Eine Sagengestalt, von der nie im Winter in den Runden der maienden Personen erzählt wurde, war das Beerenmännchen.
In früheren Zeiten war die Sommerzeit auch die Zeit des Beerensammelns im Wald und in den Hecken. Gesammelte Beeren waren Walderdbeeren, Heidelbeeren, Himbeeren und Brombeeren. Vielfach unterschied man noch die Himbeermännche und Brombeermännche. Im Nordsaarland kannte man auch die Wäälemännche (Heidelbeermännchen).
Das Beerensammeln war in der Regel eine Arbeit der Hausfrauen zusammen mit den Kindern. Die Mütter erzählten den Kindern, dass sie herabgefallene Beeren nicht aufheben durften. Der Grund war wohl ursprünglich die Vermeidung von Schmutz in dem Sammelkörbchen. Ein anderer Grund war bei den Brombeeren zu entdecken: Die Kinder griffen schnell nach den fallenden Beeren und konnten sich an den langen Dornen, besonders in den Brombeerhecken, verletzen.
Aus diesem Grund wurde den Kindern beigebracht, dass alle beim Pflücken herabgefallenden Beeren den Beerenmännchen zustehen, denn diese würden dann freundlicherweise die weiteren guten Suchplätze zeigen und freigeben.
Die Kinder hielten sich bis in die 1950er Jahre an diese Anweisungen. Sie kannten auch einen Bittspruch und glaubten fest an die Hilfe des Beerenmännchens. Einer der reimlosen Sprüche hieß:
Beeremännche, Beeremännche,
weis mir mòl,
wo die scheenschde Beere sinn.
Ein weiterer Spruch sollte die Himbeermännchen necken. Herabgefallene Beeren wurden von den Kindern dennoch aufgehoben und selbst gegessen:
Himbeermännchin unnerm Stään -
dau krieschd kään.[1][1]
Einerseits zeigte man sich gegenüber den Beerenmännchen dankbar, andererseits kannten die Kinder auch einen kleinen Streich: Gerade bei Brom- und Himbeeren kam es vor, dass Kinder versehentlich überreife und angefaulte Beeren pflückten. Sie waren jedoch belehrt, dass diese nicht in die Töpfchen oder Körbchen sollten. Also warfen sie die dem Beerenmännchen auf den Boden, manchmal mit den Worten „Soll das die doch fressen“.
Heute sind in den Wäldern und Hecken kaum noch beerenpflückende Kinder zu entdecken. Die Sage vom Beerenmännchen wird deshalb auch nicht mehr erzählt. Sie ist auch nicht mit dem Handy im Internet zu entdecken.
[1][1] Prot 18.3.2012, S. 5 f, Nalbach