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Germersheimer Stadtanzeiger
Ausgabe 19/2025
Neues vom Stadthaus
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Vor 80 Jahren: Germersheim am Ende des 2. Weltkriegs

„Tag für Tag blauer Frühlingshimmel über dem Rhein und Nacht für Nacht ziehen die Kolonnen des deutschen Westheeres über die letzte Brücke des Stromes. Die Front ist nähergerückt, und beim Morgengrauen schon heulen die Sirenen. Keine Straße, kein Feldweg ist mehr sicher vor dem Beschuß der Jabos. So kommt der 21. März 1945 heran. Frühlingsanfang steht im Kalender, und hell liegt wieder die Sonne über der kleinen Stadt am Rhein. Wie in einem Ameisenhaufen quirlt es in ihren Straßen. Aufgescheucht sind die Menschen aus ihren Wohnungen, ihren Luftschutzkellern und den Kasematten und unterirdischen Gängen. Wie ein Lauffeuer geht es durch die Straßen und Gassen, dass die Stadt verteidigt würde, dass die Zivilbevölkerung sie räumen müsse, dass schon morgen das Ende der Stadt da sein könnte“.

Entgegen der Schilderung in diesem „Erlebnisbericht“ der Ereignisse bei Kriegsende im März 1945 aus der Feder des ehemaligen Schulleiters und Beigeordneten der Stadt, Hans Keller, war die Rheinbrücke bei Germersheim erst ab dem 23. März die letzte über den Strom, da die Speyerer Brücke an diesem Tag gegen 12 Uhr gesprengt wurde.

Und so lenkte Germersheim, wo der in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs eingegangene „Brückenkopf Germersheim“ entstanden war, in den letzten Kriegstagen noch einmal die besondere Aufmerksamkeit auf sich. Von Westen und Südwesten her zog sich der Ring um die Stadt immer mehr zusammen. Die deutschen Truppen hatten den Befehl erhalten, sich auf den äußersten Verteidigungsring von Germersheim zurückzuziehen und dort bis zuletzt auszuharren, „um möglichst starke Feindkräfte zu binden“, wie Johannes Nosbüsch in seinem Buch „Damit es nicht vergessen wird – Pfälzer Land im Zweiten Weltkrieg, Schauplatz Südpfalz“ schreibt.

In den Abendstunden des 23. März 1945 erreichte daher der „Fluchtstrom über den Rhein seinen dramatischen Höhepunkt“. Da die Eisenbahnbrücke im Laufe des Krieges mit Holzbohlen ausgelegt worden war, konnte sie auch von Rad- und Kettenfahrzeugen befahren werden, was in dieser Situation für das Militär von äußerster Wichtigkeit war. „Kaum dass die Nacht hereingebrochen war“, so schildert Nosbüsch die weitere Entwicklung, „setzten sich aus dem mit Menschen und Material vollgestopften Germersheim kilometerlange Kolonnen zum Ostufer in Bewegung. Der militärischen Führung bereitete es größte Schwierigkeiten, in die versprengten und unter widersprüchlichen Befehlen stehenden Einheiten wieder Ordnung zu bringen; die einen zum Kampf in die Verteidigungslinie und die andere über den Rhein zu dirigieren“.

Trotz aller Schwierigkeiten gelang es, in der Zeit von 21. – 24. März ca. 55.000 Fahrzeuge bei Germersheim über den Rhein zu bringen. Die Zivilbevölkerung hatte nach einem Befehl des örtlichen Kampfkommandanten die Stadt zu verlassen. Zahlreiche Einwohner hatten sich daher in die umliegenden Dörfer, auch jenseits des Rheins, geflüchtet, andere blieben in der Stadt und verharrten in den massiven Gewölben der ehemaligen Festungsbauten. In der Nacht zum 24. März hatten Bürgermeister Angerer, Beigeordneter Blätz und Gauleiter Simon ebenfalls die Stadt verlassen und sich ans rechte Rheinufer abgesetzt.

Am 24. März 1945, einem Samstag, wurde die Rheinbrücke von den letzten der sich nach Osten zurückziehenden Truppen gesprengt. Ein Zeitzeuge, der 1989 verstorbene Germersheimer Josef Sellinger, erinnerte sich später an jenen Tag: „Ein sonniger Märztag, überall grünt es schon. Die Straßen liegen leer. Ein Großteil der Bevölkerung ist entweder über den Rhein oder in die umliegenden Dörfer geflüchtet. Der verbliebene Rest sitzt in den Kasematten von Fronte Beckers, ist in der Infanteriegalerie und in den untersten Räumen des bisherigen Wehrmachtsgefängnisses, das wieder Lazarett geworden ist. Um halb elf drei donnernde Schläge: Die Rheinbrücke sinkt in den Strom ...“

Durch Artilleriebeschuss erhielt die Südfront des Turmes der katholischen Pfarrkirche St. Jakobus sieben Treffer, einen davon genau auf das Zifferblatt der Turmuhr. Das Postamt, die evangelische Kirche, der Saalbau und das alte Volksschulhaus (heute Stadtbibliothek) hatten durch Bombenabwürfe und Beschuss schwere Schäden erlitten. Häuser in der heutigen Eugen-Sauer-Straße und ein ganzer Straßenzug vom ehemaligen „Pfälzer Hof“ bis zum Anwesen Hauerwaas war in Folge von Kampfhandlugen vollständig niedergebrannt. Weitere Schäden durch Bomben waren in der Fischerstraße und in der Bergstraße zu verzeichnen, aber auch außerhalb des engeren Stadtgebiets, etwa auf dem Bahnhofvorplatz, der in einem großen Krater verwandelt hatte.

