Ein Interview von Mirko Reise, LW Medien KG
In unserer beliebten Rubrik sind wir heute mal wieder in der Nähe des schönen Rennsteigs unterwegs - das fällt leicht, da ich selbst aus einem Ortsteil der Landgemeinde Großbreitenbach, OT Neustadt am Rennsteig, komme.
Mir ist vor Jahren die Pop-Gruppe The Bad Angels aufgefallen, die in unserer Region sehr erfolgreich war, nicht zuletzt durch die wirklich sehr einprägsame und tolle Stimme von Enno, Enrico Langguth, einem Kind der Stadt Großbreitenbach.
Enno, ein attraktiver junger Mann, der immer durch sein Erscheinen irgendwie aus der Masse der ortsansässigen Jugend heraus stach ist heute mein Interview-Partner, was mich sehr freut.
Hallo Enno, (ich hoffe, ich darf Dich so nennen) schön, dass ich Dich mal für unsere Rubrik „aushorchen“ kann …
Dein Lebensweg bisher ist ja alles andere als für eine kleine Thüringische Stadt üblich. Das klingt komisch, ich weiß, ist aber gar nicht so gemeint.
Wenn man Dich von außen betrachtet sieht man: junger Mann, der aus der Masse heraussticht, einzigartiger Musiker, Auswanderung nach Schweden, zurückkommen aus dem Ausland und nun mehrfacher Papa mit einer hübschen Lebensgefährtin und braver Erzieher in einer Kindertagesstätte der Landgemeinde.
Da drängen sich mir ein paar Fragen auf - diese möchte ich Dir heute stellen:
Wie kamst Du zur Musik und wie waren die Anfänge?
Hallo, erstmal danke für die Komplimente und dafür, dass du mich interviewen möchtest. Ich sehe mich eigentlich gar nicht als besonders interessant, deshalb freut mich dieses Interview umso mehr. Ich habe mich von außen noch nie so betrachtet - meine Lebensgefährtin wird sich riesig über dieses Kompliment freuen. Du hast ja recht: Mein Leben war bisher ziemlich turbulent - mal positiv, mal negativ beeinflusst. So wie bei den meisten Menschen. Ich plaudere gern mal aus dem Nähkästchen!
Als kleiner Junge hatte ich wenig Selbstvertrauen, war schüchtern - so sehr, dass ich im Kindergarten ein Jahr zurückgestellt wurde. Ich bin also gewissermaßen „in der Kita sitzen geblieben“. Meine damalige Erzieherin „Tante Lilo“, die ebenfalls aus Großbreitenbach stammt und heute noch dort lebt, hat an mich geglaubt. Sie gab mir die Hauptrolle in einer kleinen Aufführung des „Struwwelpeter“. Der Auftritt vor Eltern, Geschwistern und anderen Besuchern am Abschlusstag hat mein Leben verändert. Mein Selbstvertrauen wuchs, ich blühte richtig auf.
Ab der ersten Klasse war ich kaum noch schüchtern. Ich habe während meiner gesamten Schulzeit vieles ausprobiert: Volleyball, Feuerwehrverein, Fußball, Tanzen und die Junge Gemeinde in Großbreitenbach. Eines Tages - ich war etwa 11 oder 12 - sah ich auf einer Geburtstagsfeier zwei junge Männer, die als akustisches Duo „Nothing Else Matters“ spielten. Ich war wie versteinert, fühlte etwas Magisches und konnte an nichts anderes mehr denken.
Heimlich holte ich die Gitarre meiner Schwester unter ihrem Bett hervor, „klaute“ sie und brachte mir erste Akkorde selbst bei. Damals gab es noch kein YouTube oder ähnliches. Nach und nach lernte ich durch Freunde neue Akkorde und Songs.
Die damalige Zeit war in vieler Hinsicht anders. Der Jugendschutz war nicht so streng, was aus meiner damaligen Sicht von Vorteil war. So sah ich meine erste Rockband live - im Saal von Böhlen, einem Ort unserer Landgemeinde. Die Band hieß „Ragers“ - dieser Abend hat mich umgehauen. Von da an träumte ich davon, Musiker zu werden und hatte das Ziel auf dieser Bühne in Böhlen stehen zu wollen.
Ein Kumpel, Martin Jahn - heute noch als „Mup“ bekannt - nahm mich eines Tages mit nach Mellenbach, wo eine Band namens Bad Angels probte. Sie hatten keinen Drummer, das Schlagzeug kam vom Band. Als der Sänger auf die Toilette ging, sagte Mup: „Enno, sing doch mal was!“ Ich sang einen Rocksong - und die Band war begeistert. Kurz darauf wurde der Sänger zum Bassisten und ich war neuer Frontmann.
Die Band wuchs, wechselte einige Mitglieder, spielte als Vorband großer Bands und füllte bald als Teenager-Truppe die Säle. Ich verdanke meinen Eltern unglaublich viel - sie unterstützten mich auf ganzer Linie. Es gab drei klare Regeln: keine illegalen Drogen, eine abgeschlossene Ausbildung, und ich steige nie zu Betrunkenen ins Auto. Diese Regeln habe ich bis heute nicht gebrochen - aus Respekt vor ihrem Vertrauen.
