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Amtsblatt Staufenberg
Ausgabe 46/2022
Seite 2 - AB
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KOLUMNE DES BÜRGERMEISTERS

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

in den Jahren 2011 und 2012 wurden im Bereich der Stadt Staufenberg sogenannte Stolpersteine verlegt. Sie erinnern an die Opfer des NS-Regimes.

Sich an den Terror und die Gewalt der nationalsozialistischen Diktatur zu erinnern, der Opfer und Leidtragenden zu gedenken und immer aufs Neue zu mahnen, dass Ähnliches nie wieder geschehen darf, ist eine Verpflichtung für uns alle! Deshalb brauchen wir Mahnmale und Gedenkstätten.

Die in dem Projekt „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig steckende Idee ist es, eine unübersehbare Spur zu legen. Eine Spur, die uns am Vergessen hindern will. Wir sollen über kleine Steine „stolpern“, die uns in den Weg gelegt werden, um uns zu erinnern. Die kleinen Steine bieten Gelegenheit, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, sich berühren zu lassen von der Vergangenheit - vor allem und gerade durch jedes individuelle Schicksal, das dadurch einen Namen und ein Gesicht bekommt.

Die Schicksale der einzelnen Menschen intensiver kennen zu lernen, sie oder ihn im Zusammenhang des alltäglichen Lebens dargestellt zu sehen, das soll die letzte Woche im Daubringer Kulturcafé „Wohnzimmer“ vorgestellte Dokumentation „JUDEN IN STAUFENBERG - STOLPERSTEINE“ möglich machen. Interessierten wird mit ihr die Möglichkeit geboten, sich eingehend mit dem Leben und gewaltsamen Tod von ehemaligen Staufenberger Bürgerinnen und Bürgern zu befassen, an die durch Stolpersteine erinnert wird.

Auch wenn die aktuelle Weltpolitik ständig neue Verbrechen gegen die Menschen gebiert, muss es stets unser Ziel sein, auf das Schicksal der Opfer unserer Geschichte aufmerksam zu machen und zwar Menschen aller Generationen. Das Erinnern darf nicht „aussterben“ oder durch aktuelle Politik überlagert werden: Die Opfer dürfen nicht vergessen werden!

Mein Dank gilt den Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Stolpersteine“, die in vielen Besprechungen die Verlegaktion ermöglicht haben und den zahlreichen Paten der Stolpersteine - also all jenen Menschen und Institutionen, die für die Verlegung der Steine Geld gespendet haben. Bedanken möchte ich mich zudem bei der Ernst Ludwig Chambré-Stiftung in Lich, die den Druck des Buches erst möglich gemacht hat.

Nicht zuletzt gilt mein großer Dank Barbara Wagner, der Erstellerin der Dokumentation und Archivarin der Stadt Staufenberg. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz über viele Jahre hinweg würde es weder Stolpersteine in Staufenberg, noch die mit vielen Einzelschicksalen versehene Publikation geben. Dieses äußerst informative Buch kann im Staufenberger Rathaus während der üblichen Öffnungszeiten zum Preis von 10 EUR erworben werden.

Am letzten Sonntag waren in ganz Deutschland die Fahnen auf Halbmast gesetzt, in den Kirchen wurde zur Versöhnung und zum Frieden aufgerufen. Auch wir hatten in die Treiser Sport- und Kulturhalle zu einer Friedensgedenkstunde eingeladen.

Seit 70 Jahren gedenken wir im Nachkriegsdeutschland am VOLKSTRAUERTAG aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Wir gedenken der Abermillionen von gequälten, entrechteten, ihres Lebens und Glücks beraubter Menschen und deren Familien.

Ihre Zahl ist ungeheuerlich, ist unvorstellbar. Umso schwerer fällt es uns, das anonyme Leid mitzufühlen. „Der Mensch glaubt nur, was er erlebt hat“, sagte ausgerechnet Samuel Cohen, der Erfinder der Neutronenbombe. Einen Film über die Wirkung der Atombombe zu zeigen, reiche zur Abschreckung nicht aus. Ist das wirklich so? Braucht der Mensch tatsächlich die unmittelbare Erfahrung, um Mitgefühl zu entwickeln? Wenn der Sohn, der Ehemann, der Vater im Krieg umkommt, prägt dies die ganze Familie.

Seit dem 24. Februar, dem Tag des Beginns des brutalen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, erleben wir dieses persönliche Leid wieder ganz aktuell. Wer hätte ernsthaft gedacht, dass im Jahr 2022 Mitten in Europa, quase vor unserer eigenen Haustür, ein unmenschlicher Angriffskrieg nur um eine sinnlose Landeroberung geführt wird?

Ein Krieg, der Zerstörung, qualvolles Leid und brutalste Morde in die Zivilbevölkerung der Ukraine gebracht hat. Der tausende von Menschen, meist Frauen und Kinder, aus Angst um ihr Leben gezwungen hat, ihre Heimat zu verlassen. Der diese Menschen gezwungen hat, das Leben eines Flüchtlings führen zu müssen.

Viele dieser Menschen sind nach Deutschland geflüchtet. Von diesen kamen einige auch zu uns nach Staufenberg. Wir haben diese Menschen aufgenommen. Es war, ist und bleibt eine humanitäre Selbstverständlichkeit, Kriegsflüchtlinge schnell und unbürokratisch aufzunehmen.

Mit Blick auf das Leid der Opfer aller Kriege stelle ich mir seit langen schon die Frage: Wird die Menschheit jemals ohne Krieg ihr Miteinander gestalten können? Das scheint mir in der heutigen Zeit immer unwahrscheinlicher.

Dennoch sollten wir unsere Friedenssehnsucht, die Utopie von einer zumindest von staatlicher Gewalt freien Welt nicht zu leichtfertig aufgeben. Vielleicht fällt uns das im Gedenken an die Millionen Toten der unzähligen Kriege, unter denen auch Menschen aus Treis, aus Mainzlar, aus Daubringen und aus Staufenberg waren, leichter.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr
Peter Gefeller
Bürgermeister