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Bekanntmachungsblatt der Gemeinde Gersheim
Ausgabe 11/2025
Sellemòls in der Gemeinde
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Kleidung: Tirtich

Ein Stück dunkel gefärbtes, maschinengewebtes Tirtich

Den Dorfbewohnern standen selbst produzierte Fasern für die Herstellung von Gewebe und Kleidung zur Verfügung, vorneweg Leinen, Hanf und Wolle, seit Jahrhunderten zur Verfügung. Diese Materialien wurden gehechelt, gesponnen und gewebt. Vor dem Weben wurden die Fäden zweimal gezwirnt, bei besonders hochwertigen Stoffen sogar dreimal.

Ein alter Bauernspruch hieß “Adel trägt Seide, Bürger Wolle und Bauern Tirtich“. Und zur Gruppe der Bauern zählten auch die Arbeiter unserer Region.

Tirtich, mundartlich auch als „Dirdich“, Tirtei, Dirdei und vielen weiteren Wörtern bekannt, war seit etwa 200 Jahren ein beliebter Kleiderstoff der Bauern und Arbeiter. Im Bürgertum hieß das Tuch „Bauerntuch“ und wurde gemieden.

Sowohl der Stoff selbst als auch der Name stammen aus Frankreich, wo er „tiretaine“ hieß.

Es handelte sich dabei um ein Gewebe aus Flachs- bzw. Hanffäden als Kettfäden und Wollfäden als Schussfäden. Damit der Stoff warm halten sollte, wurde er von den Webern mit einer Wurzelbürste behandelt. Auf diese Weise bekam er eine feine raue wollen sich anfühlende Oberfläche.

Sowohl bei den strenggläubigen Juden, als auch bei ebensolchen Christen galt das Tragen von Kleidung aus derartigem Stoff als sündhaft und wurde folglich nicht zu deren Kleidungsstücken verarbeitet. Der Grund: Im Alten Testament, 5. Moses 22, Vers 11 steht geschrieben: „Du sollst nicht anziehen ein gemengtes Kleid, von Wolle oder Leinen zugleich“. Dennoch setzte sich der Stoff für Bauern und Arbeiter allmählich durch, jedoch wehrte sich der Handel, ihn zu vertreiben. Aus diesem Grund wurde die Wolle etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Baumwolle ersetzt und auf diese Weise gelangte ein ähnliches Getüch auf den Markt. Das feine Aufrauen der Oberflächen dieser Stoffe wurde in den Webereien maschinell vorgenommen.

In Winterkleidungen war der strapazierfähige Stoff sehr beliebt, während als Sommerkleidung weiterhin Leinen bevorzugt blieb. Als typische Kleidungsstücke galten für die Frauen Röcke und Unterröcke und für die Männer Hemden, Hosen und Gamaschen.

Für die Waschfrauen waren Kleidungsstücke aus diesem Stoff „Mieh unn Plach“.

Gunter Altenkirch