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Landkreisausgabe Treffpunkt Unstrut-Hainich
Ausgabe 7/2024
Sonstiges
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Aktuelles

Neandertalerbabys waren schlecht ernährt

Eine zentrale Frage in der Erforschung der Menschheitsgeschichte ist, warum der Homo neanderthalensis vom Erdball verschwunden ist. Eine Möglichkeit: erhöhter physischer Stress. Bei neugeborenen Neandertalern wurde dieser durch schlechte Ernährung ausgelöst, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Quelle: https://science.orf.at

Das Leben des Neandertalers muss ein hartes gewesen sein. Der Urmensch war den Launen der Natur ausgesetzt und musste es auf der Jagd mit wilden Tieren aufnehmen. Obwohl sich die Lebensumstände des Neandertalers, der vor 400.000 Jahren bis vor 40.000 Jahren lebte, von jenen des jungpaläolithischen Menschen in vieler Hinsicht unterschied, gibt es manche Ähnlichkeiten.

Tatsächlich lebten Neandertaler und Homo sapiens, der vor etwa 50.000 Jahren in Europa eintraf, im Jungpaläolithikum über einen Zeitraum von rund 10.000 Jahren Seite an Seite und waren denselben Umweltbedingungen ausgesetzt. Was letztlich zum Aussterben des Neandertalers geführt hat, ist bisher nicht wirklich geklärt.

Verräterische Zähne

Ein Forschungsteam um Laura Sophia Limmer und Sireen El Zataari von der Universität Tübingen vermutet aufgrund von Zahnschmelzanalysen von 423 Neandertaler-Zähnen und 444 Zähnen von Menschen des Jungpaläolithikums, dass unterschiedliches Verhalten der beiden Menschenarten bei der Betreuung von Babys eine Rolle gespielt haben könnte. Ihre Studie präsentieren die Wissenschaftlerinnen aktuell im Fachjournal „Scientific Reports“.

Ursprünglich wollten die zwei Archäologinnen allgemein Stressunterschiede zwischen den beiden Menschenarten erheben. Auf die speziellen Unterschiede in der Kindheitsentwicklung stießen sie erst im Zuge ihrer Forschung.

Babys weniger lange gestillt als angenommen

„Lange Zeit glaubte man, dass Neandertalermütter erst verspätet mit dem Abstillen begonnen haben. Inzwischen gibt es aber neuere Studien, dass Neandertaler ihren Babys im Alter fünf bis sechs Monaten schon zusätzliche Nahrung zur Muttermilch fütterten“, so Limmer. In Einzelfällen wurden Kinder zwischen einem und zweieinhalb Jahren gänzlich abgestillt.

Neandertaler und Homo sapiens waren aber regelmäßig mit Phasen schwieriger Nahrungsbeschaffung konfrontiert. Hungerphasen lassen sich in der heutigen Forschung gut anhand von Analysen des Zahnschmelzes, der sich in periodischen Zyklen bildet, nachweisen. Die Wachstumsphasen sind an der Zahnoberfläche erkennbar.

„Man kann sich das vorstellen wie Baumringe. Defekte im Zahnschmelz zeigen uns, dass das Wachstum der Zähne durch irgendein Ereignis unterbrochen wurde“, erklärt Limmer. Nicht nur Mangelernährung, auch Veränderungen des Immunsystems, Krankheiten und Magen-Darm-Infektionen können in der Umstellungsphase von Muttermilch auf feste Nahrung auftreten. Das bedeutet Stress für den Körper und hinterlässt Spuren im Zahnschmelz.

Gemeinschaftliche Versorgung der Kinder

Bei Analysen von Milchzähnen stellten die Forscherinnen fest, dass Zahnschmelzdefekte bei Neandertalern und Homo sapiens annähernd gleich häufig auftraten, allerdings in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Während das Stresslevel bei modernen Menschen nach der anstrengenden Phase des Abstillens abnahm, stieg es bei Neandertalern in der späteren Kindheit nach dem Abstillen noch einmal an.

„Es gibt die sogenannte Großmutterhypothese, dass Verwandte oder auch andere Gruppenmitglieder die Versorgung der Kinder übernehmen und so dazu beitragen, dass sie gar nicht erst in diesen Stress geraten in der Phase des Abstillens“, so Limmer. Möglich sei das aber nur, wenn größere Gruppen zusammenhelfen.

Eine Strategie, die Neandertaler offenbar nicht kannten, vermuten die Studienautorinnen. Den moderneren Menschen des Jungpaläolithikum dürfte dieser soziale Zusammenhalt in der Gruppe jedoch einen entscheidenden Vorteil gebracht haben. Weitere Untersuchungen dazu seien jedenfalls notwendig, betonen beide Forscherinnen.