Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
kurz vor meinem Sommerurlaub hatte ich die besondere Ehre, unsere Stadt an einer Feierstunde in der evangelischen Kirche zu Treis vertreten zu dürfen: der 130. GEBURTSTAG des Malers HEINRICH WILL. Dieses Jubiläum ist nicht nur ein Anlass, auf sein künstlerisches Schaffen zu blicken, sondern auch auf das bewegte Leben, das er gemeinsam mit seiner Frau Liesl führte.
Das Museum für Gießen widmet dem Paar derzeit die Sonderausstellung „Heinrich und Liesl Will - Kunst im Angesicht der Diktatur“. Viele Werke aus Privatbesitz sind erstmals zu sehen - Kunstwerke, die in einer Zeit entstanden, in der Freiheit nicht selbstverständlich war. Die Ausstellung läuft noch bis zum 19. Oktober. Ein Besuch lohnt sich - für Kunstfreunde ebenso wie für alle, die sich für Zeitgeschichte interessieren.
Kindheit in Treis
1895 in Treis/Lumda geboren, wuchs Heinrich Will in einer bäuerlichen Familie auf. Das Dorfleben war von Gemeinschaft geprägt, aber auch von harter Arbeit. Technische Errungenschaften wie Wasserleitungen und elektrisches Licht kamen erst allmählich. Viele suchten ihr Glück in der Ferne - allein zwischen 1853 und 1884 wanderten 127 Treiser nach Nordamerika aus.
Heinrich besuchte von seinem fünften bis dreizehnten Lebensjahr die Dorfschule. Er hatte „guten Erfolg“, wie es hieß, bedauerte aber zeitlebens, keine breitere Allgemeinbildung genossen zu haben. Vielleicht trieb ihn gerade dieses Gefühl dazu, sich autodidaktisch weiterzubilden - mit Büchern, Gesprächen und vor allem durch die Kunst.
Krieg und Neuanfang
Sein Talent für Zeichnungen zeigte sich früh. Doch mit 19 Jahren zog er in den Ersten Weltkrieg, erst an die West-, dann an die Ostfront. Eine schwere Gasvergiftung 1918 prägte ihn körperlich für den Rest seines Lebens. Den Hof der Eltern konnte er nicht übernehmen - und wandte sich endgültig der Kunst zu.
Er studierte an der Städelschule in Frankfurt, in Wien, Düsseldorf und Gießen. Reisen nach Italien prägten seinen Blick für Licht und Farbe.
Partnerschaft und Gefahr
1930 heiratete er Elisabeth „Liesl“ Klein aus Wien - gebildet, weltoffen und seine wichtigste Stütze. Sie brachte Organisationstalent und urbane Impulse in sein Leben. Doch als Jüdin lebte sie nach 1933 in ständiger Gefahr.
Zunächst war Will noch in offiziellen Kunstorganisationen aktiv, 1933 sogar Bezirksleiter im „Reichskartell der bildenden Künste“ für Oberhessen. Doch 1936 erfolgte der Ausschluss aus der Reichskulturkammer - allein wegen seiner Ehe. Damit war seine berufliche Existenz zerstört.
Isolation und Widerstand
Ab 1936 durften seine Werke nicht mehr ausgestellt werden. Verkäufe waren nur heimlich möglich. Freunde halfen, ebenso Lebensmittel aus Treis.
Ab 1941 nahm das Ehepaar an den „Freitagskränzchen“ des Theologen Alfred Kaufmann teil: heimliche Gesprächsrunden, in denen man „Feindsender“ hörte und über die wahre Kriegslage sprach.
1942 wurden alle Teilnehmer verraten. Die Gestapo verhaftete sie, es folgten Verhöre und Misshandlungen. Im Schauprozess vor dem Volksgerichtshof wurden Heinrich Will und Alfred Kaufmann zum Tode verurteilt, Liesl zu mehrjähriger Haft.
Das Ende
Trotz mutiger Gnadengesuche - darunter eines von 22 Treiser Bürgerinnen und Bürgern - blieb das Urteil bestehen. Am 19. Februar 1943 wurde Heinrich Will in Frankfurt-Preungesheim hingerichtet. Liesl wurde noch 1942 nach Auschwitz deportiert und vermutlich direkt nach der Ankunft ermordet.
Ihre Haltung verdient tiefen Respekt: Liesl weigerte sich, in der Gestapohaft mit „Sarah“ zu unterschreiben, warnte andere vor Verrätern und trug bewusst Trauerkleidung, als sie vom Tod ihres Vaters im Lager erfuhr. Heinrich schuf in der Todeszelle das Selbstbildnis „Auge in Auge mit dem Tode“ - ein Zeugnis innerer Freiheit trotz auswegloser Lage.
Vermächtnis und Mahnung
Heute erinnern in Gießen und Treis Stolpersteine, Gedenkplatten und Straßennamen an das Ehepaar Will. Seine Landschaften, Stadtansichten und Porträts sind nicht nur Kunstwerke - sie sind Zeugnisse einer Haltung, die Menschlichkeit über Anpassung stellte.
Der Freund des Paares, Prof. Dr. Karl Bechert, sagte schon 1946:
„Solches Schicksal sollte uns mahnen, nie wieder zu dulden, dass ein Reich der Unduldsamkeit, der Selbstüberhebung entstehe. Es ist nicht nötig, dass alle Menschen derselben Meinung sind - wohl aber, dass sie sich verständigen und vertragen.“
Diese Mahnung ist heute - in einer Zeit, in der Ausgrenzung, Antisemitismus und Extremismus wieder offen auftreten - erschreckend aktuell.
Schlussgedanke
Heinrich und Liesl Will waren mehr als Opfer der Nazi-Diktatur. Sie waren Menschen, die ihre Überzeugung über die eigene Sicherheit stellten. Menschen, die mit Mut, Liebe und Haltung für Menschlichkeit einstanden.
Ihr Leben und ihr Sterben verpflichten uns, wachsam zu sein, Unrecht zu benennen - und die Würde des Menschen zu schützen. Wenn wir ihrer gedenken, dann nicht nur im Rückblick - sondern als Auftrag für die Gegenwart.