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Ausgabe 4/2024
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Kolumne „Gute Frage“

Woher kommt das Vorurteil, Tätowierte seien oft kriminell?

Quelle: https://www.rnd.de/wissen

Schon vor Jahrhunderten waren manche Menschen davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen Tätowierungen und Kriminalität gibt. Aber warum - und gibt es dafür Belege? Die Antwort kommt von Ole Wittmann, Vorstand und Forschungsleiter des Instituts für deutsche Tattoo-Geschichte.

Der italienische Arzt Cesare Lombroso war Mitte des 19. Jahrhunderts fest davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen Aussehen und kriminellem Verhalten gibt. In seinem Kopf muss diese These so gut geklungen haben, dass er dafür alle wissenschaftlichen Standards über Bord warf. Er besuchte zahlreiche Gefängnisse, dabei fiel ihm auf, dass besonders viele Menschen hinter Gittern tätowiert waren. Seine Schlussfolgerung: Tätowierte Menschen sind besonders häufig kriminell. Allerdings untersuchte er keine Kontrollgruppe aus der übrigen Bevölkerung. Schon kurz nach der Veröffentlichung wurde er dafür heftig kritisiert. Trotzdem hielt sich die Studie in der Öffentlichkeit.

Heute wird der Zusammenhang zwischen Tätowierungen und Kriminalität eher mit einem Augenzwinkern erwähnt. Natürlich gibt und gab es Gefängnistattoos mit einer tieferen Bedeutung - etwa solche, die die Zugehörigkeit zu einer Gang darstellen. Gleichzeitig tragen viele Kriminelle keine Verzierungen auf der Haut. Studien zeigen, dass sich die Gruppe der Tätowierten und die der Untätowierten kaum unterscheiden - weder vom Einkommen noch von der Schulbildung oder Abenteuerlust.

Kaiserin Sisi ließ sich einen Anker auf die Schulter stechen

Zu diesem Schluss hätte auch Lombroso kommen können. Schon damals waren Tätowierungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Leider gibt es keine verlässlichen Zahlen darüber, wie hoch der Anteil der Tätowierten damals war. Doch selbst Kaiserin Sisi ließ sich einen Anker auf die Schulter stechen. Nur wenige Zeitgenossen wussten davon, erst ihr Tagebuch lüftete das Geheimnis. Natürlich war die Sichtbarkeit von Tätowierungen im Straßenbild eine ganz andere als heute, ebenso wie die Anzahl und Fläche der Körperverzierungen. Man darf nicht vergessen, dass die Menschen damals noch lange Kleider trugen, auch in der Badeanstalt. Auch wenn man sie nicht sah, waren die Tätowierungen trotzdem da.

Das liegt sicher auch an unserem Grundbedürfnis, unseren Körper zu verändern. Schon Ötzi trug Tätowierungen. Ihre Beliebtheit und Akzeptanz unterliegen jedoch einem ständigen Wandel. Es gab und gibt immer wieder Phasen und auch Kulturkreise, in denen Tätowierungen eher in der Schmuddelecke stehen und weniger offen präsentiert werden. So sind heute in Deutschland gut sichtbare Tätowierungen sicherlich normaler geworden als noch in den 1950er- oder 1960er-Jahren. Unterarme oder auch Hände werden heute viel selbstverständlicher verziert und die Bilder auch offener präsentiert.

Auch die Tätowiererszene selbst hat sich stark verändert. Studios gibt es heute nicht mehr nur in den Hafenvierteln. Außerdem gibt es viel mehr gute Künstlerinnen und Künstler. Auch der Frauenanteil ist deutlich gestiegen. Trotzdem hat die Offenheit auch in Deutschland ihre Grenzen - ein Gesichtstattoo stößt schnell auf Skepsis und Ablehnung. Ganz anders in Neuseeland: Dort sind die traditionellen Gesichtstattoos der Maori so akzeptiert, dass sie sogar von Nachrichtensprecherinnen getragen werden.