Titel Logo
Landkreisausgabe Treffpunkt Unstrut-Hainich
Ausgabe 7/2024
Sonstiges
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Aktuelles

Hilfe, da ist eine Taube!

Sie bevölkern die Städte und ärgern Bewohner/innen wie unseren Redakteur. Tierschutzvereine fordert nun zurecht ein Umdenken.

In Deutschland leben 800.000 bis 1.000.000 Stadttauben (laut Google).

Als ich eines Abends aus den Ferien zurückkam, saß eine Taube auf meinem Fenstersims. Während ich weg war, hatte sie im Schutz des zugezogenen Fensterladens ein Nest gebaut. Im ovalen Wulst aus dünnen Zweigen, Halmen und Federn lagen zwei Eier.

Ich hatte nun ein Haustier, und durch die Fensterscheibe beobachtete ich, wie die Taube ihre Eier ausbrütete. Die ersten Tage war ich fasziniert davon, dann wurde es mir auf einmal zu intim. Die Natur kam mir, die ich den Blick auf die Bäume im Park gegenüber so gerne mag, plötzlich zu nah. Ich erzählte einem Freund vom Taubennest und erhielt sofort den Rat: "Die Eier müssen weg, sonst wirst du die Tauben nie mehr los!"

In der Deutschland leben Schätzungen zufolge 800.000 bis 1.000.000 Stadttauben. Viele Leute empfinden sie als Plage, weil sie kaum Scheu zeigen, um Futter betteln, mit ihrem Kot Fassaden verschmutzen oder beschädigen und, in seltenen Fällen, ihre Milben oder Zecken auf die Menschen überspringen. Andere Stadtbewohner/innen, etwa ich, haben sich zwar an die Vögel auf den Straßen und Plätzen gewöhnt, nicht aber an die Taube auf dem eigenen Balkon. Ich ekelte mich vor meiner neuen Mitbewohnerin und schämte mich für diesen Ekel.

Unser Umgang mit den Vögeln sei geprägt von Unwissen und Vorurteilen, schreiben Tierschutzvereine auf ihren Webseiten.

So wissen nur wenige, dass die heutigen Stadttauben von den Felsentauben abstammen und vor Tausenden von Jahren von den Menschen domestiziert wurden. Unsere Vorfahren nutzten sie als Brieftauben, aßen ihr Fleisch und düngten mit dem Kot die Felder. Heute ist die Stadttaube verwildert: Sie ist frei, pflanzt sich während des ganzen Jahres fort und lebt in den Städten, weil diese wie felsige Landschaften anmuten.

Ein Tierschützer sagt am Telefon, dass es den Stadttauben nicht gut gehe. Sie litten unter Stress, an Krankheiten und Hunger. Es brauche mehr Verständnis für die Vögel, die mit uns den urbanen Lebensraum teilten, eine bessere medizinische Versorgung und ein funktionierendes "Tauben-Management-Konzept". Er sagt weiterhin: "Der Mensch hat die Taube vor vielen Jahren so gezüchtet, dass sie sich stark vermehrt. Es liegt jetzt an uns, ihr Vorkommen tiergerecht zu kontrollieren." Je mehr Tauben es gibt, desto mehr leiden sie selbst: Sie müssen um Nistplätze, Wasser und Nahrung kämpfen und stecken sich gegenseitig mit Krankheiten an.

Tierschutzvereine setzen sich auch für den Bau von Taubenschlägen ein. Dort könnten die Tiere nicht nur artgerecht mit Körnern, Blattgemüse und Beeren gefüttert werden, sondern auch ihre Nester bauen. Die Taubenschläge würden regelmäßig gereinigt und desinfiziert, um Krankheiten vorzubeugen. Und mit einem Eiertausch könnte die Population reguliert werden. Dabei werden die Eier aus dem Nest entfernt und durch Attrappen aus Gips oder Kunststoff ersetzt.

Die Tierschützer verweisen auf die deutsche Stadt Augsburg, die solche Taubenschläge seit bald 30 Jahren erfolgreich betreibt. Sie befinden sich in Parkhäusern, auf Flachdächern oder in Türmen der ehemaligen Stadtmauer, wo sich die Tauben die meiste Zeit aufhalten. Auch in Schweizer Städten wie Bern, Luzern, Winterthur oder Zürich gibt es Taubenschläge. In Luzern und Winterthur ging die Anzahl der Tauben wie erhofft zurück, in Zürich wirkten die drei Schläge laut der Stadt aber nur mäßig. Und in Basel hat man sie vor einigen Jahren sogar geschlossen, weil der Taubenbestand nicht reguliert werden konnte. Seit 2020 gilt dort stattdessen ein Fütterungsverbot. Wer sich nicht daran hält, muss etliches an Buße zahlen. Die Behörden argumentieren, dass die Fortpflanzung der Tauben direkt vom Nahrungsangebot abhängt. Erst wenn sie kein Futter mehr bekommen, werde ihr Bestand zurückgehen.

Ein befragter Zoologe, der für einen Tierschutzverein arbeitet, bestätigt diesen Zusammenhang. Allerdings würden sich die Tauben vor allem von Essensresten und Abfällen ernähren, die in den Städten sowieso herumliegen, etwa von heruntergefallenen Brotstücken oder den Resten in Pizzaschachteln. Er hält Taubenschläge für die beste Art, das Zusammenleben von Menschen und Tauben zu entlasten. Im Unterschied zu Abschreckungsmaßnahmen wie etwa Stacheldrähten und Elektrozäunen seien sie tierschonend. Allerdings sei es in Städten, wo es bereits viele Tauben gebe, schwierig, den Bestand einzudämmen. Die Tauben müssten erst den Weg dorthin finden. "Die Tauben, die nicht kommen, bauen ihr Nest an einem anderen Ort."