Klar wurde über uns Musiker viel geredet, aber ich habe nie Drogen genommen - und habe auch heute keine Ambitionen dazu.
Bad Angels wurden bekannt, wir hatten eine Fanbase. Irgendwann wollte jeder seinen Weg weitergehen. Die Band löste sich auf, wir wurden alle Berufsmusiker in bekannten Bands - und haben uns vor ein paar Jahren wiedergefunden. Dafür bin ich unendlich dankbar!
Wie vereinbarte sich das ruhige Leben in der Thüringischen Kleinstadt Großbreitenbach mit einer Musikkariere?
Das Leben ließ sich gut mit der Musikkarriere vereinbaren. Am Wochenende waren wir oft unterwegs - auch in Großstädten - und unter der Woche fand ich zu Hause meine Ruhe. Klar war es manchmal langweilig im Dorf, aber dieser Wechsel zwischen Rock’n’Roll und Rückzug war genau das Richtige.
Deine Eltern kenne ich ja auch, tolle und nette Menschen - wie haben sie zu Dir und Deinen Zukunftsplänen gestanden? Vielleicht hätten sie ja lieber gehabt, Du wärst in ein ortsansässiges Unternehmen und in der Heimat geblieben …
Meine Eltern haben mir nie einen Weg vorgeschrieben. Sie haben stets darauf geachtet, dass es mir gut geht, und mich in dem unterstützt, was mir Freude bereitet hat. Sie standen und stehen auch heute noch voll hinter mir und meiner Familie. Das gebe ich an meine Kinder weiter.
Sie waren stolz, mich auf der Bühne zu sehen. Mein Vater wurde damals mit Bandklamotten ausgestattet, stand in der ersten Reihe - und wurde von weiblichen Fans sogar auf Drinks eingeladen. Ich glaube, das ganze Musikerleben hat meine Eltern jung gehalten.
Mein Umzug fiel ihnen schwer, doch selbst da haben sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückgestellt, mich beim Umzug spontan unterstützt - und sogar bei einem Gerichtsverfahren für mich im Saal gesessen, als ich wegen meines Lebens in Schweden nicht kommen konnte. Das werde ich nie vergessen! Kurz gesagt: Meine Eltern sind der Hammer - und die Fans sollten sich bei ihnen für viele schöne musikalische Stunden bedanken.
Irgendwann wolltest Du weg - raus in die Welt und wandertest aus - wie kam es dazu?
Nach einer langen Beziehung mit unserer Sängerin war ich eine Zeit lang Single. Ich lernte neue Frauen kennen - schließlich auch eine Schwedin mit einem Kind. Ich fühlte mich wohl in der Beziehung, brauchte Stabilität in meinem wilden Leben. Sie wurde schwanger, war aber gleichzeitig krank und musste in Schweden behandelt werden. Ein Umzug war unausweichlich. Plötzlich waren das Kind und die Frau weg.
Als meine Tochter Lea geboren wurde, war das wunderschön - aber ich war am Ende meiner Kräfte. Ich wollte Leas Leben miterleben, aber nicht Deutschland und meine Familie verlassen, außerdem hatte ich Angst die Band zu verlassen und saß fest. Nach einem Kurzschluss zog ich schließlich doch von heute auf morgen um, trennte mich von allem, musste vor Gericht mit meiner damaligen Band und meine Eltern regelten meinen Hausstand.
Ich blieb 11 Jahre in Schweden. Anfangs schien das Leben dort wie auf einem goldenen Tablett, aber die Beziehung hielt nicht. Ich bekam die volle Breitseite des Lebens ab - wurde jedoch daran geformt. Ich wurde erwachsen - und schließlich der, der ich heute bin.
Dann lernte ich Alexandra kennen. Seit über zehn Jahren sind wir zusammen, haben zwei wundervolle Kinder. Ich nenne sie meist „Alex“, wir sind verlobt - das war allerdings mehr die Idee meiner Eltern, als wir an der Feuerschale saßen und ein paar Gläser tranken. Ich sage es mal so … Halt mal mein Bier, hör auf deine Eltern und schwupps bist du am Tag darauf in einem Schmuckladen und hast einen Ring am Finger. In unserem Fall steckten wir den sogar an den falschen. Ich bin froh, dass sie es mit mir aushält - ich habe schon ein paar Macken. Alex hat ihr Land für mich verlassen, Wahnsinn!
Beschreibe bitte kurz wie man sich das Leben im Hohen Norden vorstellen kann - ist es tatsächlich entschleunigter und anders als hier? Die Menschen dort sollen ja die glücklichsten der Welt sein …
Das Leben in Schweden war toll. Die Menschen sind offen, man begegnet sich auf Augenhöhe, und es gibt viele Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung. Digital sind sie uns weit voraus - das hat mich anfangs überfordert. Ich habe besonders das Wasser und die Natur dort geliebt.
Die Schweden mögen Deutsche. Gibt man dort auf Arbeit nur halb so viel Gas wie hier, ist man schon der Star. Ich musste mich echt bremsen.
