aus der gelb blühenden Pflanze, die man hier zu Lande auf Wiesen und am Wegesrand findet, wirkt stimmungsaufhellend. Er enthält einen Cocktail von Inhaltsstoffen, die zur Wirkung beitragen, vor allem Hyperforin und so genannte Flavonoide. Ähnlich wie synthetische Antidepressiva erhöhen sie die Konzentration bestimmter Neurotransmitter im Gehirn, indem sie deren Wiederaufnahme in die Nervenzellen hemmen. Noradrenalin, Serotonin und Dopamin bleiben so länger im synaptischen Spalt, der Lücke zwischen zwei Nervenzellen.

Laut einer 2016 erschienenen Metaanalyse, die 27 Studien einschloss, hilft Johanniskraut bei leichten bis mittelschweren Depressionen ebenso gut wie gängige Antidepressiva und verursacht noch dazu weniger Nebenwirkungen. Es wird sogar offiziell in der medizinischen Leitlinie zur Behandlung der Depression aufgeführt. „Hoch dosierte Johanniskrautpräparate sind anerkannte Antidepressiva und werden immer häufiger von Ärzten verordnet“, sagt Christoph Bielitz, Professor für Psychiatrie mit Weiterbildung in Naturheilkunde und Suchtmedizin sowie ärztlicher Direktor des Sigma-Zentrums, einer Privatklinik in Bad Säckingen.

Hoch dosierte Johanniskrautpräparate sind allerdings verschreibungspflichtig. Man sollte die Pflanze nicht auf eigene Faust sammeln und sich daraus einen Tee brauen: Zu unvorhersehbar sind die Schwankungen der Wirkstoffkonzentration auf Grund von Klima und Erntezeit. Besser greift man auf Dragees zurück, die sich exakt dosieren lassen. Doch auch solche frei verkäuflichen Pillen aus der Drogerie sollte man nicht leichtfertig einnehmen.

Selbstmedikation mit Heilpflanzen kann gefährlich sein

Denn: Selbst bei vergleichsweise verträglichen Substanzen wie Johanniskraut kann es zu Wechselwirkungen kommen: Die Wirksamkeit der Antibabypille wird unter Umständen reduziert, und in Kombination mit anderen Antidepressiva droht das lebensgefährliche Serotoninsyndrom. Dabei kommt es zu einem Überschuss des Neurotransmitters im zentralen Nervensystem, begleitet von Herzrasen, Zittern und Verhaltensänderungen.

Der Psychiater und Naturheilkundler Christoph Bielitz verschrieb einem Patienten auf dessen Wunsch hin ein Johanniskrautpräparat. „Was er mir aber verschwiegen hatte: Er nahm zusätzlich den Serotoninvorläufer Tryptophan, den er sich in einer Drogerie besorgt hatte.“ Der Mix führte bei dem Patienten zu starken aggressiven Erregungszuständen. „Ich kann nur davor warnen, diese Mittel ohne Absprache mit dem Arzt zu nehmen oder zu mischen“, sagt Bielitz. Er geht davon aus, dass es in Deutschland jährlich zu tausenden Todesfällen auf Grund von Selbstmedikation kommt.

Eine andere viel versprechende Heilpflanze hat so starke Nebenwirkungen, dass sie gar nicht mehr eingesetzt wird. Kava-Kava, auch Rauschpfeffer genannt, ist ein Strauchgewächs, das ursprünglich in der Südsee beheimatet war. Auf Hawaii etwa wird ein Gebräu aus Kava-Kava ähnlich wie hier zu Lande ein Feierabendbier zur Entspannung getrunken. Es wirkt beruhigend, angstlösend und hilft beim Einschlafen - das zeigen klinische Studien. Das Problem: Kava-Kava ist Tierversuchen zufolge Krebs erregend und kann Leberschäden verursachen. In Deutschland sind deshalb seit 2019 Arzneimittel, die Kava-Kava enthalten, nicht mehr zugelassen.

„Ab einer gewissen Menge greife ich auch mit pflanzlichen Präparaten in die Hirnchemie ein“

Gerhard Gründer, Professor für Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim

Natürlich heißt also keineswegs immer sanft. Einige der stärksten Gifte stammen aus Pflanzen. „Es ist eine Sache der Dosierung“, sagt Gerhard Gründer, Professor für Psychiatrie und Vorsitzender der Abteilung für Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Ab einer gewissen Menge greife ich auch mit pflanzlichen Präparaten in die Hirnchemie ein.“ Dabei blieben dann Nebenwirkungen nicht aus.

Manche Pflanzenextrakte haben sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen. In frei verkäuflichen Präparaten sind sie jedoch teils so niedrig dosiert, dass kein starker Effekt zu erwarten ist. Das gilt zum Beispiel für legale Cannabisprodukte mit dem Wirkstoff Cannabidiol (CBD), die als Angstlöser und Einschlafhilfen vermarktet werden. „CBD-Öl ist in den Dosierungen, wie man es kaufen kann, wahrscheinlich pharmakologisch nicht wirksam“, erklärt Gründer. „In höheren Dosierungen kann CBD sich aber offenbar bei Patienten mit Schizophrenie positiv auswirken. Es kommt eben auf die Dosis an.“

Der heilige Ginkgo

Zu den umsatzstärksten und am besten untersuchten pflanzlichen Arzneimitteln gehören Präparate aus Blättern des Ginkgobaums. Der Ginkgo stammt aus Asien: Dort wird er in buddhistischen Tempelanlagen gepflanzt und verehrt. Die traditionelle chinesische Medizin kennt seine Heilwirkung schon seit über 2000 Jahren.

