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Amtsblatt Staufenberg
Ausgabe 15/2023
Seite 2 - AB
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KOLUMNE DES BÜRGERMEISTERS

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

als Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Städte- und Gemeindebundes bekomme ich auch aus und von anderen Bundesländern viele die Kommunen betreffende Informationen. Erst vor kurzem erhielt ich das Positionspapier des Gemeindetages Baden-Württemberg mit dem Titel: „BELASTUNGSGRENZE ERREICHT - ES DARF KEIN „WEITER SO“ GEBEN!“

In diesem Papier wird derart genau aus der Tiefe meiner eigenen Seele gesprochen, dass ich mich entschlossen habe, Ihnen die wichtigsten Passagen dieses Positionspapiers in meiner heutigen Kolumne wie folgt vorzustellen:

„Die Krise hat sich zum Normalzustand entwickelt. Nach der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 - 2017 breitete sich im Jahr 2020 die Pandemie aus. Spätestens seit dem Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine erleben wir multiple Krisen nebeneinander. Krieg inmitten von Europa. Millionen von Menschen auf der Flucht. Inflation in einer über Jahrzehnte ungekannten Höhe. Die Versorgungssicherheit der Energie ist in Frage gestellt. Und über allem die auch in Europa immer spürbarer werdende Klimakrise.

Wir erleben Krisen, die sich überlagern, teilweise gegenseitig verstärken, teilweise bedingen.

Die Gleichzeitigkeit der Krisen fordert Staat und Gesellschaft enorm.

Die viel zitierte Zeitenwende hat die Welt verändert und sie hat damit auch ganz konkrete Auswirkungen auf die politische Bedürfnispyramide. Die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland, ein verbesserter Katastrophen-, Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Sicherung der Energieversorgung und die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens sind nur erste Beispiele für eine neue Prioritätensetzung. Hinzu kommt die epochale Herausforderung einer gelingenden klimagerechten und digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft.

Kann das alles gelingen? Wer dies mit einem uneingeschränkten „Ja“ beantwortet, ist entweder ein absoluter Berufsoptimist oder verschließt die Augen vor der Dimension der aktuellen Krisen, den anstehenden Aufgaben und deren zum Teil erheblicher asymmetrischer Korrelation.

Die Städte und Gemeinden übernehmen als Gesicht unserer demokratischen Strukturen auch in dieser Vielfach-Krise Verantwortung in ihrem gesamtstaatlichen Selbstverständnis vor Ort. Und in dieser Verantwortung sagen die Städte und Gemeinden deutlich: Die Leistungsfähigkeit des Staates, die Leistungsfähigkeit der Städte und Gemeinden hat ihre Grenzen erreicht, die Gesamtheit der staatlichen Leistungsversprechen ist nicht mehr erfüllbar.“ Soweit zu den Ausführungen des Gemeindetags Baden-Württemberg. Ergänzen möchte ich, dass in den letzten Jahren auch die Kommunen im Landkreis Gießen ihre Belastungsgrenze erreicht haben. Die Gründe dafür sind vielfältig: steigende Kosten für Infrastruktur, Sozialleistungen und Bildung, aber auch ein wachsender Fachkräftemangel und eine zunehmende Überforderung durch Standards und Vorschriften.

Besonders betroffen sind kleine und mittlere Kommunen, die oft nicht über ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Doch auch in größeren Städten sind die Probleme spürbar: veraltete Schulen, marode Straßen und Brücken, fehlende Kitaplätze und Pflegeeinrichtungen, die Liste der ungelösten Aufgaben ist lang.

Die Sicherstellung der Daseinsvorsorge ist eine der zentralen Aufgaben von Kommunen.

