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Freisener Nachrichten
Ausgabe 14/2024
Kommunales näher gebracht
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Kurioses zum Schmunzeln - Das Oberkircher „Kussverbot“

Vor mehr als hundert Jahren, genau genommen im Jahr 1910, herrschten in Oberkirchen und Umgebung strenge Sitten. Die Polizeiverwaltung in Oberkirchen sah sich gar veranlasst, deren Einhaltung durch amtliche Bekanntmachung sicherzustellen. Während in den Metropolen des Reichs den Tanz- und sonstigen Vergnügungen unreglementiert gefrönt werden durfte, galt das nicht für das damals rheinländische Provinzdorf Oberkirchen. Mit unverkennbarem Amüsement kommentierten im weit entfernten München die „Münchener Neuesten Nachrichten“ in ihrer Ausgabe vom 21. Juni 1910 unter der Schlagzeile „Ein polizeiliches Kußverbot“ * folgende Bekanntmachung der Polizeiverwaltung:

„In einigen Orten wird gelegentlich der Abhaltung von Tanzlustbarkeiten der sogenannte Küssetanz abgehalten. Es ist dies ein Tanz, wo sich Frauen und Mädchen öffentlich abküssen lassen müssen. Da dieses gegen die guten Sitten verstößt, ersuche ich den Tanz nicht mehr zuzulassen. Die Ausführung wird polizeilich überwacht.“

Auch der „Frankfurter Zeitung“ war das Oberkircher Kussverbot eine Schlagzeile wert. Der süffisant-ironische Kommentar der „Münchener Neuesten Nachrichten“:

„Erst wird die Küsserei verboten. Dann wird „die Ausführung polizeilich überwacht“. Wie reimt sich das zusammen. Und muss der Polizist nun über sämtliche ausgeteilten Küsse Buch führen? Oder hat er vielleicht seine gereckte, flache Hand vor die bedrohten Lippen der Frauen und Mädchen zu halten? Oder gilt schließlich das Lippenspitzen der Männer als Widerstand gegen die Staatsgewalt? Es ist dringend nötig, dass der Polizeiverwalter von Oberkirchen-St. Wendel genauere Ausführungsbestimmungen seines Antikuß-Erlasses bekanntgibt.“

Allerdings ist anzumerken, dass nicht nur in Oberkirchen, sondern auch in Paris, der Stadt der Liebe, in der es auch heute noch üblich ist, seine Mitmenschen mit Küsschen zu begrüßen, ebenfalls im Jahr 1910 ein offizielles Kussverbot (auf Bahnsteigen) erlassen wurde. Offiziell hat das Pariser Bahnsteig-Kussverbot (ohne Scherz) immer noch Bestand. Verstöße werden jedoch schon lange nicht mehr geahndet.

Münchener Neueste Nachrichten. Morgenblatt. 63. Jahrgang. Dienstag, 21. Juni 1910. Ausgabe Nr. 284. S. 2 / {{gt}} verfügbar: Bayerische Staatsbibliothek. München

Der sog. „Küssetanz“ war damals recht verbreitet und wurde im Jahr 1853 in der Zeitschrift „Die Grenzboten“ (Ausgabe Dezember 1853, S. 337) so beschrieben: „(…) wobei der Reihe nach jeder Tänzer mit jeder Tänzerin durchtanzt und ihr dann jedesmal einen derben recht laut schmatzenden Kuß gibt.“