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Wetzlarer Stadtteilnachrichten
Ausgabe 36/2022
Mitteilungen des Magistrates
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60 Jahre „Patenschaft für das Ostdeutsche Lied“

Im Alten Rathaus Wetzlar ist die Patenschaftsstelle untergebracht

Eine Karte zeigt den Aktionsradius der Patenschaft, zu dem 27 ehemalige deutsche Siedlungsgebiete gehören, von den bekannten wie Ostpreußen, Schlesien, Pommern und Sudetenland bis hin zu weniger bekannten wie Wolhynien, Buchenland und Bessarabien.

Gerhard König und Petra Hannig betreuen die Liedpatenschaft mit der umfangreichen Liederbuch-Sammlung

Es ist die einzige Sachpatenschaft für ein ostdeutsches Kulturgut in Deutschland: die „Patenschaft für das Ostdeutsche Lied“ der Stadt Wetzlar. Die Institution kümmert sich seit 60 Jahren darum, das Liedgut der einst deutschen Siedlungsgebiete im Osten vor dem Vergessen zu bewahren. Gefeiert wird das Jubiläum mit einem Liederabend am 11. September in der Stadthalle.

Drei Zimmer im Alten Wetzlarer Rathaus in der Altstadt direkt neben dem Standesamt - das ist das Domizil der Patenschaftsstelle für das Ostdeutsche Lied. Hier sind die rund 2.000 Liederbücher der Sammlung, dazu 300 Fachbücher und 2.000 Liederblätter untergebracht. Geleitet wird die Einrichtung von Gerhard König. Der 82-Jährige leistet die Arbeit seit 2003 im Ehrenamt, unterstützt durch Petra Hannig, die als Mitarbeiterin im Historischen Archiv der Stadt Wetzlar stundenweise auch für die Patenschaftsarbeit tätig ist.

Den Anstoß zur Gründung gab der aus dem Sudetenland heimatvetriebene Musikpädagoge und VolkskundlerEdgar Hobinka (1905 -1989). Der spätere Ehrenbürger Wetzlars hatte bereits 1957 die Wetzlarer Musikschule mitbegründet und gehörte auch der Stadtverordnetenversammlung an, die 1962 den Beschluss zur Gründung der Patenschaft fasste.

Ziel war es, eine zentrale Sammel- und Auskunftsstelle für das ostdeutsche Liedgut einzurichten, die als Ansprechpartner für Chöre und Musiker zur Verfügung steht und beispielsweise Notenblätter zur Verfügung stellt. Auch Anfragen aller Art sollten beantwortet werden. Ein großer Teil davon stammt von Chören oder aus den Reihen der Vertriebenenverbände, die auf der Suche nach bestimmten Liedern oder Liederbüchern sind. Viele Anfragen machen deutlich, dass es nicht nur um eine Melodie geht, sondern auch darum, das Trauma einer schweren Zeit aufzuarbeiten. So schickte eine ehemalige Gefangene in sibirischen Arbeitslagern aus Schwerin Lieder zu, die in diesen Lagern entstanden sind. Daraus ergab sich ein längerer Schriftwechsel mit dem Austausch von Erlebnissen und Erfahrungen.

Auch von Bürgern aus Polen oder Tschechien werden Anfragen nach Liedern gestellt, die von Wetzlar aus beantwortet werden können. Wer ein bestimmtes Lied sucht und nur den Textanfang kennt, hat die Möglichkeit, die Liedsuchdatei der Patenschaftsstelle zu nutzen. Sie verfügt mittlerweile über 66.000 Titeleinträge und dürfte kaum eine Liedanfrage offenlassen.

Auch gibt es erste Bestrebungen, die alten ostdeutschen Lieder neu zu bearbeiten. So haben sich zwei Musikgruppen gemeldet, um die Lieder als „Jazzversion“ zu vertonen und damit neue Zielgruppen zu erschließen.

Um das ostdeutsche Liedgut zu pflegen und zu verbreiten, hat die Patenschaftsstelle eigene Liederbücher herausgegeben, wie das in der 5. Auflage erschienene „Ostdeutsche Liederbuch“ und das Liederbuch „Brücke zur Heimat“, von dem bereits die 9. Auflage gedruckt wurde. Höhepunkt der jährlichen Aktivitäten ist ein Liederabend in der Stadthalle, der hauptsächlich von heimischen Chören und Musikern gestaltet wird.

Bevor die Patenschaftsstelle 1997 ins Alte Rathaus einzog, wo nach Inbetriebnahme des Neuen Rathauses Räume frei wurden, ist sie einige Male innerhalb der Wetzlarer Altstadt umgezogen. Zunächst wurde sie am Domplatz 7 von der Musikschule mitverwaltet, zog 1966 mit zum Schillerplatz um, 1986 bis 1988 in die ehemalige Pestalozzischule in der Kirchgasse und bezog von 1988 bis 1997 eigene Räume in der Hauser Gasse, gegenüber dem Alten Rathaus.

2013 wurde der Patenschaft eine besondere Anerkennung zuteil. Sie wurde vom Land Hessen mit dem Preis „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“ ausgezeichnet, der mit 2.500 Euro dotiert war.

Das Jubiläum der Patenschaft wird im Rahmen eines Ostdeutschen Liederabends am Sonntag, 11. September 2022, um 17 Uhr in der Wetzlarer Stadthalle gefeiert. Fünf heimische Chöre, ein Egerländer Blasorchester und ein Gesangsduo gestalten das Programm. Der Eintritt ist frei.

Die Liederbücher „Brücke zur Heimat“ und „Ostdeutsches Liederbuch“ sind zum Preis von 5 Euro in der Patenschaftsstelle, Hauser Gasse 17, 35578 Wetzlar, Tel. 06441-991031, erhältlich.

Leiter der Patenschaftsstelle:

1962-1989

Edgar Hobinka

1989-1993

Prof. Dr. Ernst Schade

1993-2003

Ewald Loh

seit 2003

Gerhard König