Am Nachmittag des 24. März drangen zwischen 15 und 16 Uhr, anderen Angaben zufolge gegen 17 Uhr, amerikanische Infanterie und Pioniere in die Stadt ein. Sie kamen von Westen, aus Richtung Bellheim, umfuhren die Panzersperren in der Bellheimer Straße und fuhren, an der Zeppelinstraße und an der Seysselkaserne vorbei in die Innenstadt. Der vorausgegangene Artilleriebeschuss aus Richtung Bellheim – Rülzheim – Westheim hatte zur Folge, dass im Stadtgebiet an verschiedenen Stellen Brände ausgebrochen waren.

Die Amerikaner gestatteten der Bevölkerung am darauffolgenden Tag (25.3.1945) die Rückkehr in ihre Häuser und setzten am 26. März Stadtinspektor Gutermann als Bürgermeister ein. Nach der Darstellung der Ereignisse bei Kriegsende von Eugen Polap in dem Buch „Germersheim. Beiträge zur Stadtgeschichte 1900 – 1975“ gehörte die Einheit, welche die Stadt besetzte, dem 141. Amerikanischen Infanterie-Regiment an.

Nachdem die amerikanischen Truppen einige Tage danach in Richtung Speyer abgezogen waren, besetzten französische Einheiten, es handelte sich zumeist um Kolonialtruppen, die Stadt.

Josef Sellinger schreibt: „An die Stelle der abgezogenen Amerikaner folgte die französische Armee unter General de Lattre de Tassigny. Mit dem Karfreitag 1945 begann für Germersheim eine Leidenszeit, wie sie nur mit dem Dreißigjährigen Krieg verglichen werden kann. Die Ostertage 1945 dürften die schlimmsten in der Geschichte der Stadt gewesen sein. Die farbigen Soldaten, völlig entzügelt, hausten in übelster Weise. Mißhandlungen, Beraubungen, Plünderungen und Vergewaltigungen kennzeichneten die Osterwoche. Dazu kamen die nächtlichen Brandstiftungen, denen zahlreiche Häuser zum Opfer fielen. Selbst das katholische Pfarrhaus wurde Schauplatz abscheulicher Vorfälle. Erst nach dem Weißen Sonntag endet das wüste Treiben“.

Auch die von den Amerikanern freigelassenen Fremdarbeiter der verschiedensten Nationen sorgten in jenen Tagen ebenfalls für Unruhe. Da diese Personen nun nicht unmittelbar in ihre Heimatländer verbracht werden konnten, richtete man Lager für sie ein, eines davon befand sich im ehemaligen Wehrmachtsgefängnis in Germersheim. In dieser Zeit, um den 5./6. April, wurden zahlreiche Anwesen eingeäschert.

Über die Nöte und die Lebensbedingungen der folgenden Zeit schreibt Josef Sellinger: „Da die Wasserversorgung durch die Stadtwerke ausgefallen war, wurden die noch vorhandenen Brunnen benützt. Viele holten sich Wasser aus der Queich. Im Laufe der folgenden Wochen wurde die Wasser-, Strom- und Gasversorgung wieder in Gang gesetzt. An der Wiederherstellung der Bahnverbindungen wurde gearbeitet. Schritt für Schritt wurde der Zugverkehr wieder aufgenommen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln blieb mangelhaft. Pfälzische Städte und das Historische Museum hatten in den Räumen und Kellern der Seysselkaserne Archivakten und wertvolle Kunstgegenstände eingelagert. Sie fielen den Plünderern zum Opfer. Unter anderem wurden kostbare Bestände an Frankenthaler Porzellan zertrümmert und anderes wertvolles Gut geraubt. Gestohlene Originaldrucke aus dem 16. Und 17. Jahrhundert wurden im Bellheimer Wald gefunden und konnten gerettet werden. Auch das in der Seysselkaserne untergebrachte Heimatmuseum wurde in Mitleidenschaft gezogen und viele wertvolle Gegenstände sind geraubt, zerstört oder beschädigt worden. Die in einer Vitrine befindlichen Gedenkmünzen aus dem Grundstein der Festung wurden ebenfalls entwendet. Die französische Besatzung richtete bald nach ihrer Ankunft das frühere deutsche Wehrmachtsgefängnis als Maison Centrale, als allgemeines Zentralgefängnis ein, in dem kriminelle und politische Strafgefangene verwahrt wurden“.

In der Folgezeit „normalisierte“, soweit man davon überhaupt sprechen kann, sich der Alltag nur langsam. U.a. waren Kriegsschäden an verschiedenen Gebäuden zu beseitigen und die allgemein herrschende Wohnungsnot zu steuern.

Auf den von den Amerikanern zum Bürgermeister ernannten Stadtinspektor Gutermann folgte im Mai 1945 bereits August Ebinger. Die ersten Stadtratswahlen nach dem Krieg fanden erst im Jahr 1946 statt.

Ludwig Hans