Wenn Sie morgens den Wasserhahn in Ihrem Bad aufdrehen, kommt dort Trinkwasser heraus, was danach über eine öffentliche Kanalisation in eine kommunale Kläranlage fließt, wo es so gut gereinigt wird, dass es völlig unbedenklich in öffentliche Gewässer geleitet werden kann. Wenn dann mal eine der ständigen Wasserqualitätskontrollen eine leichte Verkeimung aufzeigt und in deren Folge das Trinkwasser nur für ein paar wenige Tage gechlort werden muss, laufen die öffentlichen Foren in den sogenannten sozialen Medien fast schon reflexartig mit kritischen Kommentaren gegen die kommunalen Vertreter über.

Wie sollen die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen, wenn sie gleichzeitig mit immer größeren Herausforderungen konfrontiert werden? Eine Möglichkeit wäre, die Standards zu reduzieren oder zu flexibilisieren. Standards können eine wichtige Rolle spielen, um die Qualität von Dienstleistungen und Infrastrukturen zu gewährleisten. Allerdings sollten sie nicht so starr sein, dass sie die Flexibilität und Innovation der Kommunen einschränken. Bei der Abwasserreinigung wäre dies etwa der Verzicht auf die x-te Reinigungsstufe zur Minimierung von Mikroplastik. Anstatt zusätzlich Millionen Euro an öffentlichen Geldern in die Abwasserreinigung investieren zu müssen, wäre es zum Schutz unserer Umwelt viel leichter, die Verwendung von Mikroplastik in Zahn- und Hautcremen einfach zu verbieten. Für uns alle ist sicher auch ein Leben jenseits eines werbeüberfrachteten Hautpeelings vorstellbar.

Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel. Viele Kommunen haben Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, sei es in der Verwaltung, im Bildungsbereich oder in der Pflege. Hier muss die Politik ansetzen und die Ursachen des Mangels angehen. Dazu gehören eine bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen, aber auch eine gezielte Aus- und Weiterbildung sowie eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

All das ist für die Kommunen aber nun leistbar, wenn sie mit deutlich mehr Finanzmitteln ausgestattet werden. Diese Gelder wachsen jedoch nicht einfach auf den Bäumen, sie müssen vielmehr zusätzlich „verdient“ oder umgeschichtet werden. Zusätzliches „Verdienen“ bedeutet höhere Steuern und Abgaben, die auch keiner will. Eine Umschichtung von Steuergeldern ist gleichbedeutend mit der Aufgabe liebgewonnener Vergünstigungen, zu denen etwa die steuervergünstigte Pendlerpauschale oder die Steuerfreiheit von Kerosin und Flugbenzin zählen.

Dazu gehört aber auch, unser eigenes Anspruchsdenken auf das Leistbare zu reduzieren. Wenn es einer Kommune wie etwa Staufenberg trotz Fachkräftemangel gelingt, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem ersten Lebensjahr für alle Kinder zu erfüllen, sehen wir dies bestenfalls als Selbstverständlichkeit an. Gleichzeitig haben viele von uns überhaupt kein Problem damit, bei einer pandemiebedingt sehr früh einsetzenden und dann leider auch sehr lange andauernden Grippewelle die kommunalen Vertreter für kurzfristige Gruppenschließungen selbst dann noch verantwortlich zu machen, wenn diese zur Vermeidung dauerhafter Kita-Schließungen über ihre Belastungsgrenzen gehen und ihr Überstundenkonto überquellen lassen.

Die Daseinsvorsorge ist zu wichtig, um sie den Kräften des Marktes zu überlassen. Es braucht daher eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen, um die notwendigen Investitionen und Reformen anzugehen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, eine funktionierende und belastbare öffentliche Infrastruktur zu haben. Die Politik muss daher jetzt handeln, um die Zukunftsfähigkeit der Kommunen zu sichern und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Gleichzeitig sollten wir Bürger aber auch (an)erkennen, was unsere Kommunen heute schon alles leisten und dass das Einfordern immer neuer Standards auch die Bereitstellung zusätzlicher eigener Finanzmittel oder den Verzicht liebgewonnener Vergünstigungen voraussetzt.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr
Peter Gefeller
Bürgermeister