Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„REMIGRATION“ heißt das Unwort des Jahres 2023. Letzte Woche wurde es von einer überwiegend aus Sprachwissenschaftlern bestehenden Jury an der Philipps Universität in Marburg gekürt. Das Wort ist in rechten bis rechtsextreme Gruppierungen zu einem Euphemismus, also zu einer milderen Umschreibung der Forderung nach Zwangsausweisungen oder gar Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden.
„Remigration“ selbst suggeriert auf den ersten Blick eine einfache Rückkehr in die Heimat. Doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass sich hinter diesem scheinbar harmlosen Wort eine problematische Agenda verbirgt. Die Wahl zum Unwort des Jahres wirft ein Schlaglicht auf den politischen Diskurs, in dem Begriffe nicht nur ihre eigentliche Bedeutung haben, sondern oft als Instrumente für ideologische Zwecke eingesetzt werden.
Der Begriff „Remigration“ hat in den letzten Jahren eine beunruhigende Transformation durchlaufen. Ursprünglich vielleicht als neutraler Ausdruck für die Rückkehr in die Heimat gedacht, wird er nun von rechten Gruppierungen als Codewort verwendet, um rassistische und nationalistische Ansichten zu verschleiern. Die Verwendung dieses Begriffs ist nicht nur sprachlich problematisch, sondern zeigt auch eine erschreckende Tendenz in Teilen der Gesellschaft.
Die Kür zum Unwort des Jahres ist mehr als nur eine sprachliche Rüge – sie ist ein Weckruf. Es ist an der Zeit, nicht nur die Worte selbst zu hinterfragen, sondern auch die Absichten, die hinter ihrer Verwendung stehen. „Remigration“ mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen, aber es ist wichtig zu erkennen, dass Worte Macht haben. Sie können dazu dienen, Brücken zu bauen, aber auch Mauern zu errichten.
Die Verleihung des Unwortes ist daher nicht nur ein Signal an die Sprachwissenschaft, sondern an die Gesellschaft insgesamt. Wir müssen sensibel dafür sein, wie Begriffe in politischen Diskursen eingesetzt werden, um bestimmte Ideologien zu fördern oder ganze Gruppen auszugrenzen. Der öffentliche Raum sollte ein Ort des respektvollen Austauschs sein, und die Sprache, die wir wählen, spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Es liegt an uns, als Gesellschaft, die Verantwortung für den Gebrauch unserer Worte zu übernehmen. Die Kür zum Unwort des Jahres sollte nicht nur ein Anlass zum Innehalten sein, sondern auch eine Aufforderung zur kritischen Reflexion darüber, wie wir miteinander kommunizieren. Nur durch ein Bewusstsein für die Macht der Sprache können wir einen Beitrag dazu leisten, dass der öffentliche Diskurs respektvoll, inklusiv und demokratisch bleibt.
Die Entscheidung der Sprachwissenschaftler ist sicher auch vor dem Hintergrund der erst wenige Tage alten Enthüllungen der Journalisten von CORRECTIV zu sehen. Dank deren investigativen Recherche konnte der „GEHEIMPLAN GEGEN DEUTSCHLAND“ aufgedeckt werden.
Im November des letzten Jahres trafen sich Rechtsradikale, Neonazis und hochrangige AfD-Politiker in einem Hotel bei Potsdam. Dort – nur wenige Kilometer von der Villa entfernt, in der am 20. Januar 1942 die Wannseekonferenz stattfand - planten die rechten Umstürzler nichts Geringeres als die Vertreibung und Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland - von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund - von Menschen, die tagtäglich für unser Land arbeiten, sich engagieren und Teil der Stärke unser Zivilgesellschaft sind.
Dieser nun zum Glück aufgedeckte „Geheimplan“ ist ein Plan gegen Deutschland, gegen unsere Demokratie und gegen unseren Rechtsstaat. Er ist ein Plan gegen uns alle! Deshalb müssen wir uns gemeinsam gegen rechte Menschenfeindlichkeit stellen. Jede und jeder einzelne von uns! Rechte Umstürzler, die sich gegen unsere freiheitliche, demokratische Grundordnung stellen, stellen sich in Wahrheit gegen unsere freie Gesellschaft, gegen die Art und Weise wie wir alle leben und damit gegen jede und jeden einzelnen von uns.
Das Bekenntnis, aus der Geschichte zu lernen, ist keine leere Phrase. Die Nähe des Treffens zum Haus der Wannseekonferenz sollte uns eine Warnung sein. Es erinnert ganz bewusst an die dunkelste Zeit in unserer Geschichte. Im Rahmen der Wannseekonferenz planten hochrangige Vertreter des Nazi-Regimes Anfang Januar 1942 die behördliche Umsetzung der systematischen Deportation und Ermordung aller in Europa lebender Juden. 11 Millionen Menschen sollten über diese sogenannte „Endlösung“ ermordet werden. Die nun bekanntgewordenen Deportationsfantasien rechter Umstürzler wurden nur knapp acht Kilometer entfernt besprochen. Sie sollten in einen „Masterplan“ zur Ausweisung von Millionen deutscher Staatsbürger münden.
Ein führender Kopf der identitären Bewegung, Burschenschafter, zwei Mitglieder der Werteunion aber auch finanzstarke Unternehmer, AfD-Politiker und weitere bekannte Köpfe aus der rechten Szene haben nach der Recherche von CORRECTIV ein geheimes und exklusives Netzwerk gebildet. Spenden sollten gesammelt werden, in bar oder auf einem „neutralen Konto“. Ziel der Gruppe ist die „Entfernung“ von allen, die nicht in den selbst gebastelten rechtsextremen ethnischen Volksbegriff passen. Das soll auch „nicht assimilierte Staatsbürger“, also Deutsche mit vermeintlich „falscher“ Hautfarbe oder Herkunft, umfassen.
Das alles ist kaum in Worte zu fassen, so unfassbar erscheint es. Ganz offensichtlich ist es jedoch die Realität, vor der wir alle gemeinsam nicht länger die Augen und vor allem die Münder verschließen dürfen. Deshalb sind Demos gegen rechte Umstürzler gut. Veranstaltungen wie die am letzten Samstag in Gießen und in vielen anderen Städten Deutschlands sind wichtige Zeichen zur Stärkung unserer Demokratie. Unsere Empörung darf sich aber nicht alleine auf solche einmaligen Aktionen beschränken.
Der Kampf um unsere Demokratie, um unsere Freiheit ist mehr als ein Marathon. Wir müssen uns dauerhaft und jeden Tag aufs Neue für unsere freiheitlichen Werte einsetzen. Nicht jede und jeder hat den Mut oder auch die Möglichkeit, solche Kolumnen wie die vorliegende schreiben zu können. Jede und jeder hat aber bei jeder Wahl die Möglichkeit, demokratische, dieses Land repräsentierende und verteidigende Parteien zu wählen. Mag sein, dass nicht jede oder jeder, der eine faschistische und damit verfassungsfeindliche Partei wie die AfD wählt, gleich auch ein Faschist ist. Wer aber eine faschistische Partei wie die AfD wählt, wählt zugleich den Faschismus mit. Und das ist das eigentliche Problem. Jede und jeder von uns sollte dies beim nächsten Urnengang bedenken.