Das Blatt enthält Inhaltsstoffe wie Terpene und Flavonoide, die auch in Hanf enthalten sind. Tierversuche zeigen, dass das Substanzgemisch Nervenzellen vor schädlichen Einflüssen schützen kann und die Ausschüttung von Botenstoffen anregt, die am Lernen und Erinnern beteiligt sind. Außerdem hemmen die Stoffe die Blutgerinnung. Ginkgo wird daher zur Behandlung von zerebralen Durchblutungsstörungen und damit einhergehender Gedächtnisschwäche und Unkonzentriertheit eingesetzt, ebenso bei beginnender Demenz. Bei gesunden Menschen verbessert Ginkgo die Merkfähigkeit allerdings nicht.

Baldrian: Ein Kraut für die Nerven

Das derzeit beliebteste Heilkraut bei Angst, Unruhe und Schlaflosigkeit ist Baldrian. Die heimische Wildpflanze mit der übel riechenden Wurzel, die dem Volksglauben nach böse Geister verjagt, soll die Nerven beruhigen. Bei Prüfungsangst oder Schlafproblemen kommt Baldrian heute in Form von Pillen, Tinkturen, Tees oder Badezusätzen zum Einsatz. Entscheidend ist wahrscheinlich das Zusammenspiel der Inhaltsstoffe, darunter ätherische Öle, Lignane, Valerensäuren und Flavonoide. Sie beeinflussen die Neurotransmitter Serotonin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA). In einigen Fertigpräparaten wird der Extrakt der Baldrianwurzel mit anderen beruhigenden Pflanzenstoffen, etwa aus Passionsblume und Hopfen, kombiniert.

Eine Metaanalyse über 16 Studien mit mehr als 1000 Versuchspersonen weist darauf hin, dass man mit Baldrian tatsächlich besser schläft. Doch laut einer weiteren Überblicksstudie verhilft Baldrian verglichen mit einem Placebo weder zu einem rascheren noch zu einem längeren Schlaf, wenn man unter Einschlafproblemen leidet.

Um herauszufinden, wie pflanzliche Medikamente im Vergleich zu gängigen Psychopharmaka wirken, stellen Forscher Vergleichsstudien an. Dabei lässt man beispielsweise Baldrian gegen Benzodiazepine - viel verschriebene Schlaf- und Beruhigungsmittel - antreten. In einer Untersuchung am Institut für Psychosomatische Forschung in Stuttgart wurden 202 Personen mit Schlafstörungen ohne eindeutige Ursache per Zufall einer von zwei Behandlungen zugewiesen: entweder mit 600 Milligramm Baldrianwurzelextrakt oder mit 10 Milligramm des Benzodiazepins Oxazepam. Sechs Wochen lang sollten sie die Pillen täglich kurz vor dem Zubettgehen einnehmen. Es zeigte sich: Baldrian und Oxazepam verbesserten die Schlafqualität gleich gut.

„Es liegt ein großes Potenzial in der Phytotherapie bei psychischen Beschwerden. Dieses Potenzial ist bisher bei Weitem nicht gehoben“

Gerhard Gründer, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim

Im Gegensatz zu Benzodiazepinen macht Baldrian nicht abhängig, und der gefürchtete Hangover am nächsten Tag bleibt meist aus. Als Nebenwirkungen kommen aber Übelkeit und Bauchschmerzen vor. Und wie bei allen pflanzlichen Schlafmitteln gilt, dass Baldrian unter Umständen die Fahrtüchtigkeit einschränken kann. Seine volle Wirkung entfaltet er oft erst nach zweiwöchiger Einnahme, was das Risiko von Nebenwirkungen erhöht.

„Bei schweren Schlafstörungen kommt man mit Baldrian nicht aus“, warnt Gerhard Gründer. Doch gegen ein Baldriandragee oder einen beruhigenden Tee vor dem Schlafengehen ist aus Sicht des Psychiaters nichts einzuwenden. „Es liegt ein großes Potenzial in der Phytotherapie bei psychischen Beschwerden. Dieses Potenzial ist bisher bei Weitem nicht gehoben“, sagt er. In einigen entlegenen Gebieten der Welt wartet sicher noch manches Heilkraut auf seine Entdeckung.

Wofür welche Heilpflanzen gut sind

Die Tabelle listet Phytotherapeutika auf, deren Wirkung laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur in mehreren randomisierten kontrollierten Studien belegt ist, sowie weitere traditionelle Heilkräuter, die in Metaanalysen positive Effekte zeigten.

Vorsicht: Der Einsatz bei Kindern, schwangeren und stillenden Frauen muss vorab medizinisch abgeklärt werden. Das gilt auch für mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Bessern sich die Beschwerden nach ein bis zwei Wochen nicht, ist erneut ein Arzt zu Rate zu ziehen.

Quelle: Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC)