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Amtliches Bekanntmachungsorgan der Stadt Ulrichstein
Ausgabe 24/2023
Amtliche Bekanntmachungen
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Leitlinie für Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen in der Stadt Ulrichstein

Leitlinie für Freiflächen-Photovoltaik - Anlagen

in der Stadt Ulrichstein

(Stand 20.04.2023)

Präambel

Auf dem Stadtgebiet der Stadt Ulrichstein werden bereits jetzt erhebliche Mengen an erneuerbarer Energien gewonnen. Dazu tragen insbesondere Windkraftanlagen, Biogasanlage aber auch Photovoltaikanlagen auf Dach- und an zwei Freiflächenanlagen bei. Im Sinne des Klimaschutzes und angesichts des Ausstiegs aus der Kernenergie steht die Stadt Ulrichstein einem weiteren Zubau an Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien nicht entgegen. Dazu können auch Solaranlagen auf Freiflächen einen Beitrag leisten. Stadtverordnetenversammlung und Magistrat der Stadt Ulrichstein haben sich zum Ziel gesetzt, abzuwägen, ob und unter welchen Voraussetzungen dies verträglich mit dem Landschaftsbild, der Landwirtschaft und weiteren Belangen erfolgen kann.

Der Bau eines Solarparks erfordert in jedem Einzelfall eine vorhabenbezogene Änderung des Flächennutzungsplans sowie einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan und einen positiven Beschluss der Stadtverordneten.

Die Kriterien sollten die Stadtverordneten der Stadt Ulrichstein bei ihren Entscheidungen unterstützen.

Die Stadt Ulrichstein hat sich im Jahr 2019 per Beschluss der Stadtverordnetenversammlung dem Klimaschutz verpflichtet und ist dem Bündnis „Hessen aktiv: Die Klima-Kommunen“ beigetreten.

Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Ulrichstein beschließt mit der Verabschiedung dieser Richtlinie, dass über Anträge Dritter auf Errichtung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen im Stadtgebiet projektbezogen durch die Stadtverordnetenversammlung entschieden wird. Vor einer Entscheidung erfolgt, in jedem Einzelfall, die Prüfung des jeweiligen Projekts durch den Magistrat, der das Ergebnis der Stadtverordnetenversammlung in Form einer Beschlussempfehlung mit entsprechender Begründung vorlegt.

Im Vorfeld der Entscheidung werden vom Magistrat alle wichtigen Informationen für das jeweilige Vorhaben zusammengetragen, wozu auch die Ergebnisse von Ver-handlungen mit Projektierern und/oder bestehende rechtliche Vorgaben oder Empfehlungen bzw. Vorgaben von Trägern öffentlicher Belange einfließen. Um den Entscheidungsträgern einen guten Überblick zu ermöglichen, sind die gesammelten Informationen in eine Matrix/Excel (Checkliste) zusammen zu stellen und den Gremien zur Beratung vorzulegen. Diese Leitlinie soll dabei eine Prüfgrundlage und Hilfe für den Magistrat und die Stadtverordneten bilden.

1. Hintergrund: Solaranlagen auf Freiflächen

Die Freiflächensolaranlagenverordnung ermöglicht seit dem 30.11.2018 in Hessen den Bau von PV-Anlagen in benachteiligten landwirtschaftlichen Gebieten. Bislang waren sie nur auf Konversionsflächen sowie entlang von Autobahnen und Schienenstrecken zulässig.

Seit dem Inkrafttreten dieser Öffnungsklausel sind auf landwirtschaftlichen Flächen errichtete Solaranlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) förderfähig, sofern die Flächen als sogenannte „benachteiligte“ Gebiete eingestuft sind. Welche Gebiete als „benachteiligt“ gelten und welche nicht, ist bundesweit festgelegt. In Hessen gelten ca. 320.000 Hektar landwirtschaftliche Flächen als benachteiligt. Sie machen etwa zwei Fünftel des Acker- und Grünlands aus. Das gesamte Stadtgebiet von Ulrichstein gilt als benachteiligt. Damit die hessische Landwirtschaft auch in Zukunft ausreichend Flächen zur Verfügung hat, begrenzt diese Verordnung den Zubau von Freiflächen-Photovoltaik - Anlagen auf zunächst 1% der Fläche, was 65,6 ha für Ulrichstein entspricht. In bestimmten Schutzgebieten, wie z. B. Natur- Schutzgebieten und bestehende Ackerflächen sind Photovoltaik-Anlagen grundsätzlich nicht zulässig.

2. Anwendung der Prüfkriterien für Freiflächen-Photovoltaik

Die unter nachfolgender Ziffer 3. aufgeführten Kriterien sind bei einem Vorhaben von der Verwaltung zu prüfen. Die Ergebnisse sind dem Magistrat in einer Matrix/Excel (Checkliste) mit Begründung zur Beratung vorzulegen, der eine Beschlussempfehlung für die Stadtverordnetenversammlung erarbeitet. Die Stadtverordnetenversammlung muss letztendlich in der Gesamtschau aller Kriterien abwägen, ob das Solarprojekt als verträglich eingeschätzt wird und ob der Nutzen für die Erzeugung regenerativer Energien überwiegt.

Stimmt die Stadtverordnetenversammlung einem Projekt zu, werden von Seiten des Magistrats detailliertere Vereinbarungen zur Ausgestaltung des Projektes vor Umsetzung verbindlich in einem städtebaulichen Vertrag festgehalten.

3. Prüfkriterien

Für die Einleitung eines vorhabenbezogenen Bauleitplanungsverfahrens zur Errichtung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen der Stadt Ulrichstein sind folgende Kriterien zu prüfen:

3.1. Allgemeine Kriterien
  • In welcher Gemarkung und auf welchen Flächen soll die Anlage entstehen?
  • Wie groß ist die Gesamtfläche der betroffenen Grundstücke?
  • Welche Größe hat die Anlage selbst?
  • Welche Stromleistung soll die Anlage erzeugen?
  • Wo soll der erzeugte Strom voraussichtlich eingespeist werden (Ort und Entfernung)
  • Wurde der Ortsbeirat angehört?
3.2 Sichtbarkeit / Landschaftsbild / Blendwirkung / Lärmimmissionen
  • Sind Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen aus Wohngebäuden, auch aus den Wohngebäuden von Aussiedlerhöfen sichtbar?
  • Sind PV-Anlagen an weit einsehbaren offenen Hanglagen vorgesehen?
  • Liegt eine Sichtbarkeitsanalyse, Landschaftsbildbewertung oder Visualisierung vor?
  • Ist ein Sichtschutz, z. B. durch Anlegen von Hecken, für die Anlage vorgesehen? Wenn ja, in welcher Form?
  • Gehen von den Solarflächen Blendwirkungen oder Lärmimmissionen aus? Wenn ja, können diese vermieden oder auf ein verträgliches Mindestmaß reduziert werden. Liegt hierfür ein Gutachten oder eine fachliche Stellungnahme vor?
3.3. Landwirtschaftliche Qualität der Böden
  • Führt der Bau von Photovoltaik-Anlagen zu einer Verknappung qualitativ besonders hochwertiger landwirtschaftlicher Flächen?
  • Vorranggig sollten die Anlagen in Vorranggebieten für Industrie und Gewerbe errichtet werden, soweit für andere gewerbliche Entwicklungen ausreichend Raum verbleibt. Gemeint sind hier Flächen, welche beispielsweise wegen des Zuschnitts oder Gefälles nur schwer vermarktet werden können.
  • Können dort keine Anlagen errichtet werden, sollten sie in den TRPEM 2016/2020 ausgewiesenen Vorbehaltsgebiete für Freiflächen-Photovoltaik- Anlagen errichtet werden.
  • Außerhalb der Industrie- und Gewerbeflächen können auch Vorbehaltsgebiete für die Landwirtschaft in Anspruch genommen werden.
  • Grundsätzlich sollten Anlagen nur auf Flächen errichtet, deren EMZ unter dem Durchschnitt von Ulrichstein liegt (siehe Anlage 1).
3.4. Natur- und Artenschutz-Verträglichkeit
  • Wird darlegt, wie die Fläche nach Inbetriebnahme gepflegt wird?
  • Wird dargelegt, ob und wie Artenvielfalt auf den Flächen gefördert wird?
  • Werden die Kriterien der Veröffentlichung „Freiflächensolaranlagen in Hessen / Hinweise zum Thema Naturschutz“ der LandesEnergieAgentur Hessen GmbH (LEA) erfüllt? Darin wird u. a. das Erstellen eines ökologischen Gesamtkonzeptes empfohlen, das aus einem Ziel-, Maßnahmen- und Pflegeplan besteht.
  • Werden die Vorgaben nach Anhang zu Nr. 3.4 erfüllt?
  • Gewährleistet der Betreiber, dass die Bewirtschaftung benachbarter, landwirtschaftlich genutzter Flächen nicht beeinträchtigt wird?
  • Ist der Investor/Betreiber bereit, einen finanziellen Ausgleich im Falle einer Beeinträchtigung der Jagdreviere, die im Zusammenhang mit den Photovoltaikanlagen entstehen, an die Jagdgenossenschaft zu leisten? Falls ja, ist er bereit, den aus Sicht der Jagdgenossenschaft erforderlichen Ausgleich in voller Höhe zu leisten? Ist der Investor/Betreiber auch bereit, eine Vereinbarung zwischen dem Investor und der Jagdgenossenschaft über den finanziellen Ausgleich abzuschließen und der Stadt als Nachweis vorzulegen.
3.5. Regionale Wertschöpfung / Wahrung kommunaler Interessen
  • Wird den Bürgern der Stadt eine Beteiligung an den Anlagen ermöglicht? Wenn ja, in welcher Form?
  • Wird die Stadt finanziell am Ertrag, an EEG-Förderungen oder anderweitig beteiligt? Wenn ja, in welcher Form und Höhe?
  • Ist der Investor/Betreiber mit Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung von Vertragsgegenständen bereit?
  • Ist der Investor/Betreiber bereit, den Sitz seines Unternehmens bzw. die für das Solar- Park-Projekt gebildete Gesellschaft in die Stadt zu legen, damit Gewerbesteuer vollständig generiert werden kann?
  • Ist der Investor/Betreiber bereit, Verpflichtungen gegenüber der Stadt in einem städtebaulichen Vertrag zu regeln?
  • Ist der Investor/Betreiber bereit, ein mögliches Nachfolgeunternehmen, das die Anlage zu einem späteren Zeitpunkt übernimmt, zu verpflichten, deren Sitz ebenfalls in der Stadt anzumelden?
3.6. Berücksichtigung der Siedlungsentwicklung
  • Liegen die Flächen der geplanten Anlage in Ortsnähe bzw. im Bereich, der in Zukunft für eine Siedlungsentwicklung (z. B. für neue Wohnbau- oder Gewerbegebiete) in Betracht kommen könnte?
3.7. Zuverlässigkeit des Projektbetreibers
  • Ist der Investor/Betreiber bereit, Referenzen und Bonität nachzuweisen?
  • Gestattet der Investor/Betreiber der Stadt, sich mit den Referenz-Partnern direkt in Verbindung zu setzen und sich umfänglich informieren zu dürfen?
  • Will das anfragende Unternehmen/Privatperson das Projekt nur vermitteln oder die Anlage selbst errichten bzw. betreiben?
3.8. Netzanbindung
  • Ist der Investor/Betreiber bereit, die Anbindung der Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen an das Stromnetz ausschließlich per Erdverkabelung zu verlegen?
3.9. Rückbau
  • Verpflichtet sich der Investor/Betreiber per Vertrag mit der Stadt zum vollständigen Rückbau der Anlage und Wiederherstellung der Fläche im ursprünglichen Zustand nach Ablauf der Betriebslaufzeit?
  • Ist der Investor/Betreiber bereit, der Stadt eine Bürgschaft für den Fall einer Insolvenz oder einer anderen Nichtleistungsfähigkeit auszuhändigen?
Anhang zu Nr. 3.4 Natur- und Artenschutz-Verträglichkeit

