Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
letzte Woche, genauer gesagt am Abend des 31. Oktober, feierten zahlreiche unserer jungen Mitbürger HALLOWEEN. Dieses Fest, das wahrscheinlich auf alte keltische Traditionen zurückgeht, ruft bei mir mehr Unbehagen als Freude hervor. Bis vor wenigen Jahren betrachtete ich es noch als vorübergehenden Trend, doch heute muss ich feststellen, dass es bei uns zunehmend beliebter wird.
An diesem Abend ziehen viele unserer Kinder und Jugendlichen verkleidet als Hexen oder Vampire von Tür zu Tür und fordern unter dem Spruch „Süßes oder Saures“ Süßigkeiten ein. Solange dies die gesamte Aktivität bleibt, ist das sicherlich kein Problem. Nur leider ist das nicht immer der Fall. Auch in diesem Jahr häuften sich erneut die Beschwerden über Jugendliche, die rohe Eier an Hauswände warfen oder diese mit obszönen Zeichnungen beschmierten.
Liebe Kinder und Jugendliche: Euer Fehlverhalten hat absolut nichts mit harmlosen „Streichen“ zu tun. Wenn Anwohner geschädigt oder sogar bedroht werden, hört der Spaß auf. Das Beschmieren von Hauswänden stellt eine Sachbeschädigung und damit eine Straftat dar. Ich kann die geschädigten Hausbesitzer nur ermutigen, eine Strafanzeige zu erstatten. Zugleich appelliere ich für die kommenden Jahre an die Vernunft der Jugendlichen, ihre unsinnigen Handlungen zu unterlassen.
Davon losgelöst dürfte gerade die evangelische Kirche überhaupt nicht glücklich darüber sein, dass dieses „Halloween-Spektakel“ ausgerechnet am REFORMATIONSTAG über unser Land hereinbricht. Denn an diesem Tag vor nun schon 506 Jahren hatte ein widerborstiger Augustinermönch namens Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen.
„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ - mit diesem Slogan zogen Ablasshändler zu Luthers Zeiten den Menschen das Geld aus den Taschen. Luther widersprach der Auffassung, dass der Mensch sein Heil kaufen könne. Er rief seine Kirche zur Umkehr auf. Dem dienten die 95 Thesen, die am 31. Oktober 1517 an der Tür der Wittenberger Schlosskirche zu lesen waren. Viele Menschen nahmen den Ball auf und spielten ihn weiter - bis zum heutigen Tag. Das zu feiern ist aus meiner Sicht viel besser als jedes Halloweenfest.
Der 9. NOVEMBER: Ein Tag, der in der deutschen Geschichte eine vielschichtige Bedeutung trägt. Es ist ein Tag, an dem sich die Schicksale und Wendepunkte eines ganzen Landes über die Jahrzehnte hinweg verdichten. In Erinnerung an historische Ereignisse möchte ich gerade in dieser Woche, in der der diesjährige 09. November liegt, einen Blick auf die verschiedenen Facetten dieses Tages werfen.
Im Jahre 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 09. November die Deutsche Republik aus. Nach Jahren des bis dato verheerendsten Krieges der Weltgeschichte und kriegsbedingter großer Not war es für Deutschland wichtig und richtig zugleich, einen neuen Weg einzuschlagen. Die Weimarer Republik wurde aus der Asche des Kaiserreichs geboren und die Hoffnung auf Demokratie und Frieden flackerte auf. Doch wie wir wissen, sollte diese Republik nur eine kurze und turbulente Geschichte haben.
Im Jahr 1938, also vor 85 Jahren, wurde der 9. November zu einem düsteren Kapitel in der deutschen Geschichte. In der sogenannten Reichspogromnacht brannten in ganz Deutschland jüdische Synagogen und Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert und zerstört. Dieser brutale Akt des Hasses und der Gewalt markierte einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Katastrophe des Holocausts und zeigte die entsetzlichen Auswirkungen von Antisemitismus und Extremismus.
Haben wir aus diesen staatlich gelenkten Verbrechen die richtigen Lehren gezogen? Die vielen antisemitischen Vorfälle in Deutschland nach dem barbarischen Angriff der terroristischen Hamas auf unschuldige Israelis lassen daran Zweifel aufkommen. Sie schüren bei vielen Jüdinnen und Juden schlicht Angst.
85 Jahre nach der Reichsprogromnacht werden in Deutschland wieder Häuser mit dem Davidstern markiert, trauen sich Jüdinnen und Juden nicht mehr auf die Straße, lassen ihre Kinder aus Angst nicht in die Schule oder in den Sportverein gehen. 85 Jahre nach der Reichsprogromnacht verzeichnen unsere Strafverfolgungsbehörden einen massiven Anstieg antisemitisch motivierter Straftaten.
Geht’s noch? Gerade in unserem Land dürfen wir hier nicht einfach zusehen. In allen Städten und Gemeinden Deutschlands, egal wo, müssen wir uns klar zur Glaubensfreiheit bekennen. Jeder Mensch muss in unserem Land seinen Glauben frei von Gewalt und Angst ausüben dürfen. Das gilt für alle und selbstverständlich auch für Menschen jüdischen Glaubens. Gerade für sie müssen wir im wahrsten Sinne des Wortes Flagge zeigen. Deshalb werden wir am diesjährigen 09. November auch die israelische Flagge vor unserem Rathaus hissen.
Aber nun zurück zur Historie: Der 9. November im Jahr 1989 veränderte erneut unsere Welt. An diesem Tag fiel die Berliner Mauer, die jahrzehntelang das Symbol der kommunistischen Diktatur und der Teilung Deutschlands gewesen war. Die Bilder der jubelnden Menschen, die die Mauer überwanden, gingen um die Welt und stehen für den Triumph der Freiheit über die Unterdrückung. Es war der Anfang vom Ende des Kalten Krieges und ein Meilenstein auf dem Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands.
„Demokratie ist eine Kostbarkeit – verteidigt sie!“ Unter diesem Motto berichtete in der letzten Woche Rainer Eppelmann in der Aula des CBES Lollar über sein Leben in der DDR-Diktatur. Rainer Eppelmann war Pfarrer in der DDR, dort ein für die Freiheit kämpfender Bürgerrechtler und im Jahr 1990 Mitglied der ersten und zugleich letzten frei gewählten DDR-Regierung. Immer wieder stellte Eppelmann den Schülerinnen und Schülern die Frage: „Diktatur oder Demokratie?“. Seine Antworten gingen unter die Haut und zeigten mehr als eindrucksvoll, was es für jeden persönlich bedeutet, in einer eingeschlossenen Diktatur leben zu müssen und wie wertvoll es ist, in einer Demokratie leben zu dürfen.
Daran anknüpfend bleibt festzuhalten: Der 9. November ist ein Datum, das die ganze Bandbreite menschlicher Erfahrungen und Emotionen in sich trägt. Es erinnert uns an die Schwierigkeiten und die Dunkelheit der Geschichte, aber auch an die Kraft des Wandels und der Hoffnung. In Deutschland und weltweit ist dieser Tag ein Symbol für den Sieg der Demokratie über die Tyrannei und für die Bedeutung des Zusammenhalts und der Toleranz in einer Gesellschaft.
Es ist wichtig, sich an diesen Tag zu erinnern und die Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Der 9. November mahnt uns, wachsam zu sein gegen Hass und Vorurteile, und uns immer für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen. Es ist ein Tag, der uns daran erinnert, dass die Geschichte lebendig ist und dass wir die Gestalter unserer Zukunft sind.