Trotz allen Glückes hat es Dich (nun dann mit Frau und Kind(ern) wieder ins schöne Thüringen, Deiner Heimat verschlagen. Warum?
Daran ist Alex „schuld“! Ich hatte in Schweden eine Lehrerstelle und dadurch viel Urlaub in den Sommerferien. Wir kamen jeden Sommer nach Deutschland - und jedes Mal wurde ich hier zu einem anderen Menschen. Ich sah mich selbst als Kind an jeder Ecke, fühlte etwas Besonderes. Kein Heimweh - aber nahe dran. Hört sich komisch an, aber es war schon magisch.
Alex lernte die ersten Brocken Deutsch, baute sich ein Netzwerk auf, und alle waren sehr herzlich zu ihr. Diese Gastfreundschaft hat uns beide berührt.
Irgendwann sagte sie: „Du bist hier ganz anders. Lass uns nach Deutschland ziehen, bevor Betti in die Schule kommt.“ Und so planten wir alles - und zogen mitten in der schlimmsten Corona-Zeit um. Meine Familie unterstützte uns wieder mit voller Kraft.
Der einzige Wermutstropfen: Meine große Tochter Lea konnte nicht mitkommen. Kurz vor dem Umzug teilte das schwedische Amt mit, dass es nun doch nicht so einfach wäre sie mitzunehmen, obwohl es uns versichert wurde und schon klar war. Ein Rückzieher war zu spät. Das hat mir sehr wehgetan und ich habe es bis heute nicht ganz verarbeitet.
Lea ist inzwischen 16, selbstständig, besucht uns oft - und unser Verhältnis ist super. Trotzdem vermisse ich es, mehr an ihrem Leben teilzuhaben. Aber Gefühle verschwinden nicht, egal wie weit weg ein geliebter Mensch ist.
Du arbeitest derzeit als Erzieher in einer Kita - ist das Dein gelernter Beruf? Ich finde es klasse, dass es heute auch Erzieher und nicht nur Erzieherinnen gibt. In meiner Kindheit war das nicht so, zumindest nicht auf dem Land, hatte ein Kind keinen Vater, hatte es auch keine männliche Bezugsperson - das war natürlich problematisch und nicht schön.
Ich bin Erzieher - in Schweden war ich sogar als Resurspädagoge tätig. Leider wird meine Ausbildung hier in Deutschland nicht anerkannt. Deshalb mache ich die Ausbildung gerade noch einmal. Das ist nicht einfach - aber dank Unterstützung durch meinen Träger, meine Familie, Freunde und die Musik schaffe ich das.
Ich liebe diesen Beruf. Meine Karriere begann ja selbst durch eine gute Erzieherin. Ich habe viele Kinder begleitet - vor allem jene, die es schwer hatten. Ich gebe kein Kind auf, nur weil es „schwierig“ ist. Noch heute bekomme ich Mails von Eltern und ehemaligen Kindern aus Schweden, denen ich helfen konnte. Diese Kinder sind nun erwachsen - und haben mich nicht vergessen. Das zeigt mir, dass ich gute Arbeit gemacht habe.
Auch als männlicher Erzieher hatte ich weder in Schweden noch hier Probleme - im Gegenteil. Ich bekomme viel positives Feedback von Eltern und Kollegen. Alles schick!
Wie sieht die Zukunft aus? Eher Thüringen oder die weite Ferne und spielt die Musik immer noch eine große Rolle in Deinem Leben?
Ich denke nicht, dass ich je wieder wegziehen werde. Ich möchte hier alt werden. Überall gibt es Vor- und Nachteile - aber ich bin glücklich mit dem, was ich habe.
Die Musik spielt weiterhin eine große Rolle - nur auf eine andere Art. Ich möchte kein großes Geld mehr damit verdienen und es auch nie wieder als Beruf ausüben, sondern schöne Erinnerungen sammeln - für mein inneres Fotoalbum. Vielleicht auch etwas davon an meine Kinder weitergeben.
Ich weiß inzwischen genau, wann und mit wem ich Musik machen will. Und ich habe gemerkt, dass ich meine Kinder, meine Lebensgefährtin, meine Eltern und mein Umfeld brauche, um Musik wirklich genießen zu können. Ich will kein Musiker sein, der dauernd unterwegs ist und die Familie vernachlässigt.
Vielleicht spiele ich, bis ich grau werde - was langsam beginnt - oder bis mich niemand mehr hören will. Mein kleiner Traum: meine eigenen Songs, die ich mit meinem Kumpel Raik zusammen schreibe, veröffentlichen - und ein kleines Publikum, das mitsingt. Das wäre schön.
Lieber Enno - herzlichen Dank für Deine Zeit und Deine ehrlichen Worte - ich wünsche Dir, Deinen Kindern und Deiner Lebensgefährtin alles Gute, Gesundheit, immer paar Euros in der Tasche und alles Glück dieser Erde, egal ob in Thüringen oder anderswo.
Vielen Dank für das tolle Interview, Mirko!
Tack för en härlig interview! (schwedisch für Anfänger)