Erläuterung/Konkretisierung der Vorgaben hinsichtlich Natur- und Artenschutz

Umzäunung

  • Die Umzäunung der Anlage muss so zu gestaltet werden, dass sie Natur- und Artenschutz fördert. Hierfür können beispielsweise Naturzäune, bestehend aus heimischen Gehölzen, eine Möglichkeit darstellen.
  • Die Umzäunung der Anlage muss eine Durchlässigkeit für Kleintiere gewährleisten.
Innerhalb der Anlage
  • Die Aufständerung der Solaranlagen sollte ausreichend Platz vom Boden bis zur Unterkante der Solar-Module haben, damit Tiere darunter durchwandern können. Als Richtwert gelten 80 Zentimeter Abstand, damit z.B. Schafe problemlos zur Pflege der Flächen eingesetzt werden können.
  • Die Fläche unterhalb der Photovoltaik-Module ist im Sinne einer ökologisch orientierten und artenschutzfördernden Bewirtschaftung zupflegen. Dies beinhaltet das Verbot des Einsatzes von chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und auf Gülle oder andere Düngemittel.
  • Die Pflege der Fläche ist so zu gestalten, dass verschiedene Arten von einheimischen (Blüh-)Pflanzen und Insekten (wie Bienen) sich dort ansiedeln können. Die Flächen können beispielsweise mit Heudrusch nah gelegener, artenreicher Wiesen oder Wildpflanzen - Saatgut aus regionaler Produktion eingesät werden.
  • Die Pflege der Fläche ist grundsätzlich mit einer mechanischen Mahd oder Schafbeweidung vorzunehmen. Die Flächen sollten möglichst abschnittsweise gemäht werden (nicht die komplette Fläche an einem Tag).
  • Die Mahd hat zeitlich so zu erfolgen, dass zuvor ein Abblühen der Blühpflanzen möglich ist. Allerdings sind Unkräuter, die sich nachteilig auf benachbarte, landwirtschaftliche Flächen auswirken (z.B. Disteln, o.ä.) ggfs. manuell vor dem Samenflug in einer früheren Mahd zu beseitigen.
  • Die Errichtung von Bienenkästen oder die Unterhaltung einer Imkerei auf der Anlage ist grundsätzlich zu ermöglichen.
Ausgleichsflächen
  • Die Ausgleichsflächen, die der Projektierer vorweist, sollten sich sinnvoll in das lokale Ökosystem einfügen.
Tierschutz
  • Die Anlage ist so zu gestalten, dass regionaltypische und schützenswerte Tiere nicht maßgeblich in ihrem Lebensraum eingeschränkt werden. Gegebenenfalls sind Wildkorridore vorzusehen.
Anlage 1:

Ertragsmesszahlen (EMZ):

Gemarkungsnummer

Stadtteil

EMZ ∅ m2

2680

Feldkrücken

0,33

2743

Kölzenhain

0,34

2751

Ober – Seibertenrod

0,34

2799

Ulrichstein

0,34

2801

Unter – Seibertenrod

0,35

2704

Helpershain

0,35

2655

Bobenhausen II

0,36

2762

Rebgeshain

0,37

2817

Wohnfeld

0,38

Durchschnitt

Stadt Ulrichstein

0,351

Quelle: Staatsanzeiger für das Land Hessen, 13.Juni 2022